Wie ich ein Aus-Sager wurde

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jimKaktus

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Wie ich ein Au-Sager wurde

«Klar!», sage ich, als Babsie mich fragt, ob ich ihr beim Umzug helfe. Ich bin ein notorischer Ja-Sager. Schlimmer noch: ein Klar-Sager. Ich sage «klar!» zu Sachen, deren Problemgehalt ich nicht klar überblicke.

An einem Sonntag bin ich um 13 Uhr in der Liebenwalder Straße 9 im Wedding, ohne vorher in einen libanesisch-türkischen Bandenkrieg verwickelt und erschossen worden zu sein. Nun kann bis zur Rückfahrt (wieder durch den Wedding) nichts mehr schief gehen, dachte ich.

Oben fand ich Babsie und ihren Freund Karsten. Sie waren gut gelaunt. Man sah, dass sie grad miteinander geschlafen hatten. Ich fragte, wo die anderen seien. Babsies Freund hatte viele kräftige Kumpels. Es gab keine anderen. Sie waren beim Eishockey. «Ich möchte sie nicht überstrapazieren. Sie haben schon die alte und die neue Wohnung mit uns gestrichen.»

Mich durfte man noch strapazieren. Karsten auch. Aber was uns beide unterschied: Karsten lebte mit Babsie in einer Liebesbeziehung. Wenn er sich körperlich für sie verausgabte, bekam er etwas zurück. Zum Beispiel Babsies Körper, der Penner.

Als Karsten und ich den ersten Schrank, eine Kommode, anhoben, bemerkte ich, dass zwischen uns noch ein anderes Ungleichgewicht bestand. Karsten war ein Meter neunzig groß und hundertzehn Kilo schwer. Ich war nicht eins-neunzig groß und auch keine hundertzehn Kilo schwer.

Auf der Treppe lief ich hinten beziehungsweise oben. Das war sehr praktisch zum Tragen. Wenn Karsten ein paar Stufen tiefer stand, waren wir praktisch gleich groß.

Gerade hatten wir eine Waschmaschine die drei Stockwerke hinab getragen und in den Transporter gehievt. Jetzt war der massive Schreibtisch dran und Karsten fand, dass er nebenbei mal eine Zigarette rauchen könnte, wohl um die entspannende Wirkung des Schreibtischs noch zu steigern.

«Wir können auch eine Pause machen», schlug ich vor.

«Nein, geht schon», nuschelte er mit der Zigarette im Mundwinkel. «Aber wenn du eine Pause brauchst??»

«Nein», entgegnete ich fast ein wenig entrüstet. Was sollte das denn heißen?

«Gerd ist belastbar», witzelte Babsie, die Blumentöpfe trug.

Gerd ist belastbar. Mit diesem Satz wurde auf Arbeit die Aufgabenverteilung entschuldigt, die mich regelmäßig erdrückte. Ich bin ein Klar-Sager. Mit mir kann man es machen. Während der kommenden zehn oder fünfzehn Mal, die ich allein oder mit Karsten die sechs Treppen hoch und runter stapfte, wurde mir allerhand klar über mich.

«Gehts?» fragt Karsten. «Klar», keuche ich und habe ein Bettgestell auf dem Rücken. Ich war ein selbstloser Entwicklungshelfer, der anderen sich entfalten half und sich selbst dabei vernachlässigte. Andere bauten Häuser, gründeten Familien. Mein Vermächtnis an die nächste Generation ist, dass ich mich von dem IKEA-Bett zerquetschen lasse, in dem sie gezeugt wird. Das war zu viel. Es war Zeit für eine Änderung. Jetzt.

Wir waren mit dem Kühlschrank auf der dritten Treppe nach unten. «Gehts?» fragte Karsten. Ich aber sagte: «Au.» Und auf dem Absatz angekommen, setzte ich meine Kühlschrankhälfte ab. Mich selbst setzte ich ebenfalls zu Boden, ganz vorsichtig, und rieb mir den Knöchel.

«Hast du dir den Fuß verknackst.»

«Ich bin umgeknickt. Ich glaub, er ist verstaucht.» Es klang endgültig.

Babsie kam von unten hoch. «Du hast dir den Fuß verstaucht??!» Abwechselnd sah ich auf meinen Knöchel und in ihre ratlosen Gesichter.

«Zeig mal her», ermannte sich Karsten und hockte sich zu mir runter. Als er meinen Fuß in die Hand nehmen wollte, zog ich weg. «Aua, au.»

Ich stand auf, machte ein kämpferisches Gesicht und humpelte zwei Schritte. Ich demonstrierte meine Entschlossenheit weiter zu machen. Doch dann seufzte ich und schüttelte den Kopf: «Es geht nicht.»

Babsie und Karsten telefonierten nach Leuten, die bereit waren, an einem Sonntag spontan in den Wedding zu fahren und bei einem Umzug tragen zu helfen ... Die Reaktionen reichten von tiefem Mitgefühl über plumpe Ausreden (Man glaubt nicht, wie viele Omas an so einem Sonntag Geburtstag feiern) bis hin zu meckernden Lachsalven. Aber der Wagen war gemietet, die Schlüsselübergabe morgen. Sie konnten die Aktion nicht abbrechen.

Bald schaute ich Karsten zu, wie er nach dem Kühlschrank praktisch ganz allein Babsies Kleiderschrank transportierte. Babsie wuselte besorgt um ihn herum, fasste mal an der, mal an der Ecke an. Ich gab ihnen wohlmeinende Ratschläge. Sie sollten leiden.

Nachdem Karsten den Schrank irgendwie geschafft hatte (der Schrank ihn allerdings auch), nachdem ich also sicher war, dass sie den Rest, die fünf, sechs Umzugskartons, die Küchenmöbel und den Kleinkram, auch noch irgendwie schaffen würden, wünschte ich ihnen viel Glück (sowie einen Fahrstuhl für den Einzug) und ging nach Hause «meinen Fuß kühlen». Ich war ein Au-Sager, ein Simulant, geworden. Wenn nun jemand etwas von mir will und ich hab keine Lust, sag ich: «Au». Wenn ich aber Lust hab, wird aus dem «Au» ein «Au ja!» Ich kann das nur empfehlen. Funktioniert super. Und ich bin seither weder unbeliebter noch ein Sozialfall oder sonst was geworden. Ich bin immer noch ich. Sogar mehr denn je.
 
F

Franktireur

Gast
Nee...

...was hab ich gelacht.
Ganz ehrlich. Ich finde den Text klasse.
Nachdem ich so gelacht habe, war es mir
einfach ein Bedürfnis, das auch mal eben
mitzuteilen.
Textkritik habe ich keine im Moment.
Ich will das jetzt einfach nur genießen.
Gruß
Frank

Bewerten tu ich ab dem 5.2.
 

jimKaktus

Mitglied
Freu mich!

Wenn du reagierst, ist der Text angekommen und nicht abgeprallt. Was gibt es Schöneres für einen Autor!?

Jim
 



 
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