Wer schreiben kann

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Walther

Mitglied
Wer schreiben kann
- Dem bekannten Undichter gewidmet -


Wer schreiben kann, der kann auch lesen!
„So weit so gut!“ wär schön gewesen.
Denn da liegt das Problem verborgen:
Das mit dem Lesen macht schon Sorgen!

Das Lesen ist die Fähigkeit,
Die lauthals nach Verbess’rung schreit.
Denn wie kann irgendeiner schreiben,
Wenn schon beim Lesen Lücken bleiben?

Das Schlimme ist, dass das Verstehen,
Und das versteht man unbesehen,
Ganz ohne Lesen gar nicht klappt!
Jetzt ist die Falle zugeschnappt:

Wie wird es mit dem klugen Handeln,
Wenn viele unbelesen wandeln
Durch Zeit und Raum, durch ganze Leben?
Wie soll’s da kluges Handeln geben?

Am Ende bleibt nur die Erkenntnis:
Wer lesen kann, kommt zu Verständnis
Und kann es bis zum Handeln schaffen.
Ob die, die schreiben, das je raffen?

Wie Handeln fußt das gute Schreiben
Auf dem Verstehen, das auf Lesen
Gegründet ist. So wird‘s auch bleiben.
Dem Klugen wär das klar gewesen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
vielleicht ist das Gegenteil wahr - Überprüfung durch Inversion

Das ist gar nicht so banal und selbstverständlich, wie es klingt. Wer Hegel gelesen (haha...) hat, weiß, daß zum Verstehen auch die Fähigkeit gehört, den Gegengedanken mitzudenken. Das heißt hier:
Am Ende bleibt nur die Erkenntnis:
Wer lesen kann, kommt zu Verständnis
Und kann es bis zum Handeln schaffen.
Ob die, die schreiben, das je raffen?
Am Anfang steht schon die Erkenntnis:
Wer liest, verliert das Erstverständnis
Kanns nicht spontan zum Handeln schaffen.
Ob die, die schreiben, das je raffen?
Wie Handeln fußt das gute Schreiben
Auf dem Verstehen, das auf Lesen
Gegründet ist. So wird‘s auch bleiben.
Dem Klugen wär das klar gewesen.
Wie Handeln fußt der Weisheit Wesen
Auf dem Erinnern: auf Gedächtnis!
Verstehen heißt: im Leben Lesen
Das ist der Lebensschrift Vermächtnis
 

Walther

Mitglied
hi mondnein,

gerne mehr davon. wie immer stimmt bei verallgemeinerungen auch das gegenteil. beispiel:
Der auf dem Berge stand, der rief:
Verdammt noch mal, das Tal ist tief.
Der andre, drunten, tief im Tal:
Der Berg ist hoch, verdammt noch mal!
in diesem sinne frohes versen!

lg w.
 

Label

Mitglied
was man auch liest, schreibt, hört und funkt
unheilbar bleibt der wunde Punkt:
es muss das eigne Hirn was denken,
sonst kann man sich das alles schenken. :D

frei nach Eugen Roth etwas umgelabelt
 

Walther

Mitglied
moin rogathe,

ich weiß zwar nicht, ob die beiden berg- und talgänger ein hörbuch dabei hatten. aber vielleicht hatten sie's auch nur an den ohren. oder waren das die augen? oder war das hinter den augen und zwischen den ohren? :D

jedenfalls standen sie, riefen und konnten nicht(s) ander(e)s. ;)

lg w.


lb. label,

der roth ist tot, aber klug. was sich hier mal vertrug. :)

lg w.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

nichts gegen Dein gelungenes Gedicht, dass inhaltlich eigentlich immer zutreffen müsste.

Nun hatte ich einen Schauspieler-Kollegen, einen Zigeuner. (Seine schwarzen Augen funkelten bei Bühnenlicht wie Katzenaugen im Dunkeln,hmmmm... das nur nebenbei)
Er und seine Geschwister hatten nur gemeinsam ein Paar Schuhe. So konnte im Winter immer nur abwechselnd einer von ihnen zur Schule gehen. Er konnte weder Lesen noch Schreiben. Aber, wie es bei solchen Menschen so ist, wenn sie intelligent sind, er konnte natürlich alles auswendig behalten, denn es blieb ihm ja nichts Anderes übrig. Wenn ich mal meinen Text vergessen hatte, er bestimt nicht.
Er hat eine Lehrerein geheiratet (hört, hört).
Er arbeitete bei der Müllabfuhr, also im städtischen Dienst, hatte einen Sohn, Pasquale, und ist auch sonst gut durchs Leben gekommen.

So viel zur Ausnahme.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
F

Fettauge

Gast
Lieber Walther,

ja, darum geht es: Mit dem Lesen fängt es an. Dass es noch mehr braucht, um ein halbwegs gebildeter Mensch zu werden,
muss nicht erwähnt werden, das ergibt sich bei der erstbesten Peinlichkeit, wenn man dummerweise Beethovens Neunte mit dem Tripelkonzert verwechselt. Aber auch formale Bildung macht noch nicht den Menschen aus, es kommt wesentlich darauf an, welcherart Bildung man sich aneignet. Und dabei rede ich gar nicht mal von der sogenannten praktischen Bildung, die zu einem bestimmten Beruf befähigt. Nun gibt es natürlich vielerlei Bildung, die nicht im geringsten mit dem Lesen zu tun hat, sondern mit dem, was man das Leben nennt, was immer eine viel nachhaltigere Wirkung hat als zum Beispiel das meist unreflektierte Lesen. Das erwähnst du aber nicht und bleibst so auf halbem Wege stehen.

Zum Gedicht: Mir ist es nicht nur ein wenig zu simpel formuliert. Möglich, dass du dabei den Hintergedanken hattest, auch von dem ungeübtesten Leser verstanden zu werden. Der Oberlehrer-Zeigefinger ist nicht zu überlesen, das Gedicht bekommt dadurch, für mich jedenfalls, etwas leicht Peinliches. Du sprichst in dem Gedicht über das Lesen, aber als guter Ratgeber bzw. Lehrer hättest du das Lesen gezeigt und nicht ex cathedra doziert.

Insgesamt überzeugt mich das Gedicht nicht wirklich aus den obengenannten Gründen. Sprachlich bewegt es sich auf einem Level, das sehr durchschnittlich ist, dass man schon aus diesem Grunde kaum einen Genuss an dem Gedicht hat.

Liebe Grüße, Fettauge
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Vera-Lena

er konnte natürlich alles auswendig behalten, denn es blieb ihm ja nichts Anderes übrig. Wenn ich mal meinen Text vergessen hatte, er bestimmt nicht.
Genau, das trifft den Nagel auf den Kopf: "Lesen" und "Gedächtnis" bilden einen interessanten Gegensatz. Die Druiden in Gallien und auf den britischen Inseln lernten und vermittelten gewaltige Textmassen - aber ohne sie aufzuschreiben, nur durch Auswendiglernen - und so landeten diese Inhalte dann in den mittelalterlichen Großepen und zum Teil auch in den Volksmärchen. Buddhistische Mönche lernten die Buddhareden auswendig, die erste Schülergeneration Mohammeds lernte die Koransuren by heart, bevor sie unter Othman aufgeschrieben wurden.
Das war das, was ich mit meinen beiden "Gegengedanken"-Strophen besungen habe.
 

Vera-Lena

Mitglied
Ja, lieber Mondnein,

und ergänzend: Die Grimm'schen Märchen waren eigentlich Träume, welche die Menschen den Gebrüdern Grimm erzählt hatten.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
um im bild zu bleiben:
Der eine stieg ins Tal hinunter.
Die Gegend wurde langsam bunter.
Der andere stieg den Berg hinauf.
Ihm fiel dabei was andres auf:

Was grün war, wurde braun und grau.
Der eine, er erkannte schlau,
Da steckt System in Berg und Tal.
Ich hab's gemerkt, verdammt noch mal,

Man sollte doch beim Schritte lenken
Gleich auch noch an die Umwelt denken
Und, was man sieht, sich richtig merken.
Das könnte die Erkenntnis stärken.
 

poetix

Mitglied
Hallo Walther,
das ist eine Klage über das Untergehen der Lesekultur. Aber ich glaube, dieser Untergang ist nicht aufzuhalten. In unserer Informationsgesellschaft lernen wir, viele Bröckchen von Bildung einzusammeln, zu verknüpfen, Neues zu bilden. Selten lesen wir ein Buch von der ersten bis zur letzte Seite, wie es früher üblich war. Auch der Zeitdruck, den man sich einbildet, ist mit daran Schuld: Man glaubt, nicht mehr die Zeit für diese langsame Art der Informationsaufnahme zu haben. Können wir diese Entwicklung umkehren, vielleicht durch Appelle wie deinen? Wer weiß, aber ich fürchte, das wird nicht möglich sein.
Viele Grüße
poetix
 

Walther

Mitglied
hi poetix,

in der tat ist der verlust an lesefähigkeit erschreckend. ich versuche, auf verschiedenen wegen dagegen etwas zu unternehmen. das problem ist, daß wir uns nicht mehr die zeit zum genauen lesen nehmen.

unabhängig davon fehlt sehr häufig wissen. das liegt daran, daß weniger gelesen und wissen vermittelt wird. das problem liegt in der familie und der schule begraben. kulturtechniken werden generell geopfert.

die mediale verführung lenkt von der beschäftigung mit der literatur und dem wissenserwerb ab. literatur gibt einen spiegel zur hand, in dem der leser seine gedanken und erkenntnisse gegenprüfen und damit lernen, erweitern und verfeinern kann. wer wenig liest, weiß wenig. wer wenig weiß, versteht wenig. wer wenig versteht, handelt schlechter.

man sollte nicht aufgeben, denke ich. egal, wie schlecht die chancen stehen.

danke für deinen eintrag!

lg w.
 



 
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