Wenn der Krieg vorbei ist ...

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klaatu

Mitglied
I:

Vor der Haustür
stehen die Toten Schlange,
um ein kleines Stückchen Leben
von mir zu erbetteln.

Tut mir wirklich leid,
doch ich hab keine Zeit
- bin schwer damit beschäftigt,
mich selbst am Leben zu halten!

Aber die Nachbarn
würden mir bestimmt
stehend Applaus spenden,
wenn ich vom Fensterbrett aus
nach unten auf eure Köpfe scheiße.


II:

Ich kauere
unter Dauerbeschuss
in den Schützengräben
meines Unterbewusstseins.

(wo ist die welt wenn ich die augen vor ihr verschließe?)

Gedanken klagen
die Leere an

- das Nichts
hebt entschuldigend die Arme
und plädiert auf Freispruch.

Im Schatten großer Ideen,
habe ich der Logik
einen falschen Schnurrbart
ins Gesicht gemalt,
liege lachend im Gras

und unterhalte mich
mit den Halmen.


III:

Ich bin das Tier,
das nicht aufhören kann Fragen zu stellen,
obwohl es an den Antworten verzweifelt.

Ein menschlicher Ziegelstein,
der zum Bau einer lebenden Lagerhalle verdonnert wurde,
in der totes Kapital dann friedlich
von einer rentablen Zukunft träumen kann.

Die Welt wird zum Warenhaus
und ich zum Artikel,
der im Regal verstaubt
und nur noch Platz wegnimmt.

(doch im schlaf höre ich die blumen wachsen)


IV:

Die Zeiger der Uhr
werden gewaltsam zurückgedreht,
aber die Zeit läuft im Stechschritt weiter.

Alles ist genau so,
wie es sein soll,
weil es ganz offenbar
gar nicht anders sein kann.

Grenzen
sind
grenzenlos.

Worte
stehen
Kopf.

(ich winke dem abgrund von unten)

Sämtliche Sätze
scheinen gesprochen.

Betretenes Schweigen
wurde zum König gekrönt.


V:

Aus Brücken
werden Mauern,
aus Mauern Bunker
und aus den Bunkern
sprießen irgendwann Blumen.

Wenn der Krieg vorbei ist,
werden wir auf den Friedhöfen
mit den Toten feiern
und uns lachend in den Armen liegen.

Wir werden uns
schulterklopfend sagen,
dass wir es mal wieder geschafft haben
und gemeinsam von vorne anfangen.

Denn nach dem Krieg
ist vor dem Krieg.

Es gibt viel zu packen,
also tun wir es uns an!

.
.
.


Schlusswort:

Ich glaube nicht,
dass es in dieser Situation
(oder jeder anderen) hilfreich ist,
ein Gedicht darüber zu verfassen.

Doch vielleicht,
nur vielleicht,
könnte das hier
Leben retten.

Eines zumindest.
Wahrscheinlich meins.


Diese Worte schrieb ich
auf ein welkes Laubblatt,
welches ich anschließend
zurück an den Baum tackerte.
 

anbas

Mitglied
Hi,

trotz aller innerer Gegenwehr - so langsam werde ich zum Fan Deiner Texte ... ;)

Liebe Grüße

Andreas
 

kakadu

Mitglied
Hi Klaatu,

was wehrt sich denn in deinem Inneren dagegen?
auch ich bin gespannt auf Andreas' Antwort, möchte hier nur mal kurz reingrätschen, weil ich dir für mein persönliches Empfinden eine sehr simple Erklärung geben kann. Die zentrierte Formatierung ist für mich eine Barriere, die mich bei längeren Texten oft daran hindert, überhaupt das Lesen anzufangen. Das geht mir auch bei @Dionysos von Enno und anderen passionierten Zentriertschreibern so. Und in den allermeisten Fällen, wenn ich mich dann doch mal "durchgekämpft" habe, stelle ich fest, dass die unbequeme Formatierung dem Text (für mein Empfinden) gar nicht viel genützt hat.

Wenn meine Augen am linken Seitenrand ein Ruhezone finden, fällt es mir viiiiiiel leichter, mich auf einen Text einzulassen. :)

LG Claudi
 
Wenn meine Augen am linken Seitenrand ein Ruhezone
Hi Claudiel-galadriel - Dich als jedenfalls gelegentliche Leserin meiner Texte zu behalten ist mir höchstes Gut. Ich verwerfe daher, geleitet von deiner nachvollziehbaren und klugen Überlegung, die Zentrierung. Die nächsten Linkseinzüge meiner Texte sind alle nur für dich ;)

lieber Klaatu

Ein weiterer großartiger Text von dir. du bist wirklich begnadet mit einer Perspektive die Mitnimmt und berührt und immer etwas versöhnendes augenzwinkerndes hat. Dieser Text ist besonders stark hat viele ganz frappierende Bilder die für sich schon künstlerisch komponiert sind. Wundervoll dass du deine ganz eigene unnachahmliche Stimme gefunden hast. Großartige synästhetisch-Perspektivische Verwirbelungen. Die Assoziationsketten sind immer fresh, eine Leseerfahrung wie das entdecken eines neuen Weines.

mes compliments

Dio
 
Zuletzt bearbeitet:

klaatu

Mitglied
@ kakadu

Ich weiß auch nicht, warum ich das so oft mache. Jemand hat mir mal geschrieben, es sähe so aus wie ein Buttplug. Vielleicht mache ich es also, damit es leichter reinflutscht. Keine Ahnung...

@ Dio

Es freut mich sehr, dass dir meine Sachen gefallen. Besonders eine "eigene, unnachahmliche Stimme" gefunden zu haben, ist für mich ein sehr schönes Kompliment. Merci!

@ petrasmiles

Auch dir vielen Dank!

LG
k
 

anbas

Mitglied
aber was wehrt sich denn in deinem Inneren dagegen?
Hach, schwer zu sagen - ich bin manchmal ein ziemlicher Bauchmensch (OK, ich bin es optisch eigentlich immer ...). Dann fällt es mir oft schwer, solche Fragen rational zu beantworten.
Das zentrierte Schreiben ist es eher nicht. Ich nutze die Form zwar kaum, schreibe aber gerade an einem Gedicht, das in zentrierter Form geschrieben ist.
Du hast, wie ich finde, in Deinem Ausdruck oft einen für mich sehr ungewöhnlichen Stil hinsichtlich der Formulierungen - das ist für mich vielleicht manchmal (noch) zu fremd und gewöhnungsbedürftig. - Doch das ist ja nicht schlecht oder schlimm. Es liegt an mir, mich anderen, für mich fremden, Formen, Stilen und Ausdrucksweisen zu öffnen (oder eben nicht ;)).
Es ist übrigens gar nicht auszuschließen, dass ich im Zuge dieser Auseinandersetzung plötzlich anfange, ein paar Gedichte zu schreiben, de sich diesem Stil ähneln. Ist mir schon hin und wieder passiert, und hat nichts mit nachäffen oder kopieren zu tun.

Genauer kann ich es nicht sagen. Wie gesagt, die Leitung zwischen Bauchgefühl und Hirn ist bei mir gelegentlich leicht gestört :rolleyes:.

Liebe Grüße

Andreas
 

klaatu

Mitglied
Hi anbas!

Das mit dem Bauchmensch kann ich gut verstehen, das geht mir bei vielen Dingen sehr ähnlich. Ich fände es sehr spannend, von dir mal Gedichte in diesem Stil zu lesen!

LG
k
 



 
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