Wilde Rosen im September - Ausflug zum See

Fredy Daxboeck

Mitglied
»Wohin fahren wir?«
»Geht es nicht zum Fluss? Der liegt in der anderen Richtung.«
»Kannst du das Dach weggeben? Ich möchte ohne Dach fahren, das ist lustiger.«
»Wohin fahren wir, Jennifer? Sag schon.«
»Das ist eine Überraschung. Wir fahren schwimmen, mehr müsst ihr nicht wissen.«
»Nicht an unseren Fluss? Wie sieht es dort aus? Gibt es da auch Krebse?«
»Jennifer sag doch!«
Doch die Freundin schwieg still vor sich hin und freute sich über das aufgeregte Plappern der Mädchen, die immer wieder ihre Köpfe zwischen den Sitzen nach vorne streckten und Fragen stellten. Sie fuhr an den rechten Straßenrand, klappte das Verdeck zurück, und dann weiter, dem Leben entgegen.
Ein schöner sonniger Tag, Mitte September, wahrscheinlich die letzte Möglichkeit für diesen Sommer zum Schwimmen, falls das Wasser im See nicht zu kalt war, an den sie fuhren. Aber das würde sich zeigen, wenn sie dort waren. Sie wollte den Tag nicht planen, ihm keine Richtung geben, bis sie sahen, was sie zusammen tun könnten. Mit einem Boot hinausfahren war eine Idee, am Strand liegen und in der Schläfrigkeit des Nachmittags die Sonne genießen, eine andere. Sie steckte eine CD der Spice Girls in das Radio und drehte die Musik laut auf. Genug um sie trotz Fahrtwind zu hören, aber die Kinder nicht verstummen zu lassen. Sie liebte ihr quirliges Wesen und die aufgeregte Freude, die sie an den Tag legten.
»Ich war selbst nur als Kind einmal da«, rief sie nach hinten, mit einem kurzen Seitenblick über die Schulter und sah zufriedene Kinder, die sich mit der Musik wiegten, in die Hände klatschten und die Köpfe schüttelten. Ein Tanzen im Sitzen, während der Hund neben ihr die hochgefahrene Seitenscheibe vollsabberte. Ein Anblick der Jennifer ein Mädchenlachen
entlockte, weil sie heute nichts erschüttern konnte, schon gar nicht ihr Beifahrer, der die Nase ans Glas drückte.
Nach einer guten Stunde Fahrt durch ein Tal mit vielen Kurven den Berg hinauf. Durch kleine schmucke Dörfer, die friedlich in der Sonne schliefen und Wälder, die in wenigen Wochen in bunten Farben glühen würden, sah sie die grüne Tafel vor sich,
nach der sie seit geraumer Weile Ausschau gehalten hatte.
›Zum See - Bootsvermietung‹ stand da, sie bog ab und ihr Herz klopfte vor kindlicher Freude. Sie fand auf Anhieb einen schattigen Parkplatz unter einer Baumgruppe, klappte das Verdeck hoch und dann liefen sie barfuß den Schildern nach zur Bootsvermietung. Ihr erster Weg, strahlend und hüpfend die Mädchen, übermütig bellend der Hund, mit Jennifer am anderen Ende der Leine.
Sie mietete ein kleines Motorboot mit Elektromotor und schon fuhren sie zwischen Ruderbooten und Kanus hindurch, wichen schnittigen Segelbooten und selbstbewussten Schwimmern aus, die zwischen all dem Getümmel ruhig ihre Bahnen zogen, fuhren das Ufer entlang und dann quer über den See. Staunend ob der wilden Romantik, die dieser See mitten im Waldviertel ausstrahlte. Sie könnten auch in den nordischen Fjorden gelandet sein. Mit ihrem Cabrio unbemerkt Raum und Zeit überwunden haben und am anderen Ende des Globus gelandet sein. Die Ufer felsig, umrandet mit Wäldern, dazwischen kleine Strände mit grobem Sand, an den meisten Leute wie sie, die das warme Wochenende für einen Ausflug nutzten.
Nach der Bootsfahrt gingen sie essen ins angrenzende Seerestaurant. Eine letzte Mahlzeit im Freien auf der Terrasse und hoch über dem Wasser, die Laute eines Sommers. Gelächter an den Tischen vor dem Restaurant, dazwischen Rufe über das Wasser, von den kleinen Booten am See, die ohne erkenntliche Ordnung mal hierhin und dorthin fuhren. Das Ohr nimmt alles auf, während sich das Auge einzelne Bilder herauspickt. Ein Anblick, den die Seele trinkt, den man mitnehmen wollte und im Herzen aufbewahren, für den kommenden Winter, um ihn dann und wann hervorzuholen und Kraft daraus zu schöpfen.
»Was machen wir jetzt? Gehen wir schwimmen?« Zwei Fragen im Vorauslaufen, die Mädchen hatten den Weg hinunter zum See und zum Badeplatz entdeckt und von Jennifer ein Nein, dass sie stoppte und ihr enttäuschtes Gesicht.
»Wir holen unsere Sachen vom Auto, dann gehen wir schwimmen. Aber nicht diesen Weg hinunter, sondern auf der anderen Seite vom Parkplatz. Ich habe gefragt. Dort können wir mit dem Hund ins Wasser«, rief sie ihnen zu und sie liefen zurück zum Wagen, ein übermütiges Laufen und Springen, bei dem Jennifer kaum nachkam.
»Wie gut könnt ihr schwimmen, oder besser wie lange?« Ihre Frage an die Mädchen beim Umziehen, hinter hochgehaltenen Handtüchern, weil es hier keine Kabinen gab, so wie auch keine Liegewiesen oder Sonnenschirme zu mieten. Nur das Mitgebrachte war zu haben. Ursprünglich und ehrlich. Ein Ort, an dem man zurückfinden konnte, zu sich selbst.
»Der See ist ziemlich tief und die Ufer steil.«
»Zwanzig Minuten im Fluss, eine halbe Stunde in ruhigem Wasser«, erklärte Sarah.
»Im Fluss wird man schneller müde, es braucht mehr Kraft«, ergänzte Nicole und ihre Schwester nickte zustimmend.
»Wir schwimmen meist im Fluss an der Donau bei Melk. Dort tauchen wir nach Fischen und Steinen. Nach Fischen zum Spaß, ob man sie auch erwischen würde, als Teil des Überlebenstrainings und Steine zum Spielen und für den Garten.«
»Ihr habt nach Fischen getaucht?«
»Ja, Papa hat einen gefangen, betäubt und wieder unter den Stein gesteckt. Wir haben ihn dann heraus getaucht, gebraten und gegessen.«
Ungläubig sah Jennifer Nicole an, die musste lachen und sagte dann ernst »Es geht ums Überleben. Nichts sonst, oder denkst du Fische wachsen auf Bäumen? Wir kennen auch viele Kräuter, Pilze und Beeren, die man essen kann, und können nach Wurzeln graben. Sollen wir suchen gehen?«
»Nein, das ist lieb, aber wir waren eben essen, da sparen wir uns das Graben und Braten«, lachte Jennifer und die Kinder lachten mit ihr. Sie schwammen im See und ließen sich sommersüchtig treiben. Der Hund paddelte mit ihnen hinaus, sie spielten Rettungshund mit ihm. Er freute sich, wenn er jemand hinter sich herziehen konnte, bis sie bibbernd mit blauen Lippen und klappernden Zähnen herauskamen und Jennifer sie in die sonnenwarmen Tücher wickelte. Sie lachte ihr dunkles, seidig fließendes Lachen, hob sie hoch und legte sie zwischen die Felsen, wo sie eine Weile lagen und sich wärmten. Bis sie sich kichernd herumrollten, aus den Handtüchern schälten und wieder zum Wasser liefen.
Viel zu schnell wurde es Abend, aber immer noch hell, eine erste Ahnung von Herbst mit einem kühlen Wind, der vom Westen kam. Sie sammelten ihre Sachen ein und die Mädchen wollten noch eine Runde schwimmen.
Einmal noch ins Wasser, einmal noch vom Hund gezogen werden, einmal noch dies, einmal noch das, solange Jennifers Geduld anhielt, war alles erlaubt. Und als sie später nach Hause fuhren, war nichts als Stille hinten im Auto, auch der Hund schlief jetzt, eingerollt zwischen den beiden, ein riesiges Kind mit Fell. Jennifer genoss die Fahrt in die Nacht hinein mit geborgter Familie.
Sie erinnerte sich, dass Mark einmal erwähnt hatte, die Mädchen würden manchmal im Stall schlafen, und so richtete sie im Schuppen ein Bett im Heu und legte die Kinder dort hinein. Der Hund kam zu ihnen, tappte leise auf großen Tatzen herbei und auch die weiße Katze kam über eine Leiter neugierig näher und schmiegte sich an sie.
Jennifer lag im Heu und atmete den aromatischen Geruch der getrockneten Gräser und Kräuter ein, lauschte dem leisen Knistern, dass jede ihrer Bewegungen begleitete, und genoss die tiefe Zufriedenheit, die sie bis auf den Grund ihrer Seele ausfüllte.
Und der Schlaf in den warmen Nächten zu Hause, traumzerfurcht und flach, aber hier im Heu, so ursprünglich wie vor tausend Jahren, schlief sie tief und fest und wachte erst auf, als die Sonne hoch am Himmel stand.
Zerzaust, zerknittert aber glücklich wie die Kinder.
 



 
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