Wiedergeboren

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Max Neumann

Mitglied
Er grinst und schreit
Über dem Boden schwebend
Der Dämon auf der Jagd
Jagd nach meiner Seele

Wendeltreppe Bahnhofsviertel
TRANCE 24/7
Pavel, Axt, Yok Yok, Musti, Reizgas MK 2
Crowd aus Junkies, Fetzerei, Tritt in die Fresse

Betrüger der Nächte, gelber Lambo
Ruhrpottadresse, Scheine, Ibesh
Escada-Tücher aus Seide
Der Dämon stößt eine Drohung aus

Von oben Frieden
Auf der Straße 38 mal gestorben
Todeskrämpfe waren einst der
Freizeitpark des Dämons

Dreckspension Alpha, Schweiß, Sirenen
Sie kommen dich holen!
Aus demselben Bett in dem
Ein kranker Mensch, Hand in
Hand mit Gott, dir Tränen schenkte

In der Zeit vertrockneter Gefühle
Im Reich der Kruste

5 Tage lange Gedichte
Immer überarbeiten
Getrieben vom Dämon
Ritt auf der Seele

Heute ist der Schweiß vertrocknet
Blick vom Strand auf die Wüste
Nicht umgekehrt
Vom Dämon befreit

Lichtfarben
Herzschwanger
Liebeslustig
Golden und proper

Wiedergeboren
Hmmh
 
Zuletzt bearbeitet:

Aniella

Mitglied
Ich finde es brutal real, diese Welt ist mir fremd, auch wenn ich viel davon gelesen habe. Es erinnert mich an "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" und weckt in mir eher Fassungslosigkeit als Hoffnung. Sehr düster, trotz der Wiedergeburt.
 

Max Neumann

Mitglied
Hallo Aniella, danke für deine Rückmeldung.

Das ist ein realer Erfahrungsbericht aus einer Zeit, die Gott sei Dank einige Jahre zurückliegt und die auch das Elend und die Hoffnungslosigkeit von der aktiven Sucht zeigt – vorausgesetzt, jemand ist wirklich ein richtiger Süchtiger. Es geht auch um die Gewalt und Brutalität, die im Frankfurter Bahnhofsviertel sehr präsent ist. Das ist eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen, sehr heftig und weit weg vom Rechtsstaat. Getrieben von Gier, Egoismus und Selbstsucht – im Grunde genommen ist es da jeder gegen jeden.

Aber jetzt zum Gedicht: Ich habe gerade schon ein bisschen was beschrieben, und das betrifft vor allem die ersten Strophen: Das Elend der aktiven Drogensucht.

Doch heute bin ich befreit von diesem Zwang, schon viele Jahre clean und trocken, und dafür danke ich Gott. Im Gedicht wird der Übergang vom Elend in die Erlösung angedeutet – in den Zeilen, in denen "ein kranker Mensch Hand in Hand mit Gott dir Tränen schenkte".

Denn wir dürfen nicht vergessen: Leute, die aktiv konsumieren – sei es Alkohol oder Drogen – betäuben ihre Gefühle so stark, dass sie gar nicht mehr fühlen können. Sie stecken im Teufelskreis, in der Spirale der Sucht.

Deshalb sind die „geschenkten Tränen“ ein erster Hoffnungsschimmer, der Anfang von Veränderung und Verwandlung. Sie kommen in "einer Zeit vertrockneter Gefühle, im Reich der Kruste.".

Dann geht es zwar nochmal zurück mit der Manie zu schreiben, völlig unter Substanzeinfluss. Aber fünf Zeilen später:
"Heute ist der Schweiß vertrocknet. Blick vom Strand auf die Wüste, nicht umgekehrt. Vom Dämon befreit."

Das müssen wir genau lesen. Und das ist die Botschaft: Jeder, der will, kann aufhören. Es gibt starke 12-Schritte-Selbsthilfegruppen, und das zählt. Ich bin da, ich schäme mich nicht und bin präsent. Inzwischen kann wirklich jeder, der will, es schaffen, aus diesem Elend befreit zu werden – egal, ob im Bahnhofsviertel oder in der Villa. Denn Leute können daran sterben oder psychotisch werden – das Umfeld spielt dabei keine Rolle.
 

Aniella

Mitglied
Hi Max,

so ähnlich habe ich es mir schon gedacht und konnte auch die Stationen ganz gut herauslesen. Das Gefühl, dieser Hölle entkommen zu sein, ist Dein ganz eigenes und dass es Dir heilig ist, kann ich ziemlich gut verstehen. Das war ein Meilenstein in Deinem Leben, der Dich wieder zum Leben erweckt hat, das hast Du gut verständlich machen können.
Trotzdem ist es einfach brutal, von einer mehr oder weniger heilen Welt (und nein, bei mir war auch nicht alles eitel Sonnenschein, aber es ist kein Vergleich, Schicksalsschläge kann man sehr schlecht vergleichen), diesen Blick in die Hölle zu tun.
Danke Dir für Deine ausführliche Erklärung, ich hoffe, ich konnte Dir meine Reaktion auch ein wenig näher bringen.

LG Aniella
 

Max Neumann

Mitglied
Hallo Aniella,

es ist immer eine Frage der Perspektive. Ich bin heute dankbar für meine Erfahrungen – und vor allem dafür, dass ich das Schreiben nutzen kann, um Erfahrungen zu verarbeiten. Es gibt für mich kein erfüllenderes und tieferes Tun, als über die Dinge zu schreiben, die passiert sind, und sie mit einem gewissen zeitlichen Abstand noch einmal neu zu betrachten. Das fühlt sich für mich an wie eine kleine Wiedergeburt — jedes Mal aufs Neue.

Durch das Schreiben, aber auch durch all die Kommentare und Reaktionen, bekomme ich die Möglichkeit, anderen Menschen davon zu erzählen – von dem, was passiert ist, und auch davon, was die Krankheit Sucht bedeutet. Mir ist wichtig zu zeigen, dass es Hilfe gibt, dass es Lösungen gibt — und dass niemand damit allein sein muss.

Ebenso wichtig ist mir, klarzumachen, dass hier keine Glorifizierung stattfindet. Gerade, wenn man über das Bahnhofsviertel spricht – ein Ort, der in vielem einem Ghetto ähnelt –, geht es mir nicht darum, zu bewerten, weder gut noch schlecht. Sondern darum, nüchtern zu zeigen, wie es ist: hart, manchmal brutal, aber eben real.

Gutes Schreiben bedeutet für mich genau das: zu zeigen, ohne zu bewerten.
 



 
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