Wie der alte Griesgram ein Stück vom Regenbogen fand

Krischan

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Es war einmal ein Land, das von seinen Bewohnern Griesenland genannt wurde.
Griesenland reichte ungefähr von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und von den Küsten des Meeres bis zu den Gipfeln der Berge. Die Meeresgriesen durften aber soweit auf das Meer fahren, wie sie griesische Fische fangen konnten.
Auf den Landkarten seiner Zeit war Griesenland mehr lang als breit. Seine Grenzen waren zickelig und zackelig, denn um den Frieden zu bewahren, hatte man sich mit seinen Nachbarn vor langer Zeit verständigt, welchen Namen die Berggipfel bekommen sollten, wer diese Weide bekam, jene Wasserstelle, wo die Mitte der Grenzflüsse verlaufen sollte und wie die großen Bäume verteilt wurden, unter denen die Schafe und Schweine der Grenzbewohner weideten. Etliche Kriege und Scharmützel hatte es auch gegeben, aber nun war seit langer Zeit Frieden und so sollte es bleiben.
Die Griesen waren ehrbare Landbewohner. Sie kannten Sonnenauf- und Sonnenuntergang nur von vor den Türen ihrer Behausungen und wer nicht dort geboren war, kannte das Meer und die Berge schon gar nicht.
Dort, wo die Landkartenmaler so richtig dunkles Grün genommen hatten für die tiefen Wälder und schwarze Punkte für die Moore und Pfuhle, lebte der alte Griesgram.
Der alte Griesgram hatte nur ganz wenige Haare auf dem Kopf. Umso mehr hingen aus seiner riesigen Nase heraus und richtig war an der Nasenspitze immer ein Tröpfchen zu sehen, was machte, dass er ständig schniefte. Jeden Morgen musste der alte Griesgram einen großen Klumpen fetten grünen Schleimes abhusten, der sich in der Nacht in seine Brust gelegt hatte.
Vom Husten hatten sich an seinem Hals Kehllappen gebildet, wie eine alte Echse sie hat und seine Zähne waren aus Ahornholz.
Das mit den Zähnen kam so: Als er noch ein junger Griese war, passte er bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Baumstammwerfen, nicht richtig auf. Außerdem lutschte er aus lauter Langerweile immer auf kleinen Kieselsteinchen rum. Wir wollen ja ehrlich bleiben. So hatte er oben schon bald keine Zähne mehr und unten nur noch vorne im Mund.
Nun wissen die Waldgriesen sich seit Generationen selber zu helfen. Es gilt, sich mit einer kleinen Säge schmale Holzstückchen aus einem Baum mit hartem, hellem Holz heraus zu schneiden. Die werden an einem Ende ganz spitz angeschliffen. Echte Waldgriesen rammen sich die spitzen Enden mit einem genauen Hammerschlag selbst in den Kiefer und schmieren die Wunden mit Schlamm zu. Man muss den Schlamm aber so lange auf dem Zahnfleisch behalten, bis er hart wird und von selbst abfällt. Ahornholz eignet sich am besten. Es ist hart und hält ein Leben lang. Man kann es auch mit ganz feinem Sand abschleifen und hat wieder wunderschöne Zähne, aber auf Kieseln sollte man nicht mehr rumlutschen.
Manche lassen sich von Birkenholz blenden, weil es so schön ist. Birkenholz bekommt aber nach zwei oder drei Jahren schwarze Flecken und die Zähne sehen dann so aus wie deine, wenn du sie dir nicht gründlich putzt.
Im Wald des alten Griesgram leben seit allen Zeiten wundersame Wesen. Es gibt sie in allen Wäldern, nur sehen wir sie nicht, seit wir in Städten wohnen und uns nur noch um uns selber kümmern.
Als sein Haar noch voll war, seine Pranken noch weich, kurz, als er noch ein so junger Griese war, dass er sich nicht vorstellen konnte, jemals ein alter Griesgram zu werden, ging er jeden Tag tief in den Wald. Manchmal wuselte ein geschäftiger Zwerg an ihm vorbei. Dann hob er seine Mütze und grüßte freundlich: „Guten Tag, Gevatter.“ Jedes einzelne Mal sagte er Gevatter, denn Zwergenfrauen gibt es nicht. Zwerge erhalten ihr Volk, indem sie einen Popel dicht neben einer verrottenden Eichenwurzel eingraben. Es muss aber ein reifer Popel sein mit Nasenhaaren dabei. Wenn kein gefräßiges Wildschwein auf der Suche nach Eicheln und Engerlingen vorbei kommt und es ein wenig regnet, buddelt sich nach ungefähr 21 Tagen und Nächten ein neuer Zwerg aus dem Boden und flitzt sofort los, seine Gevattern zu suchen.
Das Ziel unseres jungen Griesen war an jedem Tag die Lichtung hinter dem Eichenwald. Genau, dort wo das Bächlein murmelt. Er achtete sich, zur Mittagssonne dort zu sein und sich im Schatten zu verbergen, denn er wollte die Elfen beim Tanzen sehen.
Die Krokusse standen in voller Pracht, die Weidenkätzchen blühten und die Säfte in seinem Körper taten es ihnen gleich. Zu unseren Zeiten würde er respektvoll in die Mitte des Elfenreigens treten und fragen, ob eine den Platz am anderen Ende seines Tisches einnehmen wollte, aber tatsächlich schnappte er die, die unvorsichtig an seinem Versteck vorbeischwirrte und entführte sie in seine Behausung.
Scheltet ihn nicht. Viele Waldgriesen starben allein auf verrotteten Anwesen.
Und auch Elfen werden nicht aus Blütenstaub geboren.
Um das Elfengeschlecht am Leben zu halten, spinnen sie in jedem Sommer, wenn die Sonne ganz im Süden steht, zarte Fäden um Menschensöhne, die sich auf der Lichtung verirren und paaren sich mit ihnen. Denn es gibt keine Männer im Elfenreich.
Nur Jungmänner konnten Elfen sehen. Als der junge Griese nach seinem Frevel zurück blickte, war die Lichtung leer. Sie mögen sich erschreckt haben, dachte er. Aber er ging für eine lange Zeit nicht zur Lichtung zurück und auch an anderen Orten zeigte sich ihm niemals mehr eine Elfe.
Von seinem Raub fiel der Zauber des unbeschwerten Flatterns und Tanzens ab. Es sah nur noch wenige Sommerblumen und die Sonne konnte ihre Strahlen nur spärlich durch die Eichenstämme schicken, so sehr sie sich auch mühte. Weil es nur noch Blättersaft bekam, statt süßen Blütennektars, verkümmerten die Flügel des Elfleins und verschwanden nach kurzer Zeit ganz.
So verkümmerte auch seine Erinnerung. Zurück blieb eine kleine Sehnsucht, aber es wusste nicht mehr, wonach.
Das Elflein hatte rote Haare und eine Haut wie aus Porzellan. Seine grünen Augen konnten strahlen wie die Sonne und sie konnten Blitze schleudern, die den Kopf seines Gegenübers zwischen den Schultern verschwinden ließen. Wie alle Elfen war es sehr zierlich, fast nicht zu sehen und einen Schatten hatte es auch nicht. Dem jungen Griesen reichte es, mochte es sich auch recken und strecken, mal eben so bis zur Schulter. Und doch war es mit einer unendlichen Macht über alles, was gut ist, ausgestattet.
Und es gebrauchte seine Macht immerfort, denn es war zu allen seinen Zeiten eine Elfe.
Schon am nächsten Morgen schlug unser Elflein mit dem ersten Sonnenstrahl die Augen auf und besah sich das Rumpel und Pumpel in der Behausung. Dann lüftete es das schwere Sackleinen, welches ihm als Decke dienen sollte, trat heraus auf das Anwesen, stützte seine Hände in die Seiten und sagte: „Ach herrjeh!“
Als der junge Griese vor die Tür getreten war, sich räkelte und sträkelte, wartete es, bis er sein Wasser abgeschlagen hatte und bat ihn, sich die Hände in der Regentonne zu waschen.
Dann sah es ihn aus sonnenwarmen grünen Augen an und sagte, dass es hier unter diesen Umständen nicht leben könne.
„Aber es ist meins.“ sagte der junge Griese verdutzt. „Und du bist meins.“
„Bis zur gestrigen Mittagsstunde war ich meins.“ sagte das Elflein darauf. „Und du bist deins gewesen. Nun sind wir uns. Willst du, dass es so bleibt?“
Da schwieg er. Mit seinem Raub wollte er sich eine neue Hälfte dazu gewinnen. Nun forderte sein Zugewinn sich eine Hälfte ein. Das hatte er nicht bedacht.
Ein leichter Schatten legte sich auf seine Stirn und er sagte: „Nun mach.“
So holte sich das Elflein ein wenig Sommerwiese und Sonne in seine neue Behausung zurück.
„Lass uns Moos holen.“ sagte es. „Ich webe uns Bettzeug daraus. Schneide runde Holzscheiben, auf die wir unsere Speisen legen. Kannst du hier ein Loch in die Wand machen? Dann scheint die Sonne herein und der Rauch von der Herdstelle zieht ab. Am besten streust du noch frischen Sand auf den Boden und vor die Tür. Und willst du nicht einen Garten anlegen? Wir wollen es doch schön haben.“
So tat der Griese. Über schöne Dinge hatte er bisher nie nachgedacht. Er war zufrieden mit dem, was war. Aber wenn das Elflein es schön hatte, bekam er vielleicht die Hälfte seiner Ruhe zurück. Ausserdem war das neue Bettzeug viel leichter und wärmer als das alte Sackleinen und es roch so gut nach Wald und Erde. Er legte sogar einen Eichenboden in die Behausung, dem Elflein zu gefallen.
Das Elflein blickte den neuen Fußboden von oben herab an und dann den Griesen von unten herab, rümpfte sein Näslein leicht und sagte: „Gut.“ Denn es hatte keinen Anteil an der Entscheidung gehabt und war darüber leicht verschnupft.
So wirbelte das Elflein durch Behausung und Anwesen. Ohne, dass es das wollte, ergriff seine Macht Besitz über mehr als die Hälfte. Denn es dachte, dass alles gut war und so war es.
Über die Stirn des Griesen zog ein weiterer Schatten. Er wusste, dass es gut war, was sein Elflein gemacht hatte und in seinem Herzen ganz unten spürte er, dass das Elflein gerade das zum Überleben brauchte, aber er war ein einfacher Waldbewohner und sein Horizont war nicht weit. So grob sein Bettzeug auch gewesen sein mag, es war seins gewesen, ebenso der Geruch von hunderten Mahlzeiten an seinen Behausungswänden und vor allem vermisste er die gesegnete Ruhe.
Denn so, wie das Elflein von Blüte zu Blüte geflattert war, so summte, sang und sprach es. Kaum hatte er über die eine Frage nachgedacht, gab es schon die Antwort oder stellte die nächste Frage.
„Sieh dort, der Schmetterling.“ sagte es, als er darüber nachdachte, wann er die Knüften für das nächste Jahr in den Boden stecken sollte. Und als er fragend aufblickte, sagte es: „Du alter Griesgram.“ und lachte ihn an. So sind Elfen.
Gern hätte er gedonnert aus seiner mächtigen Brust, auf der sich zu diesen Zeiten noch kein Haar kräuselte. Aber es wäre nicht richtig gewesen.
Er nahm seine Worte zusammen und sagte: „Es ist gut, was du tust. Ich verstehe, dass du dir dein Teil Wiese und Sonne holst. Aber ich sehe mein Teil nicht mehr.“ Zwischen seine Augen zog eine steile Falte, denn es fiel ihm schwer, so viele Worte zu sagen.
Das Elflein sah ihn aus seinen sommerwarmen grünen Augen an: „Dann sollst du die Macht über alles zurück bekommen, was grob ist. Das war dein und soll deine Hälfte bleiben.“
So bekam der Griese die Macht über sein Anwesen zurück und über die Hälfte vom Untergeschoss.
Immer, wenn er draussen
werkelte und schnerkelte,
hämmerte, bis es dämmerte,
Teichlein aushub und Plänzlein eingrub,
Pflänzlein goss, dass alles spross
Hier schnibbelte und da hibbelte,
Brennholz machte, dass es krachte,
und Blümelein pflückte,
dachte er daran, ob es auch das Elflein entzückte.
Und das Elflein tat es ihm kund. Aber erst musste er fragen.
Das Elflein wiederum, wenn es
Wuselte und schnuselte,
flitzte, bis es blitzte,
guter Dinge Musbeerlinge
weckte, dass er sich die Finger leckte,
Moosbetten wob. Auf die Bettlager hob.
briet und kochte, was er mochte,
legte noch ein Thymeleinzweigelein
zwischen die Klüftelein, ihm lieb zu sein.
Fragte es: „Schmeckt es dir?“, dachte er:
Sieht sie es nicht, mein Teller ist leer.
Und rülpste, denn es schmeckte ihm sehr.
Da blitze das Elflein aus seinen grünen Augen, wurde still und merkte es sich.
Am liebsten traf sich der Griese mit den Griesen der umliegenden Landschaften zum Baumen. Andere Waldgriesen waren da, Wiesengriesen und Griesen aus den kleinen und großen Höfen und Anwesen.
Baumen ist, wenn Griesen einen großen Baumstamm zu einem der weiten Pfuhle schleppen und sich rittlings darauf setzen um ihn im Takt mit ihren Pranken durch das das schlammige Wasser zu treiben.
„Eins, zwei, drei und vier!
Nach dem Baumen trinken wir.
Bier, Bier, Bier und Bier!
Eins und zwei und drei und vier!“
Hui, wie flog der Baumstamm durch den Pfuhl!
In den vielen Baumerjahren war aus dem Griesen der alte Griese geworden. Er liebte das Baumen und die anderen Baumer achteten ihn mit Ehr und Furcht.
Ab und zu setzte sich ein Elflein vorn auf den Baumstamm und bimmelte: „Eins, zwei, drei und vier.“ Jungbaumer sahen es und streckten sich nach ihm. Und den alten Baumern flog ein Lächeln über die zerfurchten Gesichter, wenn die Jungbaumer sich streckten.
Zieht auch dir manchmal unverhofft ein Lächeln übers Gesicht?
Vielleicht ist ein Elflein an dir vorbeigeschwirrt. Glaube daran, ich will es dir raten.
Sah es aber einen Regenbogen, flog es auf ihn zu und unter ihm hindurch. Von dort, aus den Ländern jenseits des Regenbogens sind die Elfen gekommen, Licht und Fruchtbarkeit bringend.
Dort kommst du auch hin, wenn du ein redliches Leben geführt hast.
Nun begab es sich, dass ein Elflein in den Pfuhl fiel. Es war zu dicht über das Schlammwasser geflogen oder ein Windstoß hatte es heruntergepustet. Im Pfuhl lebte ein uralter Schnorgel, der nur ein Auge hatte und einen riesigen, moosigen Puckel. Wie das Elflein von oben so herabtaumelte, dachte er, dass es eine Lilabelle wäre und zog es mit seiner Zunge herunter.
Da war es um das Elflein geschehen.
Traurigkeit zog über das Land. Die Elfen hörten auf, zu tanzen und weinten drei mal dreißig Tage.
Es verdorrten das Gras und die Waldblumen, denn die Elfen tanzten nicht mehr.
Jungmänner kamen betrübt von den Waldlichtungen zurück, denn die Elfen tanzten nicht mehr.
Kaum noch jemand ging in die Wirtshäuser oder lachte gar, denn die Elfen tanzten nicht mehr.
Matt versank die Sonne hinter dem weiten Pfuhl und die Baumer ließen das Baumen sein.
Nur die Flattermäuse taumelten in der Abenddämmerung und manche Tage sahen Griese und Elfe ihnen still zu.
Die Elfe verstrahlte wie eh und je ihre Macht über das, was fein war und wie alle großen und kleinen Herrscher konnte sie trefflich die Verantwortung beklagen, die mit der Macht einhergeht. Durch die Lichtöffnung sah sie zu, wie die Schkollinge dem alten Griesen die Erde aus den Fingernägeln pickten. In ihren braunen Jacken wirkten sie ihm vertraut. An manchen Tagen warf er ihnen eine Handvoll Hartkörner zu und erfreute sich an ihrem Gewusel und dem zänkischen Tschilpen. Auch liebte er die runden Stechschnägel, denen er Blätterbetten für den Winterschlaf in den Ecken seines Anwesens anhäufte. Manchmal jonglierte er einen oder zwei mit seinen Pranken und kicherte dabei.
Nur die Elfe durfte es nicht sehen.
Als die Bögen der Sonne kleiner wurden, war für das Jahr alles auf dem Anwesen getan. Der Machtbereich des alten Griesen ging schlafen. Orkelfen übernahmen die Herrschaft über die Dunkelheit. Sie saugten an den Rippen des Blattkohls und wenn er fluchend mit seiner riesigen Klatsche zwischen sie fuhr, spritzten sie auseinander und lachten den alten Griesen mit spitzen Zähnen aus.
Immer länger saß er hier oder dort und stierte. Betrachtete seine rissigen Pranken und seine Kehllappen im Waschwasser. Suchte nach der Zeit. Sah sich im Geiste schwinden und sagte: „Ach ja.“
Vom Stieren wurde die Falte zwischen seinen Augen tiefer, da nannte die Elfe ihn einen Griesgram.
Saß er der Elfe im Wege, in welcher Ecke er sich auch versteckte und grummelte, nannte die Elfe ihn einen Bösgram.
Drei mal Dreißig Tage waren fast vorüber, als der alte Griesgram in der Morgendämmerung einen Baumstamm vom Ufer des weiten Pfuhls abstieß und ihn leise von hier nach da trieb. Lästige Orkelfen wehrte er mit einer Hand ab oder er ließ sie ihn piesacken.
Er war des Stierens schon lange überdrüssig geworden. Also ging er auf die Suche nach – erwusstenichtwas. Er hob die Bettstelle, stieg auf einen Schemel, um hinter dem Regal zu schauen, kehrte die Feuerstelle aus und suchte in der Asche. Da stemmte die Elfe ihre Arme in die Hüften und sagte: „Was immer du suchst, suche es bei dir.“
Noch vor der Morgendämmerung zog er seine Stiefel an, denn seine Nächte waren kurz geworden. Alte Gartenerde hatte sich an die Sohlen angehaftet. Sie wollte lieber im Warmen bleiben und verließ die Stiefelsohlen, noch bevor der alte Griesgram die Tür der Behausung leise schloss. Die Elfe schüttelte liebevoll ihren Kopf auf der Bettstelle und machte die Augen wieder ganz zu.
Zick und zack, so baumte der alte Griesgram über den Pfuhl. Wünschte den Flattermäusen einen guten Tagesschlaf und schaute. Oh, das Wasser war gefallen. Seine nackten Füße schleppten auf dem schlammigen Boden entlang und oftmals musste er Moderinseln ausweichen, dort, wo noch Wasser gewesen war. Bevor das Elflein in den Pfuhl fiel.
Hier hatten die Winterstürme Äste und Laub herab geweht, dort schwammen Schilfbülten und seht mal, in der Mitte des Pfuhls trieb bauchoben ein toter Schnorgel. Ein mächtiger Schnorgel war es. Was mochte ihm das Leben ausgeblasen haben?
War es die Dunkelheit, war es der Hunger oder war seine Lebensuhr abgelaufen?
Neugierig baumte der alte Griesgram heran. Vielleicht wollte er ja den Schnorgel suchen?
Ja, das war es! Den Kopf des größten Schnorgels mitsamt dem Puckel würde er sich über der Behausungstür anbringen und die anderen Griesen würden vorbeikommen und achtungsvoll nicken.
Aber was blitzte dort im Schnorgelschleim? Ein Elfenflügelein war es, knitterig und ohne Leben zwar, aber es war ohne Zweifel eines. Wenn er durch seine schimmernde Haut in die rote Morgensonne blickte, konnte er die Farben des Regenbogens sehen.
Da ließ der Griesgram Schnorgel und Puckel sein, steckte das Flügelein in den Umschlag seiner Mütze und baumte schnell zum Ufer zurück. Still hielt er den Kopf dabei. Wie er die Sehnen spürte, die den Hals mit dem Rumpf verbanden, die Schultern und die Arme! Breit spreizte er die Finger, um die Fläche seiner Pranken groß zu machen. So groß es ging.
Tief hastete er in den Wald hinein. Zog nicht seine Mütze vor den Zwergen, rief nur einen hastigen Gruß.
Sein Ziel war die Lichtung hinter dem Eichenwald. Dort, wo das Bächlein murmelt.
Noch lange zog die Sonne ihre Bögen nicht über die Baumwipfel. Nur schwache Strahlen schickte sie durch die Stämme auf den verdorrten Boden. An den Rand eines Sonnenflecks bettete der alte Griesgram das Elfenflügelein. So, dass der Sonnenstrahl ganz über es hinweg ziehen konnte. Dort, wo das kleine Sonnenlicht durch das Flügelein auf den Boden schien, passierte etwas wunderbares.
„Seht, ihr Elfen“, rief er. Nicht allzu laut und seine Stimme zitterte dabei. „Es wird grün!“
Dann trat er zurück in den Schatten.
Grüne Flecken huschten über die Lichtung, um sich in einem Kreis zu finden. Die Elfen umringten das, was der alte Griesgram von ihrer Schwester gefunden hatte, fassten sich an den Händen und nahmen Abschied.
Zwei dicke Tränen kullerten da über sein Gesicht und fanden sich unter seiner Nasenspitze wieder.
Leise schniefte der alte Griesgram. In seinem Herzen begann ein kleines Licht zu glimmen,
scheu und rot zuerst.
Die Elfen werden wieder tanzen. Bestimmt werden sie das.
Froh ging er durch den Eichenwald zu seiner Behausung zurück. Bei manchem Schritt zuckte ein Bein, als wolle es hüpfen.
Wie er so kam sah die Elfe aus der Lichtöffnung, wie ein schüchternes Licht begann, sich auf seinem Gesicht Platz zu schaffen. Es fiel ihr ein Stein vom Herzen. „Da ist ja mein alter Griesgram!“ rief sie und fiel ihm um den Hals. Seine Knie gaben ganz leicht nach, denn in den Jahren war der Elfe ein Schatten gewachsen, sein eigener dagegen um manches schmaler geworden.
„Du hast da was.“ sagte sie und gab ihm einen Stipser auf die Nase.
Längst tanzten die Elfen wieder ihren Reigen. Der alte Griese ging oft in der Morgendämmerung durch den Eichenwald zur Lichtung. Sah er einen Zwerg, zog er seine Mütze und sagte: “Einen schönen guten Tag wünsche ich, Herr Gevatter.“ Der Zwerg schüttelte dann leicht seinen Kopf und ging weiter seinen Beschäftigungen nach.
Elfen konnte der alte Griese nicht mehr sehen, aber Sonnenflecken, die über die Lichtung huschten. Manchmal stipste ihn etwas leicht auf die Nase.
Da zog ein Lächeln über sein Gesicht.
So lebten die Elfe und der alte Griese viele tausend Sonnenauf- und Sonnenuntergänge schiedlich und friedlich. Verstanden sich selten. Zweifelten aneinander und an sich. Gingen voneinander weg und aufeinander zu. Lernten, das rote Licht der Sonne zu verstehen und den Nebel, der die Sonne verbarg. Lernten, das Blitzen und das Donnern zu lassen. Lernen es noch immer.
Blickten, wenn sie morgens ihre Behausung verließen, über ihre linke Schulter, um die Sonne zu begrüßen. Abends, wenn sie in die Behausung traten, blickten sie wiederum über ihre linke Schulter und wünschten der Sonne einen guten Schlaf.
Wie es eben ist, wenn sich zwei Geschlechter verbinden.
Saßen sie manchmal am Ufer des weiten Pfuhls, um die Flattermäuse still beim Taumeln zu sehen, reckte sich die Elfe, so gut sie konnte, legte den Kopf an seine Schulter und sagte verträumt:
„Mein alter Griesgram, du.“
Da freute er sich und schwieg. Ob er auch dachte: Mein altes Elflein, du.
Er schwieg fein still.
Denn so etwas sagt man nicht zu seiner Elfe.
 



 
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