Willkommen zurück

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lietzensee

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Willkommen zurück​


Die Bahnhofsuhr war stehen geblieben, der Werbebildschirm neu und den Vorplatz hatte man asphaltiert. Das war alles, was sich verändert hatte. Harry stellte seinen Koffer auf den Bahnsteig und sah sich um. „Willkommen zurück“, sagte er leise. Niemand beachtete ihn.

In dem Städtchen kannte er ja auch keinen mehr. Er war in Paris gewesen und in Warschau. Dort waren seine letzten Geschäfte erstaunlich gut gelaufen. Alle Zweifler und Kreditoren hatten ihm Recht geben müssen. Der Aufstieg in noch höhere Sphären war abzusehen- und dann hatte Paul ihm hereingelegt. Nun war er wieder hier. Nicht mal seine Wohnung in der Hauptstadt hatte er behalten können. Den Rollkoffer hinter sich her polternd, ging Harry in Richtung der Bahnhofskneipe.

Mit Paul hatte er Pech gehabt, das konnte vorkommen. Jetzt durfte er den Mut nicht verlieren und er durfte sich in Zukunft nicht wieder hereinlegen lassen. Aber wenn der an die Zukunft dachte, spürte er ein nagendes Gefühl in der Magengegend. Er musste auf ein bisschen Glück hoffen. Harry trat in den Ausschank. Er stellte seinen Koffer ab, bestellte ein Bier und blickte in ein grinsendes Gesicht an der Theke, „Hallo Harry.“

Vor ihm saß tatsächlich Georg. Er war älter und dicker geworden und trug einen einreihigen Anzug. Doch Harry erkannte sein Grinsen gleich wieder. Es schien einen herauszufordern und nur halbherzig sein Gefühl der Überlegenheit zu verbergen. So hatte Georg auf dem Raucherschulhof gegrinst, das Geheimnis des Lungenzugs vorführend und so hatte er auch auf seinem neuen Moped gegrinst, als Harry noch Fahrrad fahren musste. Konnte es wirklich sein, dass es sich in zwanzig Jahren nicht verändert hatte? Den Arm lässig auf die Theke gestützt, musterte Georg den Neuankömmling und seinen Koffer. Es schien fast, als hätte er auf ihn gewartet. Harry spannte seine Schultern an und zwang sich zu einem Lachen. „Hallo Georg.“

Mit einer Geste über der Theke bestellte sich nun auch Georg ein Bier. Offensichtlich kannte er den Barmann. Harry bedeutete er, sich neben ihn zu setzen. „Wie läuft es denn so bei dir? Hab gehört, du wärst sogar im Ausland. Jetzt bist du wieder in der Stadt?“

Georgs Art, Fragen zu stellen, fand Harry unangenehm. Er wollte mehr wissen, als ihm zustand. Er schien die Schwächen des anderen prüfen zu wollen. Aber im Beantworten solcher Fragen hatte Harry Übung. „Bei mir läuft es sehr gut, vielen Dank! Viel um die Ohren weißt du, die Geschäfte lassen einem nie Ruhe. Aber ein bisschen Zeit für meine Eltern will ich mir halt doch nehmen.“ Sie stießen zusammen an und Harry erzählte Anekdoten aus den Edelhotels und verglasten Konferenzräumen. In allen allen Details beschrieb er eine Tasse Kaffee, die die makellos weiße Bluse einer Sekretärin durchtränkte. In seiner Erzählung war ein Franzose mit Schnauzbart gestolpert, nicht er selbst. Aber die Geschichte machte das nicht schlechter. Dabei hielte er das Gespräch sorgsam von den Ereignissen der letzten Wochen fern- und von Paul.

Georg nickte grinsend. „Nicht schlecht Harry.“ Er suchte in seiner Sakkotasche und zog zwei Zigaretten hervor. „Rauchst du noch?“

Oh, Harry hatte schon Jahre lang nicht mehr geraucht. Aber die alte Geschichte fiel ihm gleich wieder ein. In einer Nacht vor vielen Jahren hatten sie um einen Aschenbecher vor der Disko gestanden. Beide hatten sie diskutiert und sich dabei an der Wand abstützen müssen, um nicht zu schwanken. Schließlich hatte Georg gegrinst und einen Vorschlag gemacht. Wenn du die Kippe schneller rauchen kannst als ich, dann lass ich dir den Vortritt bei dem Mädel. Darauf hatten sie bis drei gezählt und ihre Zigaretten angezündet. Harry hatte so schnell gezogen wie er konnte, gepafft und gepafft und gepafft. Schließlich war seine Kippe zuerst auf den Filter runtergebrannt. Er hatte gewonnen und sich Sekunden später auf Schuhe und Hemd gekotzt. Damit würde er sich jetzt aber nicht provozieren lassen. Harry nahm die Zigarette. Ohne den Blick von Georg zu lassen, zündete er sie sehr vorsichtig an.

Georgs Grinsen wurde breiter. Er zupfte am Kragen seines Sakkos. „Schon komisch, wenn man früher so mit heute vergleicht.“

Wollte Georg seinen alten Triumph wirklich noch einmal aufwärmen? Oder wollte er ihm unter die Nase reiben, dass er nun wieder mit einem Koffer am Bahnhof stand? Harry wurde wütend. Er zog an der Zigarette, hustete und musste mit Bier nachspülen. „Was willst du, Georg?“

„Halt über alte Zeiten quatschen.“

„Hast du wirklich keine anderen Probleme? Geht es dir immer noch um die Wette von damals? Ja, wir haben Kippen um die Wette geraucht und du hast mir das Mädchen ausgespannt. Dabei war ich damals wirklich scharf auf...“ Harry merkte, dass er den Namen des Mädchens vergessen hatte. Nicht mal ihre Haarfarbe fiel ihm mehr ein. Georgs Grinsen wurde noch breiter. Doch nun wirkte es verwirrt. Er schien nicht zu verstehen, wovon die Rede war. Auf einmal kamen Harry Zweifel, was wirklich hinter diesem Grinsen vorging. Er hustete verlegen. „Was machst du denn jetzt so?“, fragte er schließlich und wunderte sich, dass er das nicht schon vorher getan hatte.

„Nicht viel“, antwortete Georg. Harry deutete auf seinen Anzug und aus dem Grinsen wurde ein lautes Lachen. „Ich war beim Gericht, mein Scheidungstermin.“ Sie stießen an und nahmen einen langen Schluck aus ihren Gläsern. „Kannst du dich an die heiße Verkäuferin aus der Eisdiele erinnern? Nein? Na ja, die hatte ich geheiratet. Jetzt ist sie natürlich nicht mehr so heiß.“

Sie tranken aus und bestellten noch eine weitere Runde. Der Wirt schob ihnen die Gläser zu und sie sprachen über den Mathelehrer Pandurski. Der hatte sie in der siebten Klasse beide durch die Prüfung fallen lassen. Schließlich beugte Georg sich über die Theke. Er klopfte Harry auf die Schulter. „Willkommen zurück.“
 
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lietzensee

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Hallo Hein,
vielen Dank für den Hinweis und die Bewertung! Das -war- wirklich zu viel des Guten. Ich habe deine Änderung einfach mal direkt übernommen.

LG
lietzensee
 



 
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