Wie ich ein Buch schrieb

ARIIOOL

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Bücher waren immer verlässliche Begleiter in meinem Leben. Im Elternhaus gab es viele davon – hoch oben in Regalen und in den gläsernen Vitrinen der Gelsenkirchener Barockschrankwand. Besonders angetan hatte es mir ein Regal unter dem mächtigen Röhrenfernseher, dass zwei breite Reihen ledergebundener Monatsausgaben des Reader's Digest beherbergte. Kurzgeschichten, Romanauszüge und praktische Ratgeber wollten mich auf mein späteres Leben vorbereiten.

Jahre später drangen Neil Stephenson, Don DeLillo und John Updike in mein Bewusstsein und kämpften mit H.P. Lovecraft und Koji Suzuki um meine Aufmerksamkeit. Nie dachte ich daran, jemals selbst eine Geschichte, ein Buch zu schreiben. Doch … seitdem ich das Privileg genieße, meine Zeit nicht mehr für den Erwerb von Geld zu verschwenden, änderte sich das.

Das Haus, in dem ich seit einigen Jahren mit meiner Familie lebe, hat einen Balkon. Morgens sieht man dort die Sonne aufgehen; abends lange Schatten. Dort beginne ich meinen Tag – in jeder Hand ein Laster: links meinen Kaffee und rechts einen Dampfer, der die Morgenzigarette abgelöst hat. Für mich ist dieser Balkon ein magischer Ort, ich bilde mir ein, dass sich dort eine Magie verdichtet. Sobald ich in die frische Luft hinaustrete, dringen Fragmente von Geschichten durch meinen Kopf – vielleicht nur eine andere Bezeichnung dafür, dass ich meinen Gedanken nachhänge.

Eines Tages nahm ich eines dieser Fragmente mit an meinen Schreibtisch, klappte das Notebook auf und begann es niederzuschreiben. Da war es nun – das weiße Blatt mit Text. Doch anstatt weiterzuschreiben, verlor ich mich im Formalen: Ich installierte ein Schreibprogramm, richtete eine Normseite ein und suchte nach einer Rechtschreibprüfung. Das war alles nur eine Sache von Stunden. Dann blickte ich wieder auf den Text. Er war nun sauber gepresst in die grammatische Norm.

Am nächsten Morgen betrat ich den Balkon … ohne Hintergedanken. Ein Bild tauchte vor mir auf, die Scene, die ich in dem kurzen Text beschrieben hatte. Doch diesmal war es deutlicher, weitere Details und etwas Fremdes drängten sich dazu. Ungelogen, ich sprang auf, verschüttete den kostbaren Kaffee und ging in mein Arbeitszimmer. Schrieb einige Sätze und klappte das Notebook zu. Es war kein Drang in mir, die Geschichte weiterzuführen.

Kurz danach überredete mich meine Frau zu einer Reise. Eine Insel mit langen Sandstränden, ansonsten karg und felsig. Nach einigen Tagen kaufte ich mir ein kleines Notizbuch und einige Stifte … und fing an, die karge Landschaft und die Menschen dort zu beschreiben.

Das war das einzige, das von außen in mein Buch einfloss. Das Buch, die Geschichte, entwickelte sich zu einer Reise, von deren Ausgang ich nicht den blassesten Schimmer hatte - kein Plot, keine „must have“ Konflikte, davon hatte ich noch nie gehört. Ich sitze auf diesem Balkon und lausche. Mein Erzähler beobachtet, wie ein Raum betreten wird und dort entwickeln sich die nächsten Seiten. Dann plötzlich bemerke ich, wie sich zwei Figuren annähern, während andere beginnen, sich voneinander abzuwenden. Und mir scheint, dass ich nicht ein Buch schreibe, sondern das Buch mich mit auf seine Reise genommen hat.

Natürlich ist das alles sehr persönlich und beileibe keine Anleitung, wie ein Buch entstehen sollte.


Auch habe ich nur für mich geschrieben und wenn ich das Buch aufschlage und die Reise beginnt, freue ich mich, dass ich auch dies vollbracht habe.
 
Zuletzt bearbeitet:

Aniella

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Hallo @ARIIOOL,

interessant finde ich, wie bei anderen ein Roman entsteht. Sehr bezeichnend, nach der ähnlich verlaufenden Kindheit, war diese Äußerung:

Sobald ich in die frische Luft hinaustrete, dringen Fragmente von Geschichten durch meinen Kopf – vielleicht nur eine andere Bezeichnung dafür, dass ich meinen Gedanken nachhänge.
Kann ich gut nachempfinden, dazu muss ich nicht mal die frische Luft und auch nicht zwingend die Ruhe haben, obwohl ich die zum Schreiben auf jeden Fall brauche.
Diese Gedankenfetzen schwirren irgendwie immer durch den Kopf. Manchmal im Hintergrund, aber wenn sie dann drängender werden und in den Vordergrund wollen, ist der Punkt gekommen, wo alles aufgeschrieben wird. So kommt immer wieder neuer Platz für frische Ideen und deswegen glaube ich auch, dass es für mich sowas wie Langeweile niemals geben wird.

Gern gelesen.

LG Aniella
 

ARIIOOL

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Hallo @ARIIOOL,

interessant finde ich, wie bei anderen ein Roman entsteht. Sehr bezeichnend, nach der ähnlich verlaufenden Kindheit, war diese Äußerung:



Kann ich gut nachempfinden, dazu muss ich nicht mal die frische Luft und auch nicht zwingend die Ruhe haben, obwohl ich die zum Schreiben auf jeden Fall brauche.
Diese Gedankenfetzen schwirren irgendwie immer durch den Kopf. Manchmal im Hintergrund, aber wenn sie dann drängender werden und in den Vordergrund wollen, ist der Punkt gekommen, wo alles aufgeschrieben wird. So kommt immer wieder neuer Platz für frische Ideen und deswegen glaube ich auch, dass es für mich sowas wie Langeweile niemals geben wird.

Gern gelesen.

LG Aniella

OMG, hab ich das geschrieben? Kommt mir schon so ewig lang her. Danke, dass du den Text nochmal aus der Versenkung geholt hast.
 



 
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