Wie man einen Freund verliert

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Aurora

Mitglied
Wie man einen Freund verliert.

Man wähle den schönsten der Bäume im Garten:
Den Treuen Geliebten, den schützenden Riesen.
Man nehme die Axt und die Säge, den Spaten,
Zerleg' ihn in Stücke, ersetz' ihn durch Wiesen.

Beraub' ihn der Krone, die stolz er getragen.
Erniedrige zynisch das Maß seines Lebens.
Man muss auch die Hoffnung des Baumes zerschlagen!
Denn treibt er erneut, war die Folter vergebens.

Bespucke mit flammbarem Saft seinen Zunder
Und reiche voll Hohn noch das Feuer dem Armen.
Den Haufen des Scheiterns macht Macht aus dem Wunder:
Wurd gestern geliebt und sieht heut' kein Erbarmen.

Das Krächzen der Ketten verläuft sich im Winde.
Der Staub seiner Seele sucht Frieden im Sand.
Der Tod dieses Baumes, das Sterben der Linde
Schafft Leere im Herzen wie Leere im Land.
 
P

Pelikan

Gast
Hallo, Aurora, Du sprichst mir mit diesem Gedicht
aus dem Herzen - hat man doch erst unlängst unseren
Hinterhof kahlgeschlagen. Wir hatten einen wunderschönen
Ausblick auf hohe Tannen und Laubbäume.In einer Nacht und Nebelaktion wurden die Bäume umgelegt. Man hatte das Gefühl
Freunde verloren zu haben und ich bin heute noch schockiert,
weil man uns nicht informiert hatte, vielleicht aus Angst vor Protest. Die nicht nachprüfbare Begründung die Bäume seien
krank gewesen bleibt und eine Ohnmacht bleibt auch.
Wir sind ja auch nur Mieter und keine Besitzer.
Das Gedicht trifft, mitten ins Herz.
Mit herzlichen, doch betroffenen Grüßen, Pelikan
 

Aurora

Mitglied
In diesem Gedicht geht es nicht um Bäume...

Ich fühle mich ja so schrecklich missverstanden ;)

Nein, Scherz beiseite. Wenn es für dich um Bäume geht, darfst du es natürlich gern so verstehen.
 
P

Pelikan

Gast
Tja, ich denke, dass dies genau der Grund ist, warum
Lyrik (Gedichte) nur mäßig geliebt und gekauft werden.
Da fragt sich doch der gesunde Menschenverstand:
Warum zum Teufel schreibt der Mensch von Bäumen, wenn
er Freunde meint :D oder besser gesagt, warum fährt jemand
der von Köln nach Düsseldorf will über Paris :D
Na, ja, das ist wohl ein Geheimnis der Lüriker ;)
mit scherzhaften Grüßen, Pelikan
 

Aurora

Mitglied
mein Freund, der Baum... :)

Eben dieses Phänomen ist wohl der Aspekt, der den Großteil der Menschen von der Lyrik ausschließt: Sie werden sie nie verstehen können.

Und aus demselben Grunde ist der kleine Rest ihr verfallen: Er wird es nie leid sein, sie in jeder möglichen Weise verstehen zu wollen.
 

Aurora

Mitglied
Ein Gedicht mit dem Titel "Geheimnis" hat mich überhaupt erst so richtig in die Lyrik geführt - und augenscheinlich wohl auch nachhaltig geprägt ;)
 
H

Heidrun D.

Gast
Hallo Aurora,

hier ist dir ein Gedicht gelungen, das ich bis auf ein Komma :D absolut makellos finde. - Sehr schön versprachlicht und emotionsgeladen, ohne in Kitsch zu verfallen (oft eine Gratwanderung). - Das Komma würde ich übrigens nach der ersten Strophe setzen, anstelle des Punktes, um so dem Gedicht mehr Fluss zu verleihen. - Aber das ist nur eine Winzigkeit.

Pointiert und wohlgeraten auch der Schluss.

Freundliche Grüße
Heidrun

P. S.: Und hier möchte ich mich gern in die Unterschriftenliste eintragen:
...
Eben dieses Phänomen ist wohl der Aspekt, der den Großteil der Menschen von der Lyrik ausschließt: Sie werden sie nie verstehen können.

Und aus demselben Grunde ist der kleine Rest ihr verfallen: Er wird es nie leid sein, sie in jeder möglichen Weise verstehen zu wollen.
:):)
 

Aurora

Mitglied
Mist - jetzt bin ich hin und her gerissen mit dem Komma. Irgendwie haste ja recht... aber irgendwie mag ich auch die Trennung der Strophen.

Och menno.

Dennoch - merci!

P.S.: Du bist selbstverständlich aufgenommen in der Liste :) Dann sind wir schon zu zweit.
 
H

Heidrun D.

Gast
Gerade ist mir aufgefallen, dass dort ein Semikolon stehen müsste, weil ein vollständiger Satz folgt. ;)

Dieses Zeichen steht ja wirkungstechnisch sozusagen in der Mitte zwischen Punkt und Komma, sodass du dich damit vielleicht eher anfreunden kannst.

Aber wart ruhig ab, vielleicht kommt noch ein anderer Änderungswunsch auf ...

Heidrun
 

Mirko

Mitglied
Lange Schatten warf der Baum,
wo Hitze keinen Platz mehr fand.
Regen merkte man fast kaum,
denn schützend hielte er die Hand.

Man hatte Spaß am Klettern,
wuchs doch der Baum empor.
Nichts konnte ihn zerschmettern,
denn Liebe keimt´ hervor.

So wahr, es ist, geschehen.
Im Sturm zerbricht die Linde.
Ich hab ihn wurzeln sehen;
das Holz verbrannt durch Sünde.
 

meradis

Mitglied
Die Scheite bedenk´ man mit kaum einem Blicke
Und zieh sich heran und beschneide beizeiten
Den Setzling der Linde der passender deuchte
Das Harz tränt aus Scheiten die langsam verrotten
 

Aurora

Mitglied
Kommt der Herbst und raubt der Linde
was sie trieb das ganze Jahr.
Kommt der Mensch und löscht geschwinde
aus was ihr das Leben war.

Boah, das wird ja immer besser :(

Vielen Dank für's Interesse und die recht konstruktiven Hinweise
 

Aurora

Mitglied
[blue]Sein Schatten sank zum Schutze
Auf hitzekranken Stein.
Hielt ab den groben Schmutze,
Ließ nicht mal Regen sein.

Wer wurzelt, macht sich wehrlos -
und wächst er auch empor.
Da ist es letztlich wertlos,
dass Liebe keimt´ hervor.

So wahr, es ist geschehen.
Im Sturm zerbricht das Holz.
Ich hab es kämpfen sehen;
Verlieren voll des Stolz.[/blue]
 

Mirko

Mitglied
Wenn ei´m der Spruch geklaut wird,
da geht es mit ei´m durch.
Verkehrte Welt - wie´s auhört?!
Hier wird der Frosch zum Lurch...
 

Aurora

Mitglied
Wie immer genauestens beobachtet... und scharfsinnig geschlussfolgert!

Nicht nur Haare am Schwanz musste haben, Fuchs musste sein :D
 

Aurora

Mitglied
Wie man einen Freund verliert.

Man wähle den schönsten der Bäume im Garten:
Den Treuen Geliebten, den schützenden Riesen.
Man nehme die Axt und die Säge, den Spaten;
Zerleg' ihn in Stücke, ersetz' ihn durch Wiesen.

Beraub' ihn der Krone, die stolz er getragen,
Erniedrige zynisch das Maß seines Lebens:
Man muss auch die Hoffnung des Baumes zerschlagen!
Denn treibt er erneut, war die Folter vergebens.

Bespucke mit flammbarem Saft seinen Zunder
und reiche voll Hohn noch das Feuer dem Armen.
Den Haufen des Scheiterns macht Macht aus dem Wunder:
Wurd gestern geliebt und sieht heut' kein Erbarmen.

Das Krächzen der Ketten verläuft sich im Winde.
Der Staub seiner Seele sucht Frieden im Sand.
Der Tod dieses Baumes, das Sterben der Linde
Schafft Leere im Herzen wie Leere im Land.
 



 
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