Eindringlichkeit
Hallo Vera-Lena,
das einfache Metrum, abgehackt und verkürzt klingend, betont noch durch fast immer mit der Zeile abgeschlossene Aussagesätze, hat für mich etwas Kinderlied-, Abzählvershaftes. Das passt zu den Gedanken über gewünschte heile Kinderwelt - und elterliches Schutzbedürfnis und Verantwortungsgefühl - und lebt aus einem eigenartigen Kontrast in diesem Spannungsfeld Schlaflied - Kriegsangst.
Der Reim - stellt für mich kein Hindernis für ein modernes Gedicht bzw. ein aktuelles Krieg- und Gewaltthema dar.
Wohl aber die Pathetik, die meinem Empfinden nach durch die erste Strophe, hier speziell die erste Zeile und die letzte.
Mit Wortbildern wie "bang pochen" aus einer anderen Epoche legt sich auf zeitgenössische Gedichte meines Erachtens (auch ungewollt) Pathetik.
Das Gedicht steigert sich aus relativ friedlichem Beginn - zum drohenden Tod. Die Frage stellt sich, ob dem nicht in der ersten Strophe entgegenkäme, wenn der friedliche Kinderschlaf den Anfang machte?
Mein Kind sucht seinen Kinderschlaf.
= vertrauensvoll in die Welt
Der Mond steht hinterm Wolkenschaf.
= kein Licht, erste Verdunkelung,
auch (und unter anderem) daraus folgend:
Die Nacht pocht ihren Rhythmus bang,
der Frieden flieht den Fluss entlang.
Gleichgültig weht der Wüstenwind.
Hier ist gewertet. Mir läge näher, den Wüstenwind "gleichmütig" wehen zu lassen, das Urteil oder eine Emotion dazu mag sich beim Leser bilden.
Der Tag verwischt das Sterbeblut,
taucht es in seine Sonnenglut.
Man liest zwar ... irgendwie drüber weg, aber eigentlich ist ja das Blut die Flüssigkeit, in die "getaucht" werden könnte. Aber na gut, eine Häuserfront mag auch in Licht getaucht scheinen.
Die Hoffnung ist mein Zwillingsherz.
Die Klage zähmt und dämpft den Schmerz.
Aus welchen Früchten wächst der Mut?
Der Vogel schützt die junge Brut.
Die Strophe gefällt mir besonders gut.
Vor allem das "Zwillingsherz Hoffnung"!
Allerdings habe ich mit dem Ende meine Schwierigkeiten. Als letzter Satz kommt dem Brut-schützenden Vogel eine große Bedeutung zu, als läge hier der Schlüssel zu den Überlegungen und für die Lösung Kind-Mutter-Krieg-Unterschlupf etc. Dem ist ja aber nicht so. Auch der brütende Vogel vermag wenig auszurichten, auch wenn das Bild des deckenden Flügels fürsorgliche Sicherheit vermitteln mag.
Ich könnte mir auch hier wieder einen Tausch der Zeilen vorstellen, in dem die Frage das Gedicht beschließt, die ja eigentlich bestehen bleibt, in der vorliegenden Fassung bei Dir aber scheinbar durch das friedvolle Vogelbild (trügerisch) beantwortet wird.
Für mein inneres Ablaufgefühl käme auch die Klage vor der Hoffnung: das Herausschreien, das Mitteilen des Schmerzes mag ein Stück weit Befreiung bedeuten und daher einer möglichen Hoffnung die Tür öffnen.
Die Klage zähmt und dämpft den Schmerz.
Die Hoffnung ist mein Zwillingsherz.
Der Vogel schützt die junge Brut.
Aus welchen Früchten wächst der Mut?
Die Frage nach dem Mut scheint mir denn auch eine ganz generelle zu sein, z. B. auch den für Zivilcourage in unseren "befriedeten" Breiten einschließend. So wie auch das Gedicht über die Angst "um das Kind" hinausgeht und dahinter die Angst des einzelnen unter kriegerischen, gewaltgeprägten Umständen in sich trägt.
Ob das Gedicht dem Thema "Krieg und Gewalt" gerecht wird?
Ach, muss ein Lyriker eine Abhandlung verfassen? Es wird e i n Aspekt aufgezeigt. Der Leser erhält die Möglichkeit, sich zu identifizieren mit der Frau des Gedichts und damit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und das ist doch viel! Was sonst vermögen Gedichte?
Grüße vom Jongleur