Wien - ein Allabatritta

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Matula

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Sissi muss für uns auf den Strich gehen, im Korsett, mit langen Locken und der Reitgerte in der Hand. Sie hat jedem etwas anzubieten, denn manchmal kommt sie als junger Achill daher, manchmal verteilt sie kandierte Veilchen an die Kinder. Zu Lebzeiten überspannt und pflichtvergessen, ist sie heute unsere Alma Mater. Überzeugen Sie sich selbst in der Hermesvilla um sieben Euro.

Natürlich haben wir auch eine echte Alma Mater, genannt die "Rudolphina", und außerdem noch eine Alma Mahler, die so tot ist wie die Sissi. Nicht zu vergessen die Justitia, die zur Zeit auch "Alma" heißt, und der Eckerlkäse aus Vorarlberg, den wir unseren Gästen gern zur Frühstückssemmel servieren.

Die Alma Mahler hatte viele Freunde. Sehr viele Freunde. Die Alma Mater ist nicht so beliebt. Nur dreizehntausend neue Studenten pro Jahr, die meisten in den falschen Fächern. Im Arkadenhof findet der Tourist auf Abwegen die Büste des Professor Friedrich Jodl, der nicht den Jodler erfunden, sondern über Ethik nachgedacht und den Wiener Volksbildungsverein geleitet hat. Er war aus Bayern eingewandert wie die Sissi.

Sollten Sie während Ihres Aufenthalts in Panik geraten, weil Sie Kaiserschmarrn gegessen haben, ist der Besuch eines Gymnastikkurses in einer Volkshochschule zu empfehlen. Das sind die späten Töchter des Volksbildungsvereins, haben mit der Alma Mater aber nichts zu tun, obwohl sie sich als "Hochschulen" bezeichnen. Wie Sissi können Sie dort herumhampeln, bis der Kaiserschmarrn kalorisch abgearbeitet ist, müssen Trainer und Garderobe aber mit der bodenständischen Bevölkerung teilen. Das gilt auch für die Gymnastikkurse der Alma Mater.

Wenn Sie einen verregneten Nachmittag im Hotelzimmer verbringen müssen, empfiehlt sich die Lektüre einheimischer Dichter. Franz Werfel zum Beispiel. Er war der letzte Ehemann der Alma Mahler und schrieb:

Ich bin so ganz voll Feuchtigkeit,
voll nassem Grün und Regenglück,
weil ich dich heut gesehen,
Darum möcht' ich auch nah und weit
und wohl ein gutes Gartenstück
in mir spazieren gehen.
Ist das nicht schön? Sie werden sich womöglich gleich Ihren Anorak anziehen und doch noch vor die Tür gehen. Die inneren Spaziergänge müssen warten, bis Sie wieder daheim sind in Berlin, in Bremen oder in Bad Friedrichshall. Von mehreren Passanten in die Irre geführt, werden Sie schließlich den Volksgarten betreten und dann vor ihr stehen. Vor der Sissi von Franz Bitterlich. Sagen Sie nichts. Sie hat die Hände im Schoß liegen und will vielleicht nicht gestört werden.

Ihren Ehemann können Sie im unweit entfernten Burggarten besuchen. Er steht ein bisschen verloren herum, obwohl nebenan der Hofprediger Abraham a Sancta Clara gerade wieder einer großen Zuhörerschar die Leviten liest:

Ich/antwort der Todt/dieser beinige wohl recht verbeinte Gesell/ich weiß umb keinen Respect, ich rühre kein Gelt an/Arm vnd Reich/gilt mir gleich/auch ist bey mir Holdselig vnd Goldselig nicht ein Ding/es mag das gelbe Metall/gelten viel überall/so gilt es doch bey mir nichts/ein Hanß vnd Joannes/ein Fritz vnd ein Fridericus/ein Balthasar vnd ein Hausel/ein Mathias vnd ein Hiesel ist mir eins/Ich nimme sie alle zusammen/schlags nieder in Gottes Nahmen vnd mach ein Allabatritta drauß/das ist mein Schmauß/wer dem nicht will glauben geben/der frag die Wienner drumb.

Das ist von ganz anderer Art als der Werfel, und Sie müssen sich das auch nicht bis zu Ende anhören. Lock-down war und Abraham, aus Kreenheinstetten eingewandert, verbrachte seine Pestquarantäne auf dem Schloss derer von Hoyos in Niederösterreich, die wiederum aus Avilla eingewandert waren. Während man sich anderswo mit Schwerkraft und Infinitesimalrechnung beschäftigte, schrieb Abraham feurige Reden, um den Wienern die Hölle heißzumachen.

Die Geschichte hat aber anders entschieden: man singt noch das Lied vom "lieben Augustin" und kein Hahn kräht mehr nach Abraham. Leider kann man den Besuch des Augustinbrunnens dennoch nicht empfehlen. Zum einen, weil er irgendwo am Naschmarkt verstaut ist, wo er bis zur Fertigstellung der U-Bahn Nummero 5 (voraussichtlich 2028) warten muss, zum anderen, weil sich der "Augustin" von Josef Humplik wie ein Gorilla auf einem Dessertteller ausnimmt. Sein Vorgänger, von einem gewissen Hans Scherpe gestaltet, war anmutig, aber leider aus Bronze. Man hat ihn zu Kriegsgerät verarbeitet. Oh, du lieber Augustin, alles ist hin ...

Sie können in Wien, wenn Sie möchten, eine Menge scheußlicher Denkmäler besichtigen. Und da es immer mehr werden, besteht der Verdacht, dass man damit öffentliche Plätze für angemeldete wie unangemeldete Versammlungen unbrauchbar machen will. Dabei hatte schon 1785 Christian C. L. Hirschfeld aus Kirchnüchel geschrieben:

Eine ansehnliche Stadt muß in ihrem Umfang einen oder mehrere große offene Plätze haben, wo sich das Volk in gewissen Zeitpunkten der Freude oder der Noth versammeln und sich ausbreiten kann, wo eine freye und gesunde Luft athmet, und die Schönheit des Himmels und der Landschaft sich wieder zum Genuß öffnet.

Schade, dass Sie heuer am 10. Februar nicht hier waren! Sie hätten über das Eintags-Denkmal für unseren Bürgermeister den Kopf schütteln können: ein von Klimaaktivisten errichteter "Betonschädel", der an einen lächelnden Buddha erinnerte.

Da Sie ein sportlicher Tourist/eine agile Touristin und gut zu Fuß sind, sollten Sie sich nicht mit den 2,88 Quadratmetern der Innenstadt begnügen. Gehen Sie im Dehnepark in Penzing spazieren, wo die Gemeinde eine "gotische" Ruine verfallen lässt, obwohl dort Hildegard Knef und Theo Lingen genächtigt haben, wenn sie bei Willi Forst zu Besuch waren. Leider müssen Sie sich mit einer colorierten Ansicht der Villa "Muthwillen", dem Herzstück der Anlage, begnügen. Von dem aus Württemberg zugewanderten Zuckerbäcker August Dehne pfleglich behandelt, von napoleonischer und späterer Besatzung verschont, wurde ihr 1970 von der Gemeinde der Garaus gemacht. Ersatzweise kann man jetzt Rotwangen-Schildkröten im Dehneteich beobachten.

Wenn Sie den Dehnepark zu idyllisch finden, gehen Sie ins Heeresgeschichtliche Museum im Arsenal und beurteilen Sie selbst, ob die Exponate dort auf eine geschichtsrevisionistische Art und Weise ausgestellt werden. Unsere Touristen dürfen alles sagen und es in ein großes Gästebuch schreiben. In der Feldherrenhalle werden Sie auf Prinz Eugen von Savoyen-Carignan treffen, den zierlichen aber teuflisch guten Militärstrategen, über den man seit 1717 singt:

Prinz Eugenius, der edle Ritter, wollt dem Kaiser wied'rum kriegen Stadt und Festung Belgerad;
er ließ schlagen eine Brukken, daß man kunt' hinüberrukken mit der Armee wohl vor die Stadt.


Im 5/4 Takt eines alten bayrisch-oberpfälzischen Tanzes gesungen, diente das Lied als Grundlage für den "Prinz-Eugen-Marsch" von Joseph Strauss. Sie kennen es als "Bürgerlied", mit dem die deutsche Einigkeit im 18. Jahrhundert beschworen wurde.

Falls Sie meinen, dass man russische Künstler nicht wie Parias behandeln sollte, empfiehlt sich eine Aufführung im Palais Auersperg und der Erwerb einer Eintrittskarte von einem weißbezopften Jüngling in schwarz-goldenem Livree. Im Auersperg singt zwar nicht die Netrebko, und die Darbietung kann so oder so ausfallen, aber Sie können zu Haydn, Strauss oder Vivaldi Tafelspitz mit Gemüsebouquet, Rösti und Schnittlauchsoße essen. Wer dann noch warmen Apfelstrudel mit Vanillesoße und Schlagobers nachschiebt, muss wieder zum Gymnastikkurs in der Volkshochschule (siehe oben).

In einem katholischen Land Urlaub zu machen, bietet den Vorteil, dass man die 14 Nothelfer anrufen kann, falls man in Bedrängnis gerät. Mit "Bedrängnis" ist nicht ein abgebrochener Schuhstöckel, ein eingerissener Fingernagel oder eine ähnliche Lappalie gemeint. In Bedrängnis sind Sie, wenn Sie dem Rathausmann begegnen. Wie der Golem in Prag wandert er manchmal zu später Stunde in der Stadt herum, vorzugsweise in engen Gassen.

Sie waren gerade in der "Eden-Bar" und machen sich beschwingt auf den Heimweg. Wenn Sie bemerken, dass Ihnen jemand folgt, dessen Schritte metallisch klingen und von einem Tok-Tok-Tok begleitet werden, dann drehen Sie sich bloß nicht um! Es ist der Rathausmann in seinen Eisenschuhen, auch "Bärlatschen" genannt, der seine Standarte mit sich führt. In dieser Lage sollten Sie den Heiligen Christophorus, den Schutzpatron der Reisenden, anrufen. Selbst von beachtlicher Größe, wird er Sie zwar nicht wie das Jesuskind auf seinen Schultern tragen, aber sicher in Ihr Hotel zurückgeleiten.

Gute Nacht!
 



 
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