"Weltverbesserer"

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anbas

Mitglied
"Weltverbesserer"

Lasst mich in Ruh, ihr "Weltenretter",
mit eurem Gift, das ihr versprüht.
Ihr, die vor Hass und Arroganz
genau wie eure Gegner glüht!

Ob links, ob rechts – es ist das Gleiche:
Die Mittel heiligen das Ziel!
Den Weg dorthin, den pflastern Leichen
- es ist doch stets derselbe Stil.

Ihr mordet, quält mit Wort und Taten.
Wer euch nicht folgt, ist gleich ein Feind.
Verblendet führt ihr diesen Kreuzzug
und sagt, das sei nur gut gemeint.

Es sind genau die gleichen Mittel,
nur seht ihr euch damit im Recht.
Wenn ihr von bess'ren Zeiten redet,
wird mir vom Zuhör'n schon ganz schlecht.

Lasst mich in Ruh, ihr "Weltenretter",
mit Politik und Religion.
Ihr stürzt die Welt in einen Abgrund
mit eurer "Bess'ren-Welt-Vision".
 
F

Fettauge

Gast
Hallo Anbas,

der Text spricht in der Ich-Form von einem, der sich um gar nichts schert, dem Politik von gräulichem Übel ist, der glaubt, über den Dingen stehen zu können, und dabei gar nicht merkt, dass er sich selbst ein Ding macht, dass man ihn unterbuttert, wenn er sich noch nicht mal um sich selbst kümmert. Er gehört zu den Angepassten, zu den "Konsensfähigen", zu dem man ihn gemacht hat, ohne dass er es bemerkte. Früher nannte man solche Leute schlicht Spießer. Heute ist man "gebildeter" und spricht von Konformisten. Und da er weder mit Rechts noch mit Links etwas zu tun haben will, hat er sicher die Quadratur des Kreises erfunden. Die Ich-Form, lieber Anbas, kommt mir ein wenig verräterisch vor, verwundert mich aber nicht. Du wirst deine Bewunderer für diesen geistigen Hochflug ganz sicher bekommen. Ich drück dir die Daumen.

Gruß, Fettauge
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Anbas,

prinzipiell stimme ich Dir zu: alle sogenannten "Weltverbesserer" wollen vor allem ihre Ideen durchsetzen, vergessen jedoch, dass es neben ihrer Weltsicht auch andere Perspektiven gibt, und sei es die eines Wattwurmes...

Sie vergessen ebenfalls: de Mensch ist fehlbar, was sich am fehlenden "r" gerade wieder eindrucksvoll beweist. Wolf Biermann meinte mal so kurz nach der Wende, er versuche nun auf Abstand zu bleiben zu jedwedem Ideologen; ich glaube, da hatte er einen lichten Moment.

Betrachtet man die Geschichte, haben jene mit den größten Visionen den größten Schaden angerichtet. Vielleicht weiß trotzdem jemand Gegenbeispiele, ich denke da an einige fleißig Stellung beziehende und zumeist sehr schnell schießende (urteilende) LL-Autoren...

Schönen Gruß

P.
 

anbas

Mitglied
Hallo Fettauge,

sorry, hier hast Du total am Text vorbeigelesen. Daher möchte ich auf Deinen Kommentar gar nicht weiter eingehen. Schau Dir die Rückmeldung von Penelopeia an - ihre Intention geht in die richtige Richtung.

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo Penelopeia,

genau so ist es. Wobei es nicht nur um die Menschen sondern auch deren Methoden zur Umsetzung ihrer Visionen geht. Dieser Text ist eine Stellungnahme gegen diejenigen, die z.B. bereit sind, Bomben zu werfen, Andersdenkende zu verfolgen oder Völkermord zu begehn, um ihre Visionen durchzusetzen.

Auf der anderen Seite gehören für mich z.B. Gandhi und Martin Luther King zu den Menschen, die Visionen hatten, die eine friedliche Umsetzung beinhalteten. Gut, man kann darüber streiten, wie erfolgreich sie damit waren. Mir jedenfalls stehen diese Ansätze näher als die anderen, gewalttätigen. Allerdings kann ich Menschen bis zu einem gewissen Punkt trotzdem verstehen, wenn sie zu anderen Mitteln greifen, um ihre Ideen durchzusetzen.

Danke für Deine Rückmeldung und liebe Grüße

Andreas
 
O

orlando

Gast
Hallo Andreas,
ich finde dein Gedicht ausgezeichnet.
Spontan fällt mir dazu Genosse Stalin ein ("Der Zweck heiligt die Mittel") und dessen gnadenlose Säuberungsaktionen in den eigenen Reihen.
Ich denke ohnehin, dass nur sehr, sehr wenige Menschen in der Lage sind, mit Macht angemessen umzugehen und diese anständig und zum Gemeinwohl zu nutzen. Das erlebe ich täglich, im Kleinen wie im Großen.
Und das ist es wohl, was du anprangerst. - Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel!
Man merkt deinen Versen gleichzeitig Enttäuschung und Wut an, Erfahrungen, die jeder von uns schon mit "realisierten" Visionen anderer gemacht hat.
Fehlt es allerdings an Visionen, an Utopien, krankt die Gesellschaft auch. - Die grässlichen, bluttriefenden Fehler liegen also wohl eher in der Umsetzung ...

orlando
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Ich glaube mittlerweile, jedwede Ideologie ist eine Art Opium für Denkfaule. Oder, noch anders gesagt: es gibt keine Lehre, die man unter allen Umständen anwenden, zu Rate ziehen, als Muster seines Handelns verwenden kann. Jede Situation muss individuell betrachtet werden, erfordert also Denkarbeit...

Die erste Strophe ist metrisch leicht verunglückt:

Lasst mich in Ruh, ihr "Weltenretter",
mit eurem Gift, das ihr versprüht.
Ihr, die vor Hass und Arroganz
genau wie eure Gegner glüht!



Vorschlag:

Lasst mich in Ruh, ihr "Weltenretter",
mit eurem Gift, das ihr versprüht,
die ihr vor Hass und Arroganz denn
genau wie eure Gegner glüht!


P.
 

Label

Mitglied
Lieber anbas

das liest sich gut, das flotte Tempo das sich stolperfrei bis zum fulminanten Schluss durchzieht, lässt mich einen verärgerten Tonfall hören. Aufgebrachte oder verärgerte Menschen sprechen zumeist etwas schneller und ein wenig lauter. Passt vorzüglich zum Text.

inhaltlich - schade dass das Gedicht nicht von mir ist. ;)

herzlich grüßend
Label
 

anbas

Mitglied
Liebe Heidrun,

ich freue mich, dass Dir das Gedicht gefällt. Vielen Dank auch für Deine Gedanken. Du hast Recht - Ärger/Wut hat beim Schreiben dieser Zeilen auch eine Rolle gespielt.



Hallo Penelopeia,

ein interessanter Gedanke, dem ich mich größtenteils anschließen kann. Allerdings gibt es bestimmte Lehren, die ich von vornherein bei der Denkarbeit ausschließen möchte ;).

Die von Dir hinsichtlich der Metrik kritisierte Stelle ist vielleicht nicht ganz "glatt". Ich habe da auch schon einige Male hin und her überlegt. Unterm Strich gefällt es mir aber, dass hier eine kleine Unebenheit ist, dass das "Ihr" nach Betonung "schreit" obwohl eigentlich "die" betont werden müsste. Mir geht es beim Lesen so, dass hier eine gewisse Dynamik entsteht, die ich dort auch lassen möchte.

Vielen Dank für Deine Rückmeldung.



Liebe Label,

auch Dir danke ich für Deine Anmerkungen und das Lob. Der Hinweis mit dem Tempo gefällt mir - war mir bisher nicht so bewusst (abgesehen von der Stelle, auf die ich bei meiner Antwort zu Penelopeia eingegangen bin).



Euch allen liebe Grüße und ein herzliches Dankeschön für die tollen Wertungen!

Andreas
 



 
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