Weltenrand (gelöscht)

Ofterdingen

Mitglied
Hi Nilus,

Ich nehme an, das ist nicht dein erster Text. Ich kann nicht sagen, dass er perfekt ist, aber er berührt. Ich stelle mir vor, er spielt irgendwo in Norddeutschland, wo selbst die "Berge" 200 Meter nicht übersteigen und das Wetter so trübselig ist, dass sich die Menschen ständig besaufen müssen.

Ein paar Anmerkungen zum Text:

"und nach jedem Schluck des schalen Biers sank ich tiefer in das zerfressene Polster eines Sperrmüllsofas ein"

Warum muss das Bier "schal" sein? Hat jemand die Flasche schon am Tag vorher aufgemacht? Falls ja, warum machst du keine neue auf?

"Dann sah ich eine Ratte, wie sie hinter einem Stapel Holz hervorschoss und auf die Eingangstür zuraste"

Die Ratte passt natürlich wunderbar zu Punkern, so wie Otto Normalverbraucher sich das vorstellt. Punker haben sie allerdings eher als Haustiere auf der Schulter. Und wenn letztere im Haus sind, lassen sie sich eher Zeit, denn Ratten haben gemeinhin nicht viel Angst vor Menschen.

"Die Tür hatte unten einen Spalt, durch den die Oktoberkälte hinein kroch"

Wenn das Ich als Erzähler innen ist, heißt das nicht "hinein", sondern "heraus".

Auf Weiteres kann ich nun leider nicht mehr eingehen, muss weg.

LG,

Ofterdingen
 

Nilus

Mitglied
Lieber Ofterdingen,

Da der Text weitestgehend autobiografisch ist, muss es wohl eine ziemlich ängstliche Ratte gewesen sein, denn sie schoss wie der Blitz durch den Raum. Vielleicht war es auch nur eine Maus, die meine Fantasie in diesem Moment etwas größer wirken ließ.
Das Bier war Sternburg Export. Wenn man dieses Billigbier nicht zügig trinkt, schmeckt es nach wenigen Minuten schon schal. Vielleicht sollte ich das präzisieren.
Das mit dem "heraus" versteh´ich nicht. Das "hinein" bezieht sich auf die Oktoberkälte, und die kriecht nun mal von draußen durch den Türspalt rein, nicht heraus.

liebe Grüße

N.
 

sekers

Mitglied
Hallo Nilus,

willkommen in der Leselupe.

dein Text kommt aus einer Gegend, wo das Denken gerade noch funktioniert und das Fühlen schon sehr. für mich entsteht ein sehr stimmiges Bild vom Erwachsenwerden. welches so unendlich lange dauert, wo nichts wirklich passiert, und dann doch. und wo all die neuen, die einstmals verbotenen Dinge, schon wieder schal schmecken. und das Band zur Kindheit trotzdem noch hält.

mit einem Wort, oder es sind mehrere, der Text kam ehrlich an und hat mir sehr gefallen.

Liebe Grüße

G.
 

sekers

Mitglied
rattus timidus veltrus

noch ein Wort, oder schon wieder mehrere, zur Ratte. mir schien sie auch - s.O. - wie ein cliché, ein Abklatsch, ein das hatten wir doch schon mehrere Male in diesem Zusammenhang, ein Déjà-vu.

in Deiner Antwort zur Geschichte des O. beharrst auf autobiographischer Authentizität.

nicht bezweifle ich sie, die Authentittiwasauchimmer. aber ich
phantasiere, dass selbige, wenn auch für die Geschichte stimmig, für den Text in ein anderes Bild transformiert werden könnte und der Text dadurch gewinnen könnte.

denn in Wirklichkeit interessiert die Geschichte nicht wirklich. sie ist Dein Bier. interessant ist der Inhalt dieser Geschichte. und der könnte mit einem Alternativbild, eine clichefreiere Chiffre, plastischer, griffiger, allgemeingültiger werden.

denk ich mir mal und rede schon wieder zu viel.

Liebe Grüße

G.
 

Nilus

Mitglied
Danke Sekers,

das stimmt schon mit der Ratte. Das Klischee ist zu naheliegend, auch wenn es so passiert ist. Ich denke mir was anderes aus... in Bälde.
 
K

KaGeb

Gast
Herzlich Willkommen!

Guter Plot, den ich sehr gern gelesen habe.
Ich persönlich würde die Identität der Biersorte verwischen. Warum muss es unbedingt "Sternburg" sein? Schließlich wäre auch im RealLife ein solches "schales" Urteil nur subjektiv und hätte keine Allgemeingültigkeit.

Aussage des Textes ist (für mich) ok, der Weg zu dieser auch. Klar gäbe es das eine oder andere Wort zuviel, man könnte eventuell ein bisschen straffen oder Zwischensequenzen ohne Tiefengrund vermeiden, aber das sind nur persönliche Empfindungen, die durch Formulierungen wie

"...Wir hatten uns nichts Besonderes zu sagen. Wir hatten nur eine Schleuse für Worte geöffnet, deren einziger Zweck darin bestand, wildes Gelächter zu provozieren."

oder wie

"Als das Dorf noch uns gehörte, saßen wir mit deinen Punkern zusammen und tranken das fälschlich zur Legende erhobene Bier, das so dünn war wie das erste Eis auf einer Pfütze. Ich stellte Vermutungen über den Punkrock an. Einmal fesselte mich seine pure Ablehnung, seine Kampfhaltung, seine Kraft. Dann wieder packte mich Abscheu vor seinem versoffenen Geist, seiner Geschmacklosigkeit und seine Monotonie. Aber das Bier gab allem seine Wahrheit, das Klirren der Flaschen, die schlechten Sprüche, das Gefühl, dass die Nacht ewig dauerte und wir vor allen Feinden in Sicherheit waren."

oder

"... Ich flirtete mit der Gravitation." - Das ist einfach "HAMMER"!!!!! =)

wohl (m.M.n.) vollends undiskutabel.
Ich bin beeindruckt!

LG, KaGeb
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Nilus,

mir gefällt dein Text vor allem atmosphärisch sehr gut und ich empfinde es als stimmig, wie du den Ort des Geschehens (in verschiedenen Bildern) lokalisiert hast: Hier hörte die Welt auf.
Bin selbst, wenn man so will oder wie ich es damals empfand am Arsch der Welt aufgewachsen und finde, du hast dieses Gefühl gut getroffen: irgendwo da draußen muss es noch ein anderes Leben als dieses hier geben! ABER: einmal aus diesem gottverlassenen Winkel herausgetreten, einmal in neuen Verhältnissen zu Hause, kann einen auch eine Art Heimweh nach dieser untergegangenen Welt packen...

lg wüstenrose
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo Nilus,

Habe gerade nochmal in deinem Ordner vorbeigeschaut. Natürlich wollte ich nicht "heraus" schreiben, sondern "herein". Sowas passiert, wenn man weggehen will und in der Eile noch einen Satz anfügt.

Steht der Erzähler draußen, kriecht die Kälte durch den Spalt [blue]hinein[/blue], befindet er sich drinnen, kriecht sie [blue]herein [/blue]. Da dein Icherzähler offenbar innen ist, müsste es also [blue]herein[/blue] heißen.

Gruß,

Ofterdingen
 



 
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