"What is like"

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John Wein

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"What is like"

Eigentlich hatte der Professor Schierling nie im Leben die Absicht gehabt, Hedda mit einem anderen Frauenzimmer zu betrügen, ja es galt nicht einmal einem körperlich dringlichen Verlangen nachzugeben. Doch das mitunter aufkeimende Bedürfnis des Lausbuben zwischen seinen Beinen wollte bei trauten Momenten und in Situationen, die er nicht bewusst kontrollieren konnte, gestillt sein. Es hatte sich beim ersten Mal faktisch ganz einfach ergeben. Aber greifen wir nicht vor.

In Winterhude, eingewachsen in einen alten Baumbestand, war das Haus der Schierlings das letzte in einer Reihe Jugendstilvillen im Finkenweg, ein beschaulich verschlafener Fleck, den Natur und Zeitläufte gleichermaßen geschmückt hatten. Zwei Findlinge vor dem geschmiedeten Tor markierten die Einfahrt des vornehm, mit dekorativen Ornamenten geschmückten und Schiefer gedeckten Jugendstilhauses. Ein mit Naturkieseln gepflasterte Weg, von mächtigen Rhododendren flankiert, führte in einem leichten Schwung zu der grünen, zweiflügeligen Eingangstür. Das Anwesen hatte schon temperamentvollere Zeiten erlebt, aber seit die Kinder der Familie in die Welt geschwärmt sind, ist das Leben im hinteren Finkenweg eingeschlafen.

Für die Schierlings war das Haus, Erbe des Kaffeerösters Becher, eigentlich viel zu groß. Aber es lag naturnah und in bequemer Lage zur Stadt und so erübrigten sich alle Überlegungen, den Sitz der Familie zu ändern. Haus und Garten versorgte Schröder, ein Familien Faktotum, der schon das Territorium der Eltern instandgehalten hatte und Iwona, die Zugehfrau mit polnischen Wurzeln, die halbtags in musikalischem Timbre frohsinnige Essenzen in den hinteren Finkenweg zwitscherte.

Prof. Horst-Joachim Schierling 62, war Leiter der Abteilung Neuroinformatik am Herbert Welsley Institut. Mit asketischer Körperlichkeit möbliert, trug er eine vornehme Blässe einem Gesicht, das ihn höchstens zum Ausdrücken von Pickeln einmal abgesehen, dazu veranlasste, es des Morgens beim Zähneputzen im Spiegel näher zu betrachten. Ausgestattet mit einer hohen Stirn über der Römernase und einem gepflegten Bürstchen auf der Oberlippe, verbreitete er in seinem Umfeld ein aristokratisches Klima. Seiner Gatti Hedda, adrett und glattgebügelt und sowohl im Repräsentieren auf unterschiedlichsten Cocktailpartys und ähnlich verpflichtenden Salonstücken prima geeignet, war er der stets sorgende, charakterstarke und prinzipienfeste Mann ohne sonderlich nachhaltige Leidenschaften. Letztere hatten sich im Laufe der Jahre im alltäglichen Einerlei des Zusammenlebens abgeschliffen. Man hatte sich eingerichtet.

Hedda Becher-Schierling, eine Schönheit der Gattung, die das Altern über die Jahre in Schach zu halten versucht, trug ihre blonden und schulterlangen Haare mit einem Steckkamm nach hinten gebändigt über dem Gesicht von Gena Rowlands. Ihr bevorzugtes Element war der Sattel. Sie war eine leidenschaftliche Dressurreiterin und hatte immerhin bei einigen kleinen Tournieren im niederdeutschen Sprachraum mittlere Plätze belegt. Auch die Zügel ihrer Ehe hielt sie fest in der Hand, doch die Sporen gabt sie vor allem ihrem Hengst Furioso auf dem Dressur Viereck, Horst glaubte es jedenfalls.

Klebstoff dieser ehelichen Verbindung war gewissermaßen eine sorglose Bequemlichkeit, auch wenn es manchmal ein bisschen langweilig wurde. Man war gut miteinander aufgehoben und wusste um seine Ressorts und die damit einhergehenden Geschäfte, Dispositionen und Nachsichten. Es hatte sich im Verlauf der Zeit einfach so ergeben und es tat ja auch nicht weh, jedenfalls nicht über den Maßen.

„Sich so ergeben“, diesen nichts sagenden und von allen Beweggründen ablenkenden Terminus gebrauchte Horst gern und häufig im täglichen Sprachgebrauch. Es ist eine daher gesagte Redewendung, die alle Verantwortung persönlicher Verhaltensweisen im Allgemeinen belässt und die moralischen Gebote des Gatten, Vaters oder Vorgesetzten im Besonderen aus dem pflichtschuldigen Bewusstsein in den Bereich eines geschmeidigen, nicht verbindlichen Geschehens rückt.

Es ergab sich nun, dass im Juni am reizvollen Vierwaldstätter See im schweizerischen Luzern die ISRAI, die Internationale Gesellschaft zur Erforschung künstlicher Intelligenzen, ein mehrtägiges Symposion mit der Themenstellung „Subjektive Natur und begriffliche Unzugänglichkeit der Qualia unter philosophischen Gesichtspunkten“ veranstaltete. Hierzu hatte man unter anderen Prof. David Chalmers, Gelehrter an der NYU, als Gastredner eingeladen. Chalmers ist in den einschlägig wissenschaftlichen und philosophischen Kreisen eine höchst anerkannte Persönlichkeit und Mitglied der American Academy of Arts and Sciences.

Qualia, das sind subjektive Erlebnisgehalte mentaler Zustände. Wie fühlt sich etwas in bestimmter Weise an, „what is like“ in dem jeweiligen mentalen Zustand. Zum Beispiel, wie fühlt es sich für eine Person in einem jeweiligen Zustand an, wenn sie im Winter friert oder ihr im Frühling der Hafer sticht.

Verlassen wir dieses hochinteressante Feld wissenschaftlicher Problem Erörterungen. Sie haben eine untergeordnete Bedeutung für unsere Geschichte und ich wage zu behaupten auch für unseren Professor Schierling. Er wusste ja genau, wie sich was anfühlt und aus welchem Grund er in Luzern weilte und er hatte es diesmal durchaus geschickt eingefädelt. So bettete er, bedachtsam und erhaben über allen niederen Sentiments schwebend, sorglos sein Gewissen in Luzern auf dem Ruhekissen verschleiernder Anonymität. Er freute sich auf das Wiedersehen mit Dr. Antonia Dolci, einer properen, attraktiven Diva aus Bergamo. Schon beim Zusammentreffen 2016 in Stockholm hatte er mehr als nur ein Champagnerglas an Flüssigkeiten mit ihr ausgetauscht. Ja, auch unter den Helden des Nadelstreifens springt noch so mancher wie ein Hengst.

Hedda kannte ihren Horst besser, als jener sich selbst zu kennen glaubte, aber sie behielt dieses Wissen für sich, hatte sie doch gleichfalls Interessen und wer würde hier ausschließen wollen, dass ihr dieses Wissen nicht auch irgendwann einmal als Rüstzeug für bestimmte Eventualitäten dienlich sein könnte. Neben ihrer Passion für die Reitkunst galt eine schamhaft unterdrückte Leidenschaft dem Stallburschen Sascha, einem bübischen Stenz aus dem holsteinischen Quickborn. Dieses Interesse allerdings musste sie sich mit Tovi Bernstein, Bankiersgattin und Carolin Weber, der neuen Verlobten unseres athletischen Schlingels teilen. Aus Besorgnis angesichts ihrer gesellschaftlichen Stellung, kostetet es sie gehörig List und Taktik die unterschwelligen Wallungen nicht allzu sehr zum Markte zu tragen und obendrein an den Torero eine nicht unerhebliche Summe an Zuwendung. Nein, dieser Carolin konnte sie einfach nicht trauen! Hedda und Tovi hatten ein konspiratives Abkommen mit einem Hufeisen geschmiedet, für den Schwerenöter das Zeichen, das sie im Wechsel an einen Nagel der jeweiligen Stall Box positioniert hatten. In jener Woche fügt es sich nun, dass Horst auf einem seiner Kongresse in der Schweiz weilte und Sascha von der Equitana, der Pferdesport Messe in Düsseldorf, am Sonntag heimkommen würde. Im Finkenweg blühten nicht nur Glyzinie und Hartriegel, sondern auch die Heddas gute Laune bei: „Atemlos durch die Nacht!“

Ihre Formen stets sichtbar exponierend stand Antonia Dolci fest, sowohl im Leben, als auch auf ihren halsbrecherischen Pumps. Der staccatoartige Trommelwirbel von Trippelschritten entfesselt in der Assoziationskette vom Großhirn über interaktive Stimuli peinliche Prozesse unterhalb der männlichen Gürtelregion, löst gewissermaßen einen subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes aus „what is like“. Die im Barock gefestigte Diva umwehte das Aroma von Amethyste und eine Gravitation, die Männer wie Licht die Motten an sich zu binden versteht. Hier waren Milva und Anita Eckberg in einem Körper vereint, Haare rostrot, Teint von vornehmer Blässe, ausgestattet mit einem Kirschmund vollreifer Weichseln und mit dem Temperament einer italienischen Femme Fatale gesegnet. Im noblen, ihrer Figur huldigendem Prada Kostüm, war sie ganz und gar ein Format das Männer unwillkürlich zum hinterher pfeifen einlädt. Und erst ihre Stimme, mein Gott diese Stimme! Lasziv doch plastisch präzise und melodisch moduliert, sprudelten die Worte im Piemonteser Dialekt wie Perlen über ihre Lippen. Anbetungswürdig ihr Lächeln, während aus ihren wasserblauen Augen betörend die Funken sprühten. Welches männliche Wesen würde hier nicht dahin schmelzen und trotz möglicher Konsequenzen gerne Feuer fangen?

Professor Schierling hatte vorgesorgt und dem Stachel des ehelichen Missklangs seinen Zahn gezogen. Er hatte Hedda die Mär eines Selbstfindungs Wochenendes nach dem Kongress mit Pow Wow und Schwitzhütte auf dem Rigi oberhalb des Sees vorgeschwindelt und eine Besteigung stattdessen in einer sündhaft teuren Suite des Parkhotels in Weggis geplant. Die Swiss war für Montag gebucht. Hollodrio, Welt ist schön!

Weggis träumte in der Abendsonne. Oberhalb, auf den Höhen des Rigi, lag noch ihr rötlicher Duft, mit dem sie sich anschickte dem Tag Lebewohl zu sagen. Über dem See hatte sich mittlerweile die Dämmerung ausgebreitet, sanft wehte ein milder Atem herüber und auf dem gegenüberliegenden Bürgenstock zeigten die ersten Häuser schon Licht. Es war die Stunde, an dem der Tag sich im Abendfrieden sammelt und die Menschen zur Melancholie neigen.

Die lauschige Stunde in Weggis wurde unmittelbar von einer dahinscherbelnden Melodie verstimmt.

Dr. Antonia Dolci trat von der Terrasse zurück in den schützenden Raum. Sie sprach in ihre rechte Bademantelschulter, in die sie das Telefon eingeklemmt hatte, während sie sich mit beiden Händen den Zudringlichkeiten des Professors widersetzete.

„Orste!!!!!!“

In ihren Augen blitzte noch immer ein Schlüsselliegtunterdermatteblick.

„Sant‘ Iddio! Anselmo! NO! NO!!“

Es galt der Stimme am Ohr. Das erstes „No!“ klang noch ein wenig überrascht resignierend, dann allerdings, als sich die Verblüffung in Besonnenheit gewandelt hatte, festigten sich ihre Artikulationen. Im Raum breitete sich ein gewisser Alarmzustand aus.

„NO, Anselmo! NO! Un colleghi.“

Eine Kaprice des Blutdrucks zauberte Röte in das bestürzte Gesicht der hübschen Frau. Dunkle Wolken zogen über der Stimmung der Blauen Stunde in Weggis am See.

"No mio amore!" Pause
"Caro mio NO Anselmo!" Pause
"Si Luzerne, Hotel du Lac, si Anselmo si, si!“

Schierling ahnte, dass in die Schwüle dieser Buhlschaft ein Blitz gefahren war, der die Situation mit einem Schlag neu sortierte. Antonia wiegte ihren Kopf und rollte die Augen in einer demutsvollen Pose gen Himmel. Nachdem sie ein ausdauerndes Gespräch beendet hatte, sprudelte es aus ihr heraus:

„Mama mia, Orste! Un disastro!”

"Prego, bitte was?"

„Es tute mire so laid!“

„Was ist los? Was gibt's?“

"Isch muss subito zuruck nach die Luzerne. Anselmo kommte"

„Wie, was?“ ... "Jetzt?"

"Maine Mahn kommte mit die Motocicletta, unna Motorrad, si? Nach die Luzerne um zu mache mit mire unna Giro dursch die Bärge. Unna andare in montagna, capisci?”

“Ich glaub' es nicht!”

“Ische muss sain in die Casa Hotele du Lac. Allora - er dänkt isch sai dort! Capito?
Unna irritazione grande! Maledizione!“

Der Schierlings Becher wollte geleert sein! Wohlan! „What is like“. Er hatte sich diese Tage anders vorgestellt. Muss das Leben wieder weh tun, dachte er, als das Taxi vorfuhr. Sie nahmen Abschied, Abschied auch von der Hoffnung aufeinander.

„Ab Chloten über Düsseldorf!“

„Wann?“

„Morgen früh!“,

sagte die Dame am Empfang des Hotels, die seinen Heimflug umgebucht hatte. Schierling wollte keinen Tag länger in Weggis verweilen. Ein Gespräch mit daheim kam nicht zustande.

In der Hotelbar tröstete er sein Elend mit einem halben Liter Rotwein, der ihm kaum genippt, sogleich aus den Augen zu laufen begann. In einer Art Einstein’scher Täuschung landete er wie Täter und Opfer zu gleicher Zeit auf dem Boden der Tatsachen und mit innerem Groll räumte er ein Feld, von dem er nun weg war. "What is like".

In Düsseldorf zugestiegen tänzelte ein junger Schnurrbartträger pomadig den Gang herauf, gerade so, als würde ihn in seinen männlichen Gemächern das Suspensorium zwacken.

„Here comes the sun“, säuselte Richie Havens im dem Bordlautssprecher.

Das gelgestylte Pflaumengesicht besetzte den äußeren Platz und ausgerechnet in Schierlings Reihe, warf mit Schwung einen gigantischen, soeben bei „Flowers Shower“ im Airport Shop erstandenen Strauß neben sich und ihn auf den freien Mittelplatz. In der Nase des Professors entfesselten die Duftessenzen des monströsen Arrangements einen Nießanfall. Sein schütternder Brustraum rang mühsam nach Ruhe.

„Hartwigsen, Sacha Hartwigsen“ artikulierte der Schönling, „angenehm!“.

Was für ein Frevel dieser Name!

„Schierling.“ Er verkniff sich das „Unangenehm!“

Seiner Spätsommerbräune aufs angenehmste bewusst, kam da einer von der Sorte, die bereits als männliche Flaumträger meinen ausgereift zu sein, um gespornt und gestiefelt die ganze Welt, die angeblich längst auf sie warten würde, aus den Angeln zu heben.

Flüchtig überlegte der Professor, was er im Leben eigentlich falsch gemacht habe, dass ihn so ein Tort neuerdings heimsuchte. Wie kam es, dass ein ungehobelter Klotz unbedingt neben ihm seinen Platz angewiesen bekommen haben musste, wo doch im hinteren Teil der Maschine genügend unbesetzte Sitzplätze zu Verfügung standen. Hier brauchte es den Glauben an Gerechtigkeit und Rücksichtnahme im Leben für einen wie ihn.

Unten ihnen erblindete das Weichbild Düsseldorfs in dünnen Stratuswolken.

Er komme von der Equitana, ein Name Schierling sogleich vergaß, man aber von seinem auffälligen T-Shirt unter der Jacke ablesen konnte. Er habe in Hamburg eine Verabredung, setzte er das unaufgeforderte Gespräch fort, es warte eine attraktive und spendierlaunige Endfünfzigerin, die ihn für das Wochenende eingeladen hätte.

Schierling nickte nur und schüttelte den Kopf. Es lag eine unterkühlte Leere in der Luft.

Jetzt tat unser Held, als sei er der ganz große Zampano, einer der in der Lage wäre, ältere Damen mit seinem unwiderstehlichen Charme nicht nur zu verführen, sondern auch „auf’s Kreuz legen“, wie er in unflätigen Worten formulierte und dabei schlitzte er sich ein zwiespältiges Lächeln ins Pflaumengesicht. Es war ungefragt die Geschichte von einem Grünschnabel, der auf dem Marktplatz der Eitelkeiten bereits wusste, wie man vorbei an allen Regeln und Rücksichtnahmen geschwind zur Kasse kommt.

Schierling würdigte den Allgemeinplätzen zunächst nicht einmal seine Verachtung und wärmte sich an einem Bourbon. Dieser Gigolo, was hatte er schon an Lebenserfahrung, außer der spontanen Wahrnehmung und dem rhythmischen Gebrauch seines Fortpflanzungsorgans.

Ob er schon einmal in einem Swingerclub gewesen sei, wollte Hartwigsen von ihm wissen, und in Fortsetzung kippte er seine impertinente Privatsphäre maliziös vor ihm aus.

Der Professor spürte, „what is like“, die Ringe des Eisernen Heinrich in der Brust. Er vertrug sie nicht, diese halbfrivolen Redensarten. Eine unbestimmte innere Unruhe überkam ihn, als er ahnungsvoll einen Geistesblitz zu Ende dachte. Nach wenigen Sekunden der Fassung schrieb er dieses Phantom einer Verwerfung seiner Phantasie zu, die sich bewusst oder nicht, lange Zeit mit diesem Umstand der Wahrnehmung von „Nichts“ oder „Leere“ beschäftigt haben musste. In der Umgebung hatte sich ein gewisser Alarmzustand ausgebreitet. Unwillkürlich malte sich sein Stammhirn sadistisch detaillierte Foltermaßnahmen aus.

„Meine Damen und Herren“, befahl der Lautsprecher zusammen mit der Botschaft, dass man im Anflug auf Fuhlsbüttel sei, „wir bitten sie, sich anzuschnallen, die Sitzlehnen senkrecht zu stellen und.....", „das Maul zu halten“, dachte Schierling in spontaner Fortsetzung der gemaunzen Ansage der bunt aufgehübschten Graugans in der Galley.

Nachdem man sich „im Namen der Käpitäns und der ganzen Mannschaft für seinen Mitflug salbungsvoll bedankt hatte und die rollende Folterkammer zu einem endgültigen Stillstand gekommen war, kämpfte sich Horst-Joachim Schierling, der Professor aus dem Stuhl, schnappte sich seinen Aktenkoffer und trat in die wärmende Sonne der Flughafenanonymität.

„Tschüss!“, sagte die Pflaume.

Schierling sagte nichts. Mit starren Gesichtszügen versuchte dem Atem des anderen auszuweichen.

Hedda Becher-Schierling, mit einer roten Rose bewaffnet, andererseits erstarrte nicht aus Verstimmung, es war gewissermaßen ihr Gomorrha, das sie zur Salzsäule versteinern ließ. In der Tat, das war Horst ihr Mann, der da unvermittelt von der Türautomatik ausgespuckt wurde und der nicht minder verblüfft dreinschaute.

„Um Himmels Willen!“ Dieser Gedanke bemächtigt den Ausrufer in einer außerordentlich großen Verunsicherung. Er ist wertneutral und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit zu kurzer Sammlung. Hedda fasste sich, und im nächsten Augenblick malte sie sich ein einnehmendes Lächeln ins Gesicht.

„Da bist du ja!“ zwitscherte sie unbekümmert in den überraschenden Moment, noch bevor er ihr die Frage stellen konnte, die sie und alle Welt in dieser Minute von ihm erwartete. Er aber schwankte unter der Wucht dieses Geschehens.

„Öhm……“

„Komm Schätzchen, bevor sie den Wagen abschleppen!“ Sie parkierte gewohnheitsmäßig in der roten Zone und direkt vor der Ankunftshalle, „lass uns heimfahren!“

Schierling wandte sich zurück und sah das Pflaumengesicht in der Automatiktür gleichfalls verdutzt. „Sag, wieso wusstest du, dass ich heute zurückkehre und ausgerechnet um diese Zeit und obendrein aus Düsseldorf?“

„Ach Liebling! “ sie wandte ihren Blick und sah wie ein prächtiger Strauß Blumen in die Hände einer Flugbegleiterin wechselten: „Herr Gautschi, der Schwitzhütten Leiter auf dem Rigi…“.

Noch während sie sich der Rolltreppe zuwandten, hob Hedda Schierling-Becher, die Dressurreiterin, ihren rechten Arm und klimperte hinterrücks, ohne sich überhaupt umzudrehen, ein paar Mal mit ihren Fingern auf dem Luftklavier.

Aus der Dämmerung seines Bewusstseins kam Horst-Joachim Schierling, dem Professor, der Gedanke, dass ihm hier zum zweiten Mal Hörner aufgesetzt worden waren. „What is like“. Dem kognitiven Neurowissenschaftler jedoch hatte hinlänglich Verstand, sich in dieser Situation zusammenzunehmen und genügend Weisheit selbstlos und in professoraler Würde darüber hinwegzusehen, denn er hütete ja gleichfalls ein pikantes Geheimnis, …dachte er jedenfalls.

Bei den Schierlings In Winterhude, am hinteren Finkenweg nahm das Leben weiter seinen gewohnten Gang. Man war gut miteinander aufgehoben und wusste um seine Ressorts und die damit einhergehenden Geschäfte, Dispositionen und Nachsichten. Schröder, das Faktotum, kümmerte sich wie gewohnt um den Garten und Iwona, die Zugehfrau mit polnischen Wurzeln, trällerte halbtags in musikalischem Timbre frohsinnige Essenzen in die Stimmung.

„What is like“.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Da war viel Schönes dabei, lieber @John Wein - obwohl ich nicht umhin konnte, beim Lesen über Sätze wie diesen zu schmunzeln:
war er der stets sorgende, charakterstarke und prinzipienfeste Mann ohne sonderlich nachhaltige Leidenschaften. Letztere hatten sich im Laufe der Jahre im alltäglichen Einerlei des Zusammenlebens abgeschliffen. Man hatte sich eingerichtet.
Ja. Nee. Ist klar. Und im selben Atemzug berichtet der Erzähler von einem Hallodri und ausgebufften Fremdgeher und Lügner, der ohne mit der Wimper zu zucken seiner Frau einen Selbsterfahrungskurs vorschwindelt, um, durchaus gewieft und routiniert wie Casanowa, mit einer schönen Intalienerin fremdzuschnackseln - und das nicht zum ersten Mal!
Ja, ische `abeverstanden: Die Ehefrau ist auch nicht besser
Obwohl mir solche "Arrangements" nicht besonders gefallen: Gut erzählt, das verdient die volle Punktzahl, mein Freund.
Dir ein frohes Weihnachtsfest - und Grüße an die Gattin.;)
 

Haselblatt

Mitglied
Gerne schließe ich mich den Vorrednern an: eine wahrhaft gelungene und höchst amüsante Schilderung. Mich stört zeitweise der über alle Maßen hoch getrabte sprachliche Ausdruck, wie z.B. hier:
Der staccatoartige Trommelwirbel von Trippelschritten entfesselt in der Assoziationskette vom Großhirn über interaktive Stimuli peinliche Prozesse unterhalb der männlichen Gürtelregion, löst gewissermaßen einen subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes aus „what is like“. Die im Barock gefestigte Diva umwehte das Aroma von Amethyste und eine Gravitation, die Männer wie Licht die Motten an sich zu binden versteht.
eine Kleinigkeit am Rande: es ist zwar nicht völlig falsch, aber die Italienerin würde nicht comprände sagen, sondern capisce.
 

onivido

Mitglied
Ich glaube die Dame wuerde auch nicht "capisce" sagen, sondern dem Grad ihrer "Vertrautheit " gemaes wahrscheinlich "capisci"
 

John Wein

Mitglied
Gerne schließe ich mich den Vorrednern an: eine wahrhaft gelungene und höchst amüsante Schilderung. Mich stört zeitweise der über alle Maßen hoch getrabte sprachliche Ausdruck, wie z.B. hier:


eine Kleinigkeit am Rande: es ist zwar nicht völlig falsch, aber die Italienerin würde nicht comprände sagen, sondern capisce.
Lieben Dank fürs Lesen meiner Geschichte, die Verbesserungsvorschläge und das Begrünen. Ich hab erst jetzt notiert, denn ich weile fernab D und habe hier nicht immer ein sicheres Internet.
Die Geschichte ist in ähnlicher Art schon vor einigen Jahren entstanden, als ich mich mit dem Zauberberg beschäftigt habe. TM hat wahrscheinlich mit seinen langen Schachtelsätzen auf meine Schreibe abgefärbt. Ich logierte damals in der Villa Friedenshöhe, wo er verschiedentlich seine Sommerfrische gehabt hatte und wo seine Bücher im Schrank standen.
 
Reicht ordentlich geschrieben, dieser geschraubte und gespreizte Stil, dieser sich elaboriert gebende Code. Aber ich möchte ein Schlückchen Wasser in den Wein kippen und auf einige einige doch recht unschöne sprachliche Schnitzer hinweisen.

frohsinnige Essenzen?? - die werden gleich zwei mal im Text gesungen. Also ist das jetzt jeweils eine philosophische "Essenz", welche die Zugehfrau besingt, oder kann man Duftwässerchen, Bachblütenessenzen oder andere Kosmetikprodukte jetzt auch singen? Immerhin kommen auch Duftessenzen im Text vor.

auf dem Dressur Viereck - kenne mich im Pferdesport nicht aus, würde es aber für ein zusammengesetztes Wort halten, welches man auch zusammen schreibt.

nichts sagenden - das ist son'ne Sache. Ein nichts sagender Mensch ist etwas ganz anderes als ein nichtssagender Mensch.

Problem Erörterungen - auch so eine falsche Auseinanderschreibung.

angesichts ihrer gesellschaftlichen Stellung, kostetet es sie - hier kommt kein Komma

Pferdesport Messe - man könnte auch mal einen Bindestrich wagen, wenn es den partout auseinander soll

usw. ...

Wie gesagt, ein bisschen nachgebessert, dann würde der Text erheblich gewinnen. Es ist ja nicht so, dass andere Texte weniger Fehler enthalten, eher mehr, aber dieser hier klingt so ambitioniert, deshalb meine Hinweise.

MfG
Binsenbrecher
 

John Wein

Mitglied
Werter Herr Binsenbrecher,

Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, diesen recht umfangreichen Text nicht nur zu lesen, sondern auch zu bewerten, Anregungen zu machen und auf Fehler hinzuweisen. In der Tat treibt es der Stil, und in diesem Falle ich, in/mit seiner Manieriertheit ein bisschen weit und das ist mir sogar bewusst. Manchmal verliere ich mich vor lauter Schönheit der Buchstaben im Wortgebräu und Satzgebälk. Bei Jonathan Franzen las ich einmal: „die deutschen Vokale klingen wie reife Pflaumen“. Das ist es! …und so galoppieren die Gäule schon mal durch im Dressur-Viereck auf dem Messe-Gelände und in die helle Sonne hinein, wohlan!

Die frohsinnige Essenz ist, wie erwähnt, eine Metapher, keine aromatische Duftnote und soll beabsichtigt zum Ende hin abrundend, die alltäglichen Gewohnheiten wieder zurecht und ins Bild rücken. Die weitergehende Zeit geht weiter ihren gewohnten Gang im hinteren Birkenweg.

Nun, Komma, ich bin ein kleiner Amateur-Schrifter mit einem großen Herzen für das Plüschige und einer Rechtschreib-Vita, die auf dem Sockel der 50 und 60ger Jahren fest betoniert ist. Ich kann einfach nicht mehr raus aus dem zugigen Turmzimmer in den wohltemperierten aber ungewohnten Salon der neuen Orthographie. Ich schreibe halt immer noch mit Tinte und Gänsekiel auf Birkenrinde und der Herr Google übernimmt das Handwerkliche ohne Bezahlung. Man bräuchte einfach nur einen Lektor, der das Ganze preiswert ins Reine bringt und im Umbruch sacht zurechtrückt. Vielleicht demnächst gebührlich bei Aldi, Lidl und Co.

Auf jeden Fall gilt mein Dank deinen geschätzten Anregungen. Ich schlage derweil wieder die Beine übereinander und mache es mir gemütlich im Ohrensessel am prasselnden Kaminfeuer. Prost!

John
 



 
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