Arno Abendschön
Mitglied
Sigis Leute kamen aus dem Osten. Seine Eltern wurden als Halbwüchsige aus Pommern vertrieben und heirateten später in der Sowjetzone. Als der Großgrundbesitz aufgeteilt wurde, kamen sie zu einer kleinen Landwirtschaft. Die Kollektivierung zehn Jahre später schmeckte Sigis Vater nicht. Er brachte die ganze Familie - Frau, drei Kinder und die Oma - in zwei Trupps mit der S-Bahn nach Westberlin. Sie landeten am anderen Ende Deutschlands und fingen wieder von vorn an. Sigis Eltern arbeiteten beide, es waren die Wirtschaftswunderjahre. Die Oma versorgte die Kinder, später kamen noch zwei dazu.
Sie zogen oft um, von einer kleinen in eine größere Wohnung, aus dem Hochhaus in ein Eigenheim, dann in ein anderes mit noch mehr Land. Bei jedem Umzug fiel mehr Krempel an, den sie loswerden mussten. Einmal fuhr Sigis Vater ihn in den Wald und kippte ihn da auf den Boden. Nur dumm, dass ein Briefumschlag mit seiner Adresse dabei war. Die Forstverwaltung schickte eine Rechnung für die Müllbeseitigung.
"Nutze deine jungen Tage, lerne beizeiten, klüger zu sein." (Goethe) - Die beiden Ältesten gingen schon aufs Gymnasium. Gisela manipulierte gern den Fahrausweis für Bus und Straßenbahn. Um den Geltungsbereich ihrer Wochenkarte zu erweitern, besaß sie zwei Stammkarten, doch immer nur eine Wertmarke. Sie trug die Nummer einer Karte auf der Marke ein und radierte sie bei Bedarf aus, um sie durch die andere zu ersetzen, mehrmals in der Woche. Manchmal schöpfte ein Schaffner Verdacht, dann gab es Gezänk.
Sigi bastelte neben der Schule Kreuzworträtsel und bot sie erfolglos Verlagen an. Um die Portokosten niedrig zu halten, löste er Marken von den Umschlägen zugestellter Briefe und radierte die Stempelspuren sorgfältig weg. Dennoch kamen ihm die Spürhunde der Post auf die Schliche. Er zog sich aus der Schlinge, indem er alles auf Gisela schob - sie war noch nicht strafmündig.
Er war mein erster Freund am Gymnasium. Der flachsblonde Sigi imponierte mir vor allem dadurch, dass er reines Hochdeutsch sprach. Auch ich fing jetzt an, etwas wegzuradieren, die Reste meines heimatlichen Dialekts. Wir redeten jahrelang viel miteinander, wir sprachen dabei die gleiche Sprache. Dennoch verlief unser beider späteres Leben so verschieden wie nur möglich. Er ist Studienrat geworden und mir schon längst aus den Augen gekommen. Inzwischen muss er siebzig geworden sein.
Sigi, ich grüße dich, hier in den Weiten des Internets. Sag, hat es sich gelohnt, all unser Strampeln und Ausradieren?
Sie zogen oft um, von einer kleinen in eine größere Wohnung, aus dem Hochhaus in ein Eigenheim, dann in ein anderes mit noch mehr Land. Bei jedem Umzug fiel mehr Krempel an, den sie loswerden mussten. Einmal fuhr Sigis Vater ihn in den Wald und kippte ihn da auf den Boden. Nur dumm, dass ein Briefumschlag mit seiner Adresse dabei war. Die Forstverwaltung schickte eine Rechnung für die Müllbeseitigung.
"Nutze deine jungen Tage, lerne beizeiten, klüger zu sein." (Goethe) - Die beiden Ältesten gingen schon aufs Gymnasium. Gisela manipulierte gern den Fahrausweis für Bus und Straßenbahn. Um den Geltungsbereich ihrer Wochenkarte zu erweitern, besaß sie zwei Stammkarten, doch immer nur eine Wertmarke. Sie trug die Nummer einer Karte auf der Marke ein und radierte sie bei Bedarf aus, um sie durch die andere zu ersetzen, mehrmals in der Woche. Manchmal schöpfte ein Schaffner Verdacht, dann gab es Gezänk.
Sigi bastelte neben der Schule Kreuzworträtsel und bot sie erfolglos Verlagen an. Um die Portokosten niedrig zu halten, löste er Marken von den Umschlägen zugestellter Briefe und radierte die Stempelspuren sorgfältig weg. Dennoch kamen ihm die Spürhunde der Post auf die Schliche. Er zog sich aus der Schlinge, indem er alles auf Gisela schob - sie war noch nicht strafmündig.
Er war mein erster Freund am Gymnasium. Der flachsblonde Sigi imponierte mir vor allem dadurch, dass er reines Hochdeutsch sprach. Auch ich fing jetzt an, etwas wegzuradieren, die Reste meines heimatlichen Dialekts. Wir redeten jahrelang viel miteinander, wir sprachen dabei die gleiche Sprache. Dennoch verlief unser beider späteres Leben so verschieden wie nur möglich. Er ist Studienrat geworden und mir schon längst aus den Augen gekommen. Inzwischen muss er siebzig geworden sein.
Sigi, ich grüße dich, hier in den Weiten des Internets. Sag, hat es sich gelohnt, all unser Strampeln und Ausradieren?