Wie ich in der Oper einschlief und einen Engel traf

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Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
nur "eingeschlafen"? Isolde ist da konsequenter: sie stirbt ihm hinterher.
 

Hans Dotterich

Mitglied
Ah, Isolde!. Das habe ich noch nie kappiert.

Woran stirbt sie eigentlich, die Isolde, rein medizinisch? Das ist völlig unerfindlich. Ich halte das für einen ziemlich flachen Regietrick. Im Libretto finde ich keine ärztliche Stellungnahme.

Hmm, im Venusberg fände auch ich auf Dauer keine Ruhe. Der Doktor sagt, das wäre nichts für meinen Thermostaten. Da gäbe es im Tannhäuser bequemere Stellen.

Trotzdem, die Verse haben mir den Schlaf geraubt.

Jetzt aber gute Nacht.

Hans
 
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Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Hallo, Namensvetter,

ich grüße Dich in der Dichterrunde.
Ach so, von Dir gibt es gar keine Gedichte hier. Das ist ein bißchen schräg, den Kunstbanausen zu spielen, ohne sich mit eigenen Werken bloßzustellen.

Ah, Isolde!. Das habe ich noch nie kappiert.

Woran stirbt sie eigentlich, die Isolde, rein medizinisch? Das ist völlig unerfindlich. Ich halte das für einen ziemlich flachen Regietrick. Im Libretto finde ich keine ärztliche Stellungnahme.
Regietrick? Das ist albern.

"Ärztliche Stellungnahmen" finden sich in Libretti nur, wenn sie eine textimmanente satirische Schlagseite haben, wie z.B. in Cosi fan tutte (Da Ponte) oder in Molieres Eingebildetem Kranken. Die Wagnerschen Werke sind aber allesamt symbolistisch. Die Personen des Dramas sind auf symbolistischer Basis ausnahmslos personifizierte Seelenkräfte, vergleichbar den Traumgestalten in der Psychoanalyse bei Freud und den "Archetypen" bei C.G. Jung. Die Gründe der auf die Bühne gestellten "Archetypen", Wunden zu erleiden (wie Tristan himself oder Amfortas), sind nicht im physisch-Medizinischen begründet, sondern in der Seelenstruktur, die sie personalisieren.

Die philosophische Grundlage des durch und durch symbolistischen "Tristan" ist der schopenhauersche Buddhismus. Wagner erweitert diesen Schopenhauerianismus, der fast mehr noch auf dem Vedanta, d.h. auf der Atman-Brahman-Gleichung der Upanischaden beruht, ins absolut Musikalische; die Musik dient nicht dem Text, sondern der Text der Musik: Isolde geht nicht "nur" ins Nirvana ein, in "des Weltatems wehendes All", sondern verwandelt sich faktisch in Musik. Genauer: in eine Modulations-Wendeltreppe über die kleinen Terzen hinauf bis zum erlösenden Schlußakkord. Das kann man mit dem stufenweisen Aufstieg des sterbenden Buddha in der "großen Lehrrede vom Verwehen (para-nibbâna)" vergleichen. Wesentlich ist, daß der Zuhörer diese Verwandlung der Isolde in absolute Musik ästhetisch und metaphysisch-philosophisch (nicht medizinisch) mitvollziehen kann, so wie Isolde die Verklärung Tristans nachvollzieht.

Ich halte nichts von stolzem Banausentum. Ist nicht auch nicht besonders originell. Als würde man das "Alif lailah wa lailah" mit dem Ballermannsong "Layla" übertönen wollen.

grusz, hansz
 
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Hans Dotterich

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Hallo,

Danke für die ausführliche Erläuterung zu Tristans und Isoldes Hintergrund, das ist spannend.

Und nein, ich habe hier tatsächlich (noch) kein lyrisches Werk hinterlassen, sondern stamme eher aus der Prosa-Fraktion. Das heißt aber keineswegs, dass nicht auch ich gern Stabreim und Textrhytmus als Stilelement nutze. Das finde ich, hat der Wagner weit vorangebracht.. Der Tellerrand muss ja nicht dauerhaft mit dem Horizont übereinstimmen.

Außerdem interessiere ich mich für außergewöhnliche literarische Sterbensmethoden. Da schießt der Wagner mit Isolde mal wieder den Vogel ab, wenn man ihn seinen Zeitgenossen aus dem etwas fortgeschrittenen 19. Jahrhundert gegenüberstellt. Obwohl er die psychoanalytischen Begriffe eines Freuds und Jungs noch gar nicht kennen konnte. Goethe schickt Gretchen unschuldig zum Henker, Edgar Allen Poe läßt sein grausames mechanisches Pendel schwingen oder tötet bloß ein Auge, Mary Shelley kehrt die Sache um und macht aus Toten ein lebendiges Etwas. Das macht es nicht gutartiger. Scarpia büßt seinen Wahn an der Messerspitze einer Mezzosopranistin. Tschaikowsky zwingt seine Pique Dame erst uralt zu werden, bevor sie ihrem eigenen grausigen Fluch erliegt, oder läßt den armen Lensky sich sinnlos duellieren.

Das zwanzigste Jahrhundert ist alledem technisch und literarisch weit überlegen. Aber an Wagner knabbern wir auch heute noch mit Stirnrunzeln.

Liebe Grüße

Hans D.
 
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Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Obwohl er die psychoanalytischen Begriffe eines Freuds und Jungs noch gar nicht kennen konnte.
Der Begriff des "Archetypus" stammt natürlich nicht von Jung, diesem schamlosen Dieb, sondern aus der Literaturwissenschaft der Alexandriner in der hellenistischen Kulturepoche der Griechen. Und wurde dann fruchtbar in der Bibelexegese, als man die Bilder und Erzählungen im Neuen Testament als Ektypen alttestamentlicher Archetypen deutete.

Wesentlich ist, daß die Tauchgänge ins Unterbewußte, die in der Psychoanalyse methodisch wurden, bereits vorher im 19. Jahrhundert literarisch wurden, und zwar insbesondere durch Wagners Werke auf Basis Schopenhauers, der sich einerseits als Hauptinterpreten Immanuel Kants sah, und andererseits als Erbe der indischen Antike.

Freund und Jung haben ihre Grundgedanken von Schopenhauer und Wagner, entsprechend dem großen Schopenhauer- und dem darauf folgenden Nietzsche-Revival und der rauschenden Wagnermania um die Jahrhundertwende.

grusz, hansz
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber hansz,

ich finde das sehr gut, wenn man sich auskennt, aber wenn man bedenkt, dass alle Stoffe von Belang schon einmal irgendwo verwurstet worden sind und ihren Ursprung im immerwährenden Handlungsspielraum des Menschen haben (der sich natürlich kontinuierlich erweitert) und sich garantiert schon in rudimentärer Form an Lagerfeuern erzählt worden sind - ergo alle Epigonen sind - muss man das nicht so eng sehen. Ich gebe dankend Schopenhauer, Nietzsche und Wagner zurück und nehme gleich den Jung.
Nebenbei bemerkt - Isolde stirbt einfach zu lang.

Wie gut, dass die Geschichten immer neu erzählt werden können und die Denksysteme immer neue Ableitungen erfahren können.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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