Widergängerin

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Mitglied
(ein Verrat)



Ich mochte deinen schiefen Vorderzahn!
Doch unlängst hast du ihn begradigt.
Heißt das, du hast jetzt die dem Schönheitswahn
anhängen kehrtwendend begnadigt?

Die feinen Fältchen rund um Aug und Mund -
sie zeigten, dass du gerne lachtest
über gesichtsgestraffte Eitle und
dass du an würdevolles Altern dachtest.

Die Haut gezurrt, getackert hinters Ohr,
zieht nun auch dir die Mundwinkel nach unten.
Doch gaukelt glatt allein nicht Jugend vor;
dein altes Ich hab ich nicht mehr gefunden.

Stattdessen schloss zuletzt beim Lachen
ich meinen Mund (du weißt; mein Vorderzahn)!
Es macht etwas mit dir, wenn's alle machen.
Noch hilft, dass ich dich nicht erkennen kann.





.jan_2024
 
Zuletzt bearbeitet:
G

Gelöschtes Mitglied 28334

Gast
Der Schönheitswahn gleicht mittlerweile einen Meme, das dafür steht, dass wir uns selbst Individualismus verbieten. Wir Nieten.
Mittlerweile habe ich ja auch Falten und weiße Haare und ich merke deutlich, dass ich keine 20 mehr bin, aber diese verzweifelte Suche
nach ewigwährender Jugend und Schönheit kann ich so nicht nachempfinden.

Übrigens: Ist das LI und das LD dasselbe lyrische Element? Spricht das LI zu sich selbst?

lg Matze
 

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Mitglied
Ist das LI und das LD dasselbe lyrische Element? Spricht das LI zu sich selbst?
Nein, das wäre jetzt zu weit gedacht, Logi.

Da ist eine Bekannte gemeint, die diesem Wahn
ewigwährender Jugend und Schönheit
letztlich doch erlegen ist. Im entfernten Bekanntenkreis hat's klein angefangen und man hat noch gemeinsam darüber den Kopf geschüttelt. Gruselig, wenn es einem dann doch so nahe kommt. Und vom Resultat red ich erst gar nicht. Wenn Stirn und Oberlippe sich beim Sprechen nicht mehr mitbewegen und das Gesicht nicht die Geschichten miterzählt, die aus dem Mund kommen, packt mich das leise Grauen an. Ich frage mich, was und wie sich diese Personen im Spiegel wahrnehmen. Die müssen doch sehen, was ich sehe...tun sie aber offensichtlich nicht.

das dafür steht, dass wir uns selbst Individualismus verbieten
Seh ich auch so. Unsere Altersspuren erzählen doch unsere individuelle Geschichte mit. Und ehrlich gesagt finde ich natürlich gealterte Gesichter genau deshalb anziehend. Inzwischen siehst du aber in allen Medien Gesichter jeden Alters so heftig glatt- und weichgezeichnet, dass sie gleich eine 3D Animation der Personen zeigen könnten. Gru-se-lig! Weil soooo unnatürlich! Wer will das?

Danke fürs Vorbeischauen!
LG,
fee
 
G

Gelöschtes Mitglied 28334

Gast
Ich frage mich, was und wie sich diese Personen im Spiegel wahrnehmen.
Hey Fee,

ich glaube, die Leute nehmen sich immer auf die gleiche Weise wahr. Wie jemand, der viel abnimmt, aber im Spiegel immer den gleichen "Fettsack" sieht.
Deswegen verlieren viele sich in weiteren Maßnahmen und fallen dann in einen Teufelskreislauf.
Die Ursache ist mental, ein fragiles Ego, das denkt, es könne sich stärken durch äußere Maßnahmen. Das erzeugt eine gewaltige Abhängigkeit, ähnlich wie mit Nasenspray.

Im Moment kann man das wunderbar in Fitnessstudios beobachten. Der neuste Begriff, auf den ich stieß, lautete "Skinny-Fat". Schlanke Typen mit einem normalen, aber undurchtrainierten Körper. Es gibt kaum noch Frauen, die ohne Gesichtskorrekturen leben können und jeder meiselt sich den alten griechichen Adoni entgegen, da sie sich sonst völlig entwertet fühlen.

Wo soll das noch hinführen?
 

Galadriel

Mitglied
die glattgezogne Maske
versteckt, was offensichtlich ist
ein Maskenball der besonderen Art

Ich liebe jedes einzelne Fältchen
erzählen sie das Leben

lg
 
Inhaltlich bin ich voll bei dir, und vor allem das Ende fand ich sehr interessant - dieser Umschwung zurück zum LI, und die Erkenntnis, dass man plötzlich anfängt, sich für die eigenen kleinen "Macken" zu schämen, nur deswegen, weil Andere sie "beheben". Ich find's sehr schön, wie Z1 in Z14 wieder aufgegriffen wird!

Von der Form her finde ich den dritten Vers am gelungensten. Bei den anderen musste ich etwas stolpern, vor allem:

Heißt das, du hast jetzt die dem Schönheitswahn
anhängen kehrtwendend begnadigt?
Das musste ich mehrfach lesen, um zu verstehen, was gemeint ist.
 

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Mitglied
Herzlichen Dank, prewarmarklin,

fürs Vorbeischauen und die Rückmeldung. Freut mich, dass du die Absicht des Kreis-Schlusses von Z1 und 14 bemerkt hast und gut findest. Ja, man wird durchlässig, wenn es sich dann doch näher an einen heranschleicht...aber die abschreckenden Resultate verfehlen dann bei mir doch ihre Wirkung nicht.

Das musste ich mehrfach lesen, um zu verstehen, was gemeint ist.
Ja, ist ein bissl eine Challenge. Das geb ich zu. Bin mir da auch nicht sicher, ob nicht der eine oder andere Beistrich hingehört...die sind aber meine Schwachstelle und ich glaube eigentlich, es gehört keiner hin. Auch, wenn das ev. beim Lesen helfen könnte. Einer nach "anhängen"? Hm...vielleicht weiß es ja jemand, der da firmer ist als ich. :cool:

Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, es zu dechiffrieren! :) Und für die Sternchen auch!

LG,
fee
 
Hi Fee,

ah, ich weiß jetzt, woran es liegt - eigentlich müsste es entweder "du hast jetzt die dem Schönheitswahn anhängenDEN" oder "du hast jetzt die, DIE dem Schönheitswahn anhängen" heißen.

Vorschlag vielleicht so in der Richtung:

Ich mochte deinen schiefen Vorderzahn!
Doch unlängst hast du ihn begradigt.
Du hast wohl alle, die dem Schönheitswahn
anhängen in der Kehrtwende begnadigt?

LG
 

petrasmiles

Mitglied
Inhaltlich bin ich voll bei dir, und vor allem das Ende fand ich sehr interessant - dieser Umschwung zurück zum LI, und die Erkenntnis, dass man plötzlich anfängt, sich für die eigenen kleinen "Macken" zu schämen, nur deswegen, weil Andere sie "beheben".
Das ist das Herausragende an dem Text, dass er nicht bei der 'Kritik' stehen bleibt, sondern auf die Wirkung des Kritisierten hinweist.
Ich würde das aber nicht so allgemein fassen - obwohl man das natürlich kann.
Ich sehe das eher als so ein Frauending'.

Zum einen die überkommene Anforderung als 'Objekt der Begierde'. ich hatte mal eine gute Freundin, etwa sieben Jahre älter als ich, die beklagte, dass sie als Verheiratete und dann mit Kind gar nicht mehr wahrgenommen würde. Ich habe das damals nicht verstanden. Ich habe diese 'begehrlichen Blicke' nie gebraucht und fühlte mich nie 'übersehen'. Im Gegenteil hatte ich immer die Erfahrung gemacht, dass ich mich nicht 'verstecken' konnte, weil ich immer Anteil nahm, was um mich herum passierte und mich einbrachte und dementsprechend 'präsent' war. Daran hat sich in den Jahrzehnten seither auch nichts geändert.
Diese Freudin hat dann angefangen, ihre Haare zu färben, sobald sich die ersten grauen Haare zeigten. Das ist eindeutig ein Fall des Selbstwertes und wie man ihn sich selbst beimisst.

Zum anderen macht der Alterungsprozess etwas mit einem. Selbst ich nerve meinen Mann zweimal im Jahr, 'Mensch, jetzt ist da aber wirklich ganz viel weiß an der Stirne, und ob ich dann nicht so ein bisschen tönen sollte ... sein gebrummtes 'das brauchst Du nicht' und 'Du siehst nicht alt aus', beruhigt mich dann wieder eine Weile. Bei aller Lebendigkeit und geistiger Rege - das Selbstbild und das im Spiegel, die haben eine zunehmende Tendenz, auseinander zu fallen und gemahnen brutal: Du lebst nicht ewig. Man sieht Dir den Verfall an. Du wirst sterben. Dann ist es nur noch die Frage, ob man dem Selbstbetrug anheim fällt, man könnte durch optisches Aufhübschen an diesen Tatsachen etwas ändern.
Ich tendiere dazu, mir im Spiegel in die Augen zu schauen und mir mein Alter zu nennen. Dann geht es wieder. Was mich natürlich nicht davon abhalten wird, meinen Mann in einigen Monaten mit der Frage zu nerven, ob ich immer noch die Schönste für ihn bin :D

Liebe Grüße
Petra
 

sufnus

Mitglied
Hey Fee!
Ich mag (und mochte in der Ausgangsfassung noch mehr!), dass dieses Gedicht eben nicht formal völlig begradigt ist, sondern einige metrische Sprachfältelungen, den allzu glatten Lesefluss hemmen plus (im Original) die grammatische Kühnheit, des unvollständigen Relativsatzes. Während das in einem Schulaufsatz ein A für Ausdruck vom olllen Lehrkörper gäbe, ist das allerdings in der Lyrik schon statthaft. Wenn es Dir so besser gefällt, umso schicker, aber die Originalfassung hätte ich auch für voll OK gefunden (gerade in ihrer etwas schwereren Lesbarkeit). :)
LG!
S.
 

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Mitglied
Liebe Petra, lieber sufnus,

recht herzlichen Dank für die Rückmeldungen und euer Mitgehen! Bin heute etwas kopflahm, daher gehe ich ein andermal auf deine spannenden Ausführungen ein, liebe Petra.

Danke, sufnus, für den "unvollständigen Relativsatz". Ich wusste, es gibt diese Form, aber nicht mehr, wie sie heißt. Und dann war ich plötzlich etwas verunsichert ob meiner eigenen sprachlichen Courage.

Hab's jetzt nur zu gerne wieder in den Urzustand zurückversetzt. Danke für die Bestärkung!

Liebe Grüße,
fee
 

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Ich sehe das eher als so ein Frauending'.
Ah, hm. Weiß nicht. Die Männer ziehen - wenn man letzten Statistiken über Schönheits-OPs und Konsum von Beauty-Produkten Glauben schenkt - inzwischen recht ordentlich nach, liebe Petra.

Und die machen sich untereinander nicht anders Druck, was das Aussehen (hier vielleicht eher auf Trainiertheit des Körpers fokussiert) angeht, als die Mädels, wie ich es sehe.

Das ist eindeutig ein Fall des Selbstwertes und wie man ihn sich selbst beimisst.
Ja. Sehe ich auch so. Ich war immer schon recht burschikos und wurde daher als junges Mädchen meistens eher als Kumpel von den Jungs wahrgenommen. In einer bestimmten Phase hat mich das schon sehr genervt und ich wäre gerne auch so hübsch und anziehend gewesen wie manche meiner Klassenkameradinnen. Dann aber war ich mit einer sehr attraktiven Schulfreundin in unseren Studienjahren öfters abends unterwegs und musste regelmäßig beobachten, wie sie sich vor aufdringlichen Kerlen kaum schützen konnte (manchmal hab ich auch den Barkeeper bitten müssen, einzuschreiten....meine Freundin jedenfalls brachte das Wörtchen "nein" nicht einmal ansatzweise über die Lippen, egal, wie körperlich aufdringlich da mancher schon wurde). Da war ich dann zum Einen dankbar, dass ich dieses Problem nicht hatte, aber auch verwundert zum Anderen, dass sie - gerade wo sie solche "Macht" über die Männer zu haben schien - es nicht schaffte, ihre Grenzen abzustecken und sich zu schützen. Das war irgendwie schon gruselig anzusehen und ich vermute aus heutiger Sicht, dass sie sich hauptsächlich über diese Wirkung auf die Jungs definierte. Wieviel Stress ihr das aber regelmäßig bereitete, werd ich nie vergessen und ich bin dann auch nicht mehr mit ihr ausgegangen. Auch, weil ich neben ihr natürlich Luft war und das trug nicht gerade zur Förderung meines Selbstbewusstseins bei damals. :cool:


Diese Selbstdefinition über das Äußere scheint manchen so dermaßen wichtig zu sein für das Selbstbewusstsein...und ich vermute, wer auffallend hübsch geboren wird, läuft da schon mal rascher Gefahr, da reinzurutschen. Und das ist auch verständlich, wenn man beobachtet und - aus Untersuchungen - weiß, wieviel leichter es schöne Menschen im Leben haben, weil sie unbewusst in vielen Situationen besser behandelt und bevorzugt werden. Dass man sich das so lange wie möglich erhalten will, ist nachvollziehbar.

Ich frage mich halt immer, zu welchem Preis? Und außerdem habe ich gottlob früh die Erfahrung gemacht, dass dich - wenn du weniger auffallend schön bist - dafür auch die Menschen "finden", die dich für das schätzen, was du alles bist und tust, und nicht nur für deine äußere Hülle. Und der Mensch, den du liebst, ist für dich auf eine Art schön, die sich nicht mittels Messlatte ermitteln lässt. Und so ist es gut und soll es auch sein. Denn das hat Bestand. Und darf in Würde altern und reifen.

LG!
 



 
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