Willkommener Abschied
Marie kannte ich bereits seit der Grundschule. Wir nannten sie alle Lockenköpfchen, weil eine voluminöse blonde Lockenmähne hatte. Zu Beginn der dritten Klasse stand sie auf einmal im Klassenraum. Meine Klassenlehrerin Frau Lenz stellte sie uns vor und bat sie, sich an einen Tisch ihrer Wahl zu setzen. Sie setzte sich zu mir. Seit dem waren wir zwei unzertrennlich.
Nachmittags, wenn die Schule aus war, ging ich oft mit ihr zu ihrer Oma. Sie musste nachmittags immer bei ihrer Oma zu Mittag essen und da es ihr zu langweilig war, lud sie mich ein. Sie hatte dort ihr eigenes Zimmer. Wir spielten oft Familie, machten Hausaufgaben oder hielten Kaffeekränzchen. Am Wochenende besuchte ich sie bei ihren Eltern. Sie hatte ein kleines Kaninchen, mit dem wir des Öfteren spielten. Wir setzten uns auf die Wiese hinter dem Haus und machten ein Picknick. Unter Picknick verstanden wir damals nicht, sich eine Decke nehmen und gemütlich Kaffee und Kuchen essen. Wenn Marie und ich picknickten, haben wir die halbe Inneneinrichtung ihres Zimmers auf dem Rasen ausgebreitet. Wir nahmen Puppen mit, ein paar Bücher, Game-boys, Brettspiele und jede Menge Süßigkeiten. Das einzig nervtötende war das ständige Zurückräumen unserer Utensilien.
Als wir die vierte Klasse abgeschlossen hatten, kamen wir in die Realschule, dort gingen wir in dieselbe Klasse. Auch da saßen wir nebeneinander. Die Zeit in der Grundschule wollten wir auf keinen Fall missen, obwohl wir doch damit abgeschlossen hatten. Für uns beide änderte sich nicht sehr viel. Wir bekamen zwar neue Freunde, gingen in eine andere Schule, aber wir waren doch beide dieselben. Alles lief wie in vergangenen Zeiten. Wir trafen uns nach der Schule, auch wenn ich sie jetzt nicht mehr bei ihrer Oma besuchte. Wir gingen mit unseren Freunden nachmittags auf das Schulgelände und spielten dort Spiele, wie Tat oder Wahrheit oder Verstecken, bis dann die Jagd nach den Jungen losging. Es gab für mich auch nette Jungen in der Klasse, aber die interessierten sich nicht für mich. Eines Tages allerdings fragte mich Henry, ob ich mit ihm gehen wolle. Henry war der hübscheste, beliebteste und vor allem chaotischste Junge der gesamten Stufe. Da konnte ich nicht Nein sagen.
Marie fand auch einen Freund, genauso, wie unsere Freundin Jacqueline. Mit diesen zwei Pärchen zogen Henry und ich damals los. Wir versteckten uns in dunklen Kellern, rauchten heimlich Zigaretten und probierten es mit dem ersten Zungenkuss. Begeistert war ich damals nicht von Henrys Zungengewandtheit. Es schmeckte einfach feucht und schleimig und war einfach total eklig. Heute betrachte ich das allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Mit dem Rauchen habe ich nach ganzen Zwei Zigaretten aufgehört. Nicht nur, dass es widerlich schmeckte, es nahm mir auch das letzte bisschen meines Taschengeldes. Seit dem hat sich das nicht geändert. Selbst das Trinken habe ich aufgegeben. Außer einem Glas Sekt oder Wein zu feierlichen Anlässen, trinke ich lediglich Orangensaft, Wasser oder Tee. Ich glaube, dass macht wieder wett, dass ich nur gelegentlich Sport treibe.
Ein halbes Jahr etwa war ich mit Henry ein Paar. Danach war er mit Marie zusammen, dann mit Jacqueline und dann mit jeder anderen, die greifbar war. Ich weiß nicht, ob er je verkraftet haben mag, dass es vorbei war, denn er musste mich nach unserer Beziehung täglich verbal malträtieren. In der sechsten Klasse zog er nach Berlin und ich sollte ihm nie wieder begegnen.
Maries und meine Wege trennten sich in der siebten Klasse. Die zwei Parallelklassen der Realschule, wurden nun in drei Klassen aufgeteilt. Ich war von der ersten bist zur zehnten immer in der B-Klasse gewesen. Marie ging nun in die C-Klasse. C wie Chaot. Jedenfalls waren in der C-Klasse alle Chaoten außer Marie, da sie stets besser in der Schule war, als ich und immer einen reiferen Eindruck auf mich machte.
In der Zukunft sollte sich das alles verändern. Sie hing fast nur noch mit ihren Chaoten herum. Schule? Naja, die Schule war für sie nur noch ein Ort, an dem sie ihre „Freunde“ treffen und am Vormittag abhängen konnte. Trotzdem kam ich noch gut mit ihr aus, wenn wir uns sahen, auch wenn es immer seltener war.
Letzten Endes musste ich mich selbst um meine Schularbeiten kümmern und die Realschulabschlussprüfung bestehen, was mir auch recht gut gelang. Marie hatte sich mehr oder weniger durch die Prüfung gemogelt und gequält. Sie bestand und begann eine Ausbildung als Altenpflegerin. Das war für ihre Verhältnisse eine gute Wahl, da sie immer schon häuslich veranlagt war und mit älteren Menschen umgehen konnte.
Ich hingegen hatte keinen Plan. Die angebotenen Ausbildungsstellen sagten mir alle nicht zu. Ich wollte mehr als einfache Dienstleistungen verrichten. Mein Beschluss stand fest, ich wollte die Schulbank für weitere vier Jahre drücken. Mit dem Abitur und einer Berufsausbildung wollte ich auf das Studium für Journalistik hinarbeiten. In der Zeit brach der Kontakt für etwa zwei Jahre ab. Nach der gelungenen Abschlussfeier für den Jahrgang 2000 hatten wir uns gänzlich aus den Augen verloren.
Mich störte das nicht weiter. Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen, der auch mit vielen Freunden, Bekannten und einigen netten Männern ausgefüllt war.
Irgendwann jedoch, ich war wieder mit einem hübschen, braungebrannten und durchtrainierten Soldaten auf einer Party, lief mir Marie über den Weg. Ich erkannte sie kaum wieder. Sie trug eine hübsche modische Kappe und war sehr stark geschminkt. Die schwarze Kleidung sollte wohl kaschieren, wie viele Kilos sie in den letzten zwei Jahren zugenommen hatte. Ihre blonden Löckchen ließen sie noch immer wie ein knuffiges Püppchen erscheinen. Da sie sich nicht sicher war, tippte sie mich nur leicht an die Schulter und blickte mich zurückhaltend an.
„Jenny? Bist du es?“
Ich hatte gerade etwas abgenommen, wie es so in den ständigen Launen der Frau liegt, trug eine enge Jeans und ein knappes, weinrotes und rückenfreies Glitzeroberteil.
„Marie?“ Antwortete ich nach einer kleinen Pause, da ich erst überlegen musste, wer da vor mit stand. Schon, da wir uns erkannten, ging ein wildes angeregtes Gespräch über unsere Vergangenheit los. Wir fielen uns gegenseitig ins Wort und lachten über unsere Dummheiten.
„Was treibst du denn zur Zeit so, Marie?“
„Ich bin mit meiner Altenpflegeausbildung fast fertig. Ich treffe mich noch mit meinen alten Leuten aus der Realschule und dann gehen wir ab und zu Partymachen oder einen Trinken.“
Mit einem Mal jedoch verstummte Marie. Sie sah den Mann, der sich neben mir aufbaute und tat es mit einem schnippischen Grinsen wieder ab. Ich stellte ihr meinen Freund vor und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. Mir wurde bewusst, worin sie ein Problem sah. Sie war eifersüchtig. Eifersüchtig auf den Mann, der so gutaussehend neben mir stand und mich lächelnd am Hintern packte.
Ich schickte ihn los, etwas zu trinken zu holen, damit wir beide unbefangen weitertratschen konnten. Ich hätte gern mehr darüber erfahren, was sie bis jetzt erreicht hatte. Ich beabsichtigte nicht mit ihm anzugeben oder zu zeigen, mit welchen Leuten ich mich abgab. Was wäre mir wohl auf die Dauer wichtige gewesen? Ein kräftiger Knackarsch oder eine verlorengeglaubte Freundschaft.
Das erste was sie sagte, als er uns den Rücken zudrehte, war allerdings, „lass dich nicht von so einem Typen über den Tisch ziehen. Der sieht schon so aus, als würde er jede nehmen, die ihm vor die Füße springt. Glaub mir, den Typ Mann kenne ich. Das ist nicht das Richtige für dich.“
Aber was war schon richtig für mich? Sollte ich das bestenfalls nicht selbst entscheiden? Vielleicht war es so, vielleicht aber auch nicht. Er war nur von kurzer Dauer und mittlerweile längst Geschichte. Das spielte nicht die geringste Rolle, da er nicht so wichtig war. Nicht so wichtig wie Marie es noch heute für mich ist. Traurigerweise war es ihr wichtiger eine Affäre zu zerstören, als eine Freundschaft wieder aufleben zu lassen.
Dies war unser erstes Treffen, dass ich schon fast vergessen hatte.
Marie kannte ich bereits seit der Grundschule. Wir nannten sie alle Lockenköpfchen, weil eine voluminöse blonde Lockenmähne hatte. Zu Beginn der dritten Klasse stand sie auf einmal im Klassenraum. Meine Klassenlehrerin Frau Lenz stellte sie uns vor und bat sie, sich an einen Tisch ihrer Wahl zu setzen. Sie setzte sich zu mir. Seit dem waren wir zwei unzertrennlich.
Nachmittags, wenn die Schule aus war, ging ich oft mit ihr zu ihrer Oma. Sie musste nachmittags immer bei ihrer Oma zu Mittag essen und da es ihr zu langweilig war, lud sie mich ein. Sie hatte dort ihr eigenes Zimmer. Wir spielten oft Familie, machten Hausaufgaben oder hielten Kaffeekränzchen. Am Wochenende besuchte ich sie bei ihren Eltern. Sie hatte ein kleines Kaninchen, mit dem wir des Öfteren spielten. Wir setzten uns auf die Wiese hinter dem Haus und machten ein Picknick. Unter Picknick verstanden wir damals nicht, sich eine Decke nehmen und gemütlich Kaffee und Kuchen essen. Wenn Marie und ich picknickten, haben wir die halbe Inneneinrichtung ihres Zimmers auf dem Rasen ausgebreitet. Wir nahmen Puppen mit, ein paar Bücher, Game-boys, Brettspiele und jede Menge Süßigkeiten. Das einzig nervtötende war das ständige Zurückräumen unserer Utensilien.
Als wir die vierte Klasse abgeschlossen hatten, kamen wir in die Realschule, dort gingen wir in dieselbe Klasse. Auch da saßen wir nebeneinander. Die Zeit in der Grundschule wollten wir auf keinen Fall missen, obwohl wir doch damit abgeschlossen hatten. Für uns beide änderte sich nicht sehr viel. Wir bekamen zwar neue Freunde, gingen in eine andere Schule, aber wir waren doch beide dieselben. Alles lief wie in vergangenen Zeiten. Wir trafen uns nach der Schule, auch wenn ich sie jetzt nicht mehr bei ihrer Oma besuchte. Wir gingen mit unseren Freunden nachmittags auf das Schulgelände und spielten dort Spiele, wie Tat oder Wahrheit oder Verstecken, bis dann die Jagd nach den Jungen losging. Es gab für mich auch nette Jungen in der Klasse, aber die interessierten sich nicht für mich. Eines Tages allerdings fragte mich Henry, ob ich mit ihm gehen wolle. Henry war der hübscheste, beliebteste und vor allem chaotischste Junge der gesamten Stufe. Da konnte ich nicht Nein sagen.
Marie fand auch einen Freund, genauso, wie unsere Freundin Jacqueline. Mit diesen zwei Pärchen zogen Henry und ich damals los. Wir versteckten uns in dunklen Kellern, rauchten heimlich Zigaretten und probierten es mit dem ersten Zungenkuss. Begeistert war ich damals nicht von Henrys Zungengewandtheit. Es schmeckte einfach feucht und schleimig und war einfach total eklig. Heute betrachte ich das allerdings aus einer ganz anderen Perspektive. Mit dem Rauchen habe ich nach ganzen Zwei Zigaretten aufgehört. Nicht nur, dass es widerlich schmeckte, es nahm mir auch das letzte bisschen meines Taschengeldes. Seit dem hat sich das nicht geändert. Selbst das Trinken habe ich aufgegeben. Außer einem Glas Sekt oder Wein zu feierlichen Anlässen, trinke ich lediglich Orangensaft, Wasser oder Tee. Ich glaube, dass macht wieder wett, dass ich nur gelegentlich Sport treibe.
Ein halbes Jahr etwa war ich mit Henry ein Paar. Danach war er mit Marie zusammen, dann mit Jacqueline und dann mit jeder anderen, die greifbar war. Ich weiß nicht, ob er je verkraftet haben mag, dass es vorbei war, denn er musste mich nach unserer Beziehung täglich verbal malträtieren. In der sechsten Klasse zog er nach Berlin und ich sollte ihm nie wieder begegnen.
Maries und meine Wege trennten sich in der siebten Klasse. Die zwei Parallelklassen der Realschule, wurden nun in drei Klassen aufgeteilt. Ich war von der ersten bist zur zehnten immer in der B-Klasse gewesen. Marie ging nun in die C-Klasse. C wie Chaot. Jedenfalls waren in der C-Klasse alle Chaoten außer Marie, da sie stets besser in der Schule war, als ich und immer einen reiferen Eindruck auf mich machte.
In der Zukunft sollte sich das alles verändern. Sie hing fast nur noch mit ihren Chaoten herum. Schule? Naja, die Schule war für sie nur noch ein Ort, an dem sie ihre „Freunde“ treffen und am Vormittag abhängen konnte. Trotzdem kam ich noch gut mit ihr aus, wenn wir uns sahen, auch wenn es immer seltener war.
Letzten Endes musste ich mich selbst um meine Schularbeiten kümmern und die Realschulabschlussprüfung bestehen, was mir auch recht gut gelang. Marie hatte sich mehr oder weniger durch die Prüfung gemogelt und gequält. Sie bestand und begann eine Ausbildung als Altenpflegerin. Das war für ihre Verhältnisse eine gute Wahl, da sie immer schon häuslich veranlagt war und mit älteren Menschen umgehen konnte.
Ich hingegen hatte keinen Plan. Die angebotenen Ausbildungsstellen sagten mir alle nicht zu. Ich wollte mehr als einfache Dienstleistungen verrichten. Mein Beschluss stand fest, ich wollte die Schulbank für weitere vier Jahre drücken. Mit dem Abitur und einer Berufsausbildung wollte ich auf das Studium für Journalistik hinarbeiten. In der Zeit brach der Kontakt für etwa zwei Jahre ab. Nach der gelungenen Abschlussfeier für den Jahrgang 2000 hatten wir uns gänzlich aus den Augen verloren.
Mich störte das nicht weiter. Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen, der auch mit vielen Freunden, Bekannten und einigen netten Männern ausgefüllt war.
Irgendwann jedoch, ich war wieder mit einem hübschen, braungebrannten und durchtrainierten Soldaten auf einer Party, lief mir Marie über den Weg. Ich erkannte sie kaum wieder. Sie trug eine hübsche modische Kappe und war sehr stark geschminkt. Die schwarze Kleidung sollte wohl kaschieren, wie viele Kilos sie in den letzten zwei Jahren zugenommen hatte. Ihre blonden Löckchen ließen sie noch immer wie ein knuffiges Püppchen erscheinen. Da sie sich nicht sicher war, tippte sie mich nur leicht an die Schulter und blickte mich zurückhaltend an.
„Jenny? Bist du es?“
Ich hatte gerade etwas abgenommen, wie es so in den ständigen Launen der Frau liegt, trug eine enge Jeans und ein knappes, weinrotes und rückenfreies Glitzeroberteil.
„Marie?“ Antwortete ich nach einer kleinen Pause, da ich erst überlegen musste, wer da vor mit stand. Schon, da wir uns erkannten, ging ein wildes angeregtes Gespräch über unsere Vergangenheit los. Wir fielen uns gegenseitig ins Wort und lachten über unsere Dummheiten.
„Was treibst du denn zur Zeit so, Marie?“
„Ich bin mit meiner Altenpflegeausbildung fast fertig. Ich treffe mich noch mit meinen alten Leuten aus der Realschule und dann gehen wir ab und zu Partymachen oder einen Trinken.“
Mit einem Mal jedoch verstummte Marie. Sie sah den Mann, der sich neben mir aufbaute und tat es mit einem schnippischen Grinsen wieder ab. Ich stellte ihr meinen Freund vor und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. Mir wurde bewusst, worin sie ein Problem sah. Sie war eifersüchtig. Eifersüchtig auf den Mann, der so gutaussehend neben mir stand und mich lächelnd am Hintern packte.
Ich schickte ihn los, etwas zu trinken zu holen, damit wir beide unbefangen weitertratschen konnten. Ich hätte gern mehr darüber erfahren, was sie bis jetzt erreicht hatte. Ich beabsichtigte nicht mit ihm anzugeben oder zu zeigen, mit welchen Leuten ich mich abgab. Was wäre mir wohl auf die Dauer wichtige gewesen? Ein kräftiger Knackarsch oder eine verlorengeglaubte Freundschaft.
Das erste was sie sagte, als er uns den Rücken zudrehte, war allerdings, „lass dich nicht von so einem Typen über den Tisch ziehen. Der sieht schon so aus, als würde er jede nehmen, die ihm vor die Füße springt. Glaub mir, den Typ Mann kenne ich. Das ist nicht das Richtige für dich.“
Aber was war schon richtig für mich? Sollte ich das bestenfalls nicht selbst entscheiden? Vielleicht war es so, vielleicht aber auch nicht. Er war nur von kurzer Dauer und mittlerweile längst Geschichte. Das spielte nicht die geringste Rolle, da er nicht so wichtig war. Nicht so wichtig wie Marie es noch heute für mich ist. Traurigerweise war es ihr wichtiger eine Affäre zu zerstören, als eine Freundschaft wieder aufleben zu lassen.
Dies war unser erstes Treffen, dass ich schon fast vergessen hatte.