Westwindwellen

08/15

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Tausend Tropfen gleißen zeitgleich,
funkeln dieses eine Mal.
Ein unfassbarer Tanz des Glanzes.

Westwind schiebt die Wellen auf,
bremst den Fluss und Lauf der Zeit.
Der Moment wird lang und weit.

Büsche schwelgen in der Brise,
schwer sich wiegend, ganz versunken
im Eigenleben ihres Schwungs.

Das Rauschen aller Blätter und Kronen,
verwirbelnde Holunder-Düfte.
Tiefe Ruhe flutet den Frühlingstag.

Alles fühlt denselben Strom
und eigen doch tanzt seinen Takt.




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Schöne Natur-Beobachtungen les ich da, 08/15!

Servus!

Ich hab's jetzt sicher schon fünf Mal gelesen, und einige Stellen, die sich sprachmelodisch für mich spießen, sind geblieben und stören für mein Empfinden die Naturbilder in ihrer Wirkung. Da rückt mir manchmal das gewollte Wortspiel zu sehr in den Vordergrund und lenkt vom Wesentlichen ab - nämlich von der bildhaft durchaus gelungenen Vermittlung eines sehr tief empfundenen Naturerlebnisses.


Tausend Tropfen gleißen zeitgleich,
Warum so sperrig gestellt? Das wäre m.M.n. nur nötig, wenn ich das so hinbiegen muss, um einen Reim mit einer der anderen Zeilen hinzubekommen - aber das ist ja hier nicht der Fall. Ich gäbe der natürlicheren Sprache den Vorzug. Was wäre so schlecht an

"Zeitgleich gleißen tausend Tropfen" ?

(als Fan von Alliteration mag ich das nämlich ansonsten sehr - da find ich schon den Titel toll).

bremst den Fluss und Lauf der Zeit.
Der Moment wird lang und weit.
Das einzige Reimpaar im Text, das auch noch jambisch durchgehalten ist. Das stellt plötzlich ein Melodie-Gerüst auf für den Leser und er erwartet, in diesem Rhythmus weitergeführt zu werden...danach geht es aber im freien Vers weiter und das ist ein ziemlich harter Bruch.

Ich lese noch so eine Stelle, wo etwas melodisch, weil jambisch betont, beginnt, um dann sofort in Zeile 3 wieder gebrochen zu werden. Ich x das mal zur Verdeutlichung:

Büsche schwelgen in der Brise,
Xx Xx X x Xx
schwer sich wiegend, ganz versunken
Xx Xx X xXx
im Eigenleben ihres Schwungs.
X Xxxx Xx X
Das würde dann Sinn machen, wenn dieses Schema der dritten Zeile wieder aufgegriffen und wiederholt würde. So aber bringt es mich als Leserin dauernd aus dem Lesekonzept und man weiß nicht, was "passiert" ist - die gelungenen Jamben in Zeilen 1 und 2 oder der unangenehme Bruch in der dritten Zeile. Strophe 4 hingegen ist in sich stimmig als freier Vers, weil mehr der natürlichen Betonung folgend.

Sprachlich haut dann leider auch die letzte Zeile für mich nicht so recht hin. Zu verschraubt irgendwie und nicht fein vom Klang.
Alles fühlt denselben Strom
und eigen doch tanzt seinen Takt.
und tanzt doch eigen seinen Takt

wäre doch viel runder und würde sich nicht so sperren.

Ich persönlich bin überhaupt kein großer Fan von arg Geschraubtem. Ein gutes Gedicht braucht keine Effekthascherei und mit Wortgewandtheit ist etwas anderes gemeint.
Freier Vers heißt jedenfalls nicht, dass das Gedicht sprachlich keine Melodie und keinen Rhythmus braucht, der den Inhalt unterstreicht. Und diese Melodie und dieser Rhythmus sollten dann auch einheitlich durchgehalten werden, wenn es gut werden soll.

Fazit: dein Einstandstext lässt mich auf weitere, wundervolle Naturbeschreibungen hoffen. Die sind wirklich schön! Sprachlich wünsche ich mir, dass alles eine Einheit wird: Inhalt und Stil. Dann könnte das so richtig was werden!

Lieber Gruß,
fee
 

08/15

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Hallo fee_reloaded,

vielen Dank fürs Wahrnehmen der Bilder und Eindrücke, sowie für Deine lobende, gründliche, konstruktive und nette Besprechung! Gerne schreibe ich aus dem Bauch heraus, wälze dann nach Gefühl und Sprechbarkeit vielleicht nochmal um, immer mit dem Ziel: Fluss und Guss, oder auch Schub und Zug:), sicher im intuitiven Versuch einer gewissen Form, aber in erster Linie den Eindrücken gerecht zu werden, die mich berührt haben. Das steht für mich vor allem anderen: gleichbleibendem Rhythmus, Melodie, Reim oder sonstigem, mir bewusst oder nicht bewusstem Schema.
Obwohl ich also kaum eine Ahnung habe, was ich dabei mache, nenne ich das Ganze mal 'Methode' und die auch noch 'organisch':)

Jedenfalls bin ich mir nicht sicher, ob ich in das Gedicht eingreifen kann, ohne seinen Charakter zu verändern, will es aber gerne direkt mal probieren. Vor allem angesichts so einer wohlwollenden Kritik wie Deiner.

Aber der Vorschlag: "Zeitgleich glei...", da stört mich das zweimal "glei-..." direkt hintereinander. Da mir nichts Besseres einfällt, bleibt der Anfang erstmal wie gehabt:).
Viele Grüße!

Neue Fassung:




Tausend Tropfen gleißen zeitgleich,
funkeln dieses eine Mal
im ewig unfassbaren Tanz des Glanzes.

Westwind schiebt die Wellen auf,
bremst den Fluss und Lauf der Zeit,
ein flüchtiger Moment wird lang und weit.

Büsche schwelgen in der Brise,
schwer sich ineinander wiegend,
innig versunken im eigenen Schwung.

Lautes Rauschen aller Blätter und Kronen,
wirbelnder Holunder-Duft und tiefe Ruhe
fluten den atlantischen Frühlingstag.

Alles fühlt denselben Strom
und tanzt doch eigen seinen Takt.
 

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Mitglied
Jedenfalls bin ich mir nicht sicher, ob ich in das Gedicht eingreifen kann, ohne seinen Charakter zu verändern,
Das kenne ich selbst auch ganz gut so, 08/15.

Wenn die persönliche Bindung an den eigenen Text und das, was man da an Gefühl hineinzupacken versucht hat, noch zu frisch ist, will man da nichts zerstören, was einem persönlich wichtig war beim Schreiben.
Das ist aber nicht immer das, was bei den Lesern ankommt oder so ankommt, wie man das selbst gespürt hat. Dann stellt sich die Frage: will man ein Publikum erreichen und hat man für ein Publikum geschrieben oder doch eher für sich selbst. Beides halte ich für legitim und wichtig.

Wenn es sich für dich nicht (oder noch nicht) richtig anfühlt, dann mach es auch nicht und versuche nicht, deinen Text zu verbiegen.
Kommt halt auch darauf an, ob dir positives Echo wichtig ist.

Ich gebe echten Herzenstexten von mir immer ein paar Tage Zeit, um sie auch mit ein wenig Distanz nochmal auf deren Publikumstauglichkeit zu überprüfen. Erst, wenn ich sicher bin, dass ich selbst weiß, mit welchem Ziel ich meinen Text in die Welt schicke, poste ich. Schnellschüsse mach ich, wenn, bei humorigen Inhalten mit weniger Tiefgang. Da trifft es mich dann auch weniger, wenn sich herausstellt, dass ich ein paar Holperer eingebaut und übersehen habe oder dass die Botschaft nicht so ankommt, wie erhofft.

Deshalb sag ich zur neuen Version jetzt auch erst mal nichts. :cool:

Ich hab sie aber gerne gelesen. So, wie auch den ursprünglichen Text.

LG,
fee
 
Ich lese noch so eine Stelle, wo etwas melodisch, weil jambisch betont, beginnt, um dann sofort in Zeile 3 wieder gebrochen zu werden. Ich x das mal zur Verdeutlichung:

Büsche schwelgen in der Brise,
Xx Xx X x Xx
schwer sich wiegend, ganz versunken
Xx Xx X xXx
im Eigenleben ihres Schwungs.
X Xxxx Xx X
Ich stehe hier gerade auf dem Schlauch. Das ist doch Trochaeus, wenn immer die erste Silbe betont wird?
(Xx = betont unbetont)
 



 
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