Willow

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Blue Sky

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Von Termin zu Termin hetzend war ich an diesem Sommertag im Schwarzwald ausschließlich mit Kundenbesuchen beschäftigt. Im Wagen fielen mir fast die Augen zu. Der Tag neigte sich seinem Ende entgegen. Mein Navi führte mich zu einem Landgasthaus mit angeschlossenem Hotel und einem Gästehaus. Es lag etwas außerhalb der Ortschaft, durch die ich gerade rollte. Romantisch eingebettet war es fast versteckt in einem der typischen Waldstücke dieser Gegend.
Ich checkte in das letzte noch freie Zimmer ein, welches im dritten Stock des Hotels lag. Der nette Rezeptionist musterte mich fragend. Ich meinte, in seinem Gesicht etwas Mitleidiges, aber dann doch auch etwas von einem zynischen Lächeln erkannt zu haben. Dem keine weitere Bedeutung beimessend verabschiedete ich mich auf einen guten Abend. Ich bezog das Zimmer. Es war gemütlich und romantisch, aber zugleich modern eingerichtet. Hier traf ein Smart-TV auf einen antiken, wurmstichigen, aber sauber restaurierten Kleiderschrank. Es gab ein urgemütliches Doppelbett in ländlichen Stil und ein Einzelbett in der Ecke unter einem Fenster. Den Balkon mit Blick auf das bewaldete Tal erkundete ich gleich nach dem Bad und der kleinen Küchenzeile. Ein Zimmer zum Sauwohlfühlen, dachte ich und stellte mir schon einen möglichen Urlaub hier in diesem Gasthaus vor.
Nach einem entspannten Abendessen im Restaurant und einem kleinen Spaziergang begab ich mich auf mein Zimmer. Ich schlief, in das große Doppelbett eingekuschelt und bei laufendem Fernseher, recht bald ein.
Ich weiß nicht, wodurch ich wieder wach wurde. Der Fernseher hatte sich von allein abgeschaltet, und ich drückte auf das Tablet auf dem Nachtkästchen. Die Uhr zeigte halb eins. Mich gerade wieder auf die andere Seite drehend, sah ich im Augenwinkel durch den Vorhang einen Schatten an der Balkontür vorbeiziehen. Ich setzte mich auf. War da jemand vor dem Fenster, oder war es nur ein Schattenwechsel vorbeifahrender Autos gewesen? Ich schlurfte zum Balkon, öffnete die Schiebetür und trat hinaus. Es herrschte Totenstille, da war nichts und niemand. Keiner, den ich hätte um Ruhe bitten oder verjagen müssen. Nicht einmal eine Grille war zu hören. Das Licht vom Parkplatz beleuchtete die Fassade des Hauses. Mein Blick schweifte durch das Tal, über die Tannenwipfel, die aus dem leichten weißen Dunst herausragten. Das Licht des fast vollen Mondes tauchte sie in silbrigen Glanz. Die warme Nachtluft mit dem leicht harzigen Aroma des Waldes füllte meine Lungen. Wer immer mich geweckt hatte, hatte recht, diese Nacht war eigentlich viel zu schön, um zu schlafen. Als ich mich umdrehte, wehte der Vorhang aus dem Zimmer zurück. Seltsam, denn es regte sich kein Lüftchen. Ich schloss die Tür hinter mir. Mein Bett hatte noch etwas Wärme. Gerade, als ich wieder dabei war, einzuschlafen, hörte ich etwas. Atemzüge? Langsam setzte ich mich wieder auf.
Da lag jemand im Einzelbett unter dem Fenster. Ruhiges Atmen und ein kleiner Seufzer klangen zu mir herüber. Im schmalen Lichtschein hob und senkte sich die Bettdecke leicht. Eine lockige Wuschelmähne ruhte auf dem Kissen. Ich tippte auf den Sensor der Nachtlampe. In ihrem Schein war niemand zu sehen. Nur das Bettzeug war nicht mehr ordentlich und unbenutzt wie noch am Abend. Hatte ich schon Halluzinationen? War ich so überarbeitet? Außer einem Glas Badischen hatte ich nichts getrunken. Lag es daran, dass der Wein aus dem Keller der Hex stammte? Nein, wahrscheinlich hatte ich doch nur etwas zu viel Stress in letzter Zeit gehabt. Schluss jetzt, Licht aus und pennen!
Kurze Zeit später knackte und knirschte es im Raum, so wie ein Knarzen von alten Fußbodendielen. Wieder hob ich den Kopf, ließ das Licht diesmal jedoch aus. Ich spähte ins Dunkel des Zimmers. Der Vorhang bewegte sich wieder leicht. Nun hellwach, wurde mir etwas mulmig zumute. Mit weit geöffneten Augen starrte ich in den schummerigen Raum. Ein kalter Luftzug streifte mein Gesicht. Gleich darauf folgte eine wohlige Wärme wie die der Abendluft von draußen. Sie brachte einen frischen Tannenduft mit sich. Ein grauer Nebelschein waberte langsam vom Einzelbett herüber. Ganz leise hauchte die feine Stimme einer Frau unverständlich kurze Sätze und Worte. Sie klangen englisch und ich hörte immer wieder das Gleiche, doch ich brachte sie nicht zusammen. Kurz dachte ich an Flucht, doch meine Neugier hielt mich an Ort und Stelle. Mit zitternden Händen angelte ich nach meinem Telefon, schaltete die Kamera ein und postierte sie auf dem Nachttisch. Dann stand der Schein vor meinem Bett. Vor meinen ungläubigen Augen formte sich eine Frau in einem Nachthemdchen aus dem Nebel. Fast flehend hauchte sie, die für mich nicht zu deutenden Worte. In ihrem Gesicht, das von einer verwuschelten Lockenmähne eingerahmt wurde, lagen Sehnsucht und Verlangen, aber auch eine unendliche Traurigkeit. Bestimmt war sie keine dreißig geworden. Sie lächelte mich an und ich war nicht in der Lage, auch nur einen Mucks von mir zu geben. Unvermittelt zog sie ihr viel zu enges Nachtkleid über den Kopf, es ließ meinen Herzschlag noch heftiger pumpen. Splitternackt stand sie vor mir. Sie verzog schelmisch ihren Mund und setzte sich auf die Kante meines Bettes. Der unwiderstehliche Wunsch, sie in die Arme zu schließen, stieg in mir auf. Sie war unheimlich anziehend, ich bemerkte, wie sich mein Glied zuckend begann aufzurichten. Langsam wurde es so hart wie noch nie. Bevor ich mich zu etwas entscheiden konnte, fuhr sie mit einer Hand unter die Decke und ich spürte einen kalten Lufthauch an meinen Beinen, der sich aber schnell in wohlige Wärme verwandelte. Mit den unverständlichen Worten auf ihren Lippen beugte sie sich zu mir herunter. Ein Wechselbad von kalten und heißen Schauern erfasste mich. Wie ein endlos weicher Cashmereschal schlang sie sich um mich und wand sich in meinen Pyjama. Sie zog sich enger und enger. Selbst am Rücken fühlte ich ihre Wärme. Sie streifte zwischen meinen Beinen entlang und über meine gespannte Lust hinweg. Meine Hände tasteten nach ihr, doch ich fand sie nicht. Sanfter Druck fuhr über meine Schenkel und zog sich um mein Glied. Es fühlte sich an, als ob mein Penis von einer kräftigen Schlange eingerollt und massiert würde. Ihre Haut so seidenweich, sie glitt heiß und kalt an meiner. Ich spürte ihre Hände über meinen Nacken, meine Wangen und durch die Haare streichen. Bilder erschienen vor meinen Augen. Sie lag auf mir und streichelte mich, setzte sich auf und schob ihr Becken rhythmisch vor und zurück. Die Bilder stockten, dann flossen sie weiter. Wie von der Decke herab sah ich, wie sie sich zu mir hinunterbeugte. Ihre Lippen streiften über meine Haut. Sie floss mit ihrem warmen, weichen Leib über mich hinweg und ich wurde eins mit ihr. Da war die fordernde Reibung, ihre massierenden Hände und heiße, feuchte Luft überall um mich herum. Mein heftiges Atmen übertönte alles in meinen Ohren. Als ich kam, stöhnte sie auch mit spitzen, wimmernden Schreien. Ihre Muskeln zuckten. An meinem ganzen Körper erfühlte ich sie dabei. Dann blitzen auch schon erneute Bilder auf. Ihre Zunge kreiste neckisch um meine Brustwarzen, dann über meinen Bauch hinunter. Zehn Fingerspitzen strichen von meinem Hals über die Schultern an meinen Armen abwärts. Ihre Blicke machten mich so heiß. Immer neue Wellen der Wollust ritten wir ineinander verschmolzen. Wieder und wieder sah ich sie. Ich war wie hypnotisiert vom Anblick ihres Körpers in seinen grenzenlos sinnlichen Bewegungen, fühlte ihn so intensiv. Immer fordernder, schneller und feuchter bis in unsere zitternden Ekstasen.
Ob ich irgendwann nach unserem vierten oder fünften Höhepunkt das Bewusstsein verlor, oder ob ich einfach vor Erschöpfung die Augen schloss und hinwegdämmerte, weiß ich nicht.
Ich schlug die Augen auf. Sonnenstrahlen stachen durch die Vorhänge und blendeten mich. Ich fühlte mich schwach. Das kleine Hotel-Tablet sowie die Lampe am Bett waren tot. Die Erinnerungen an die letzte Nacht kamen zurück. Darunter schlich sich sofort die Hoffnung, dass das Erlebte kein Traum gewesen war. Ich setzte mich auf und ließ meinen Blick fragend durch das Zimmer schweifen. Das Einzelbett war genauso zerwühlt wie die Betthälfte neben mir. Mein Handy stand mit leerem Akku in der Position, an die ich es letzte Nacht gestellt hatte. Meine Armbanduhr war um ein Uhr zwölf stehen geblieben. Ich hob die Bettdecke an und schaute an mir hinunter, fand aber alles normal, nichts war anders als sonst. Es waren keinerlei Hinweise auf eine derart wilde Fahrt zu entdecken. Ich raffte mich auf und schlich rätselnd durch das Zimmer, während mein Telefon lud. Das kurze Video zeigte mir nur den fast dunklen Raum. Von meinem aufregenden Besuch war nichts zu sehen. Zu hören war nur ich, wie ich im Bett wühlte und keuchte. Bei voller Lautstärke wurde aber auch das fremde Atmen hörbar und einige Worte waren zu verstehen, die sie mir immer wieder versuchte zu sagen: »Please … no fear … I am Willow«, wisperte es und dann: »I am so lonely.«
Außerstande an etwas anderes zu denken, fragte ich an der Rezeption, ob es für mich noch ein Langschläferfrühstück gäbe und meldete das Tablet und die Nachtlampe als defekt. Wie beiläufig fragte ich, wer denn Willow sei. Da verfinsterte sich die Miene des Hotelangestellten. Seine Kollegin, die gerade noch so sehr in ihre Arbeit am Computer vertieft gewesen war, schaute auf. Die beiden tuschelten gestikulierend miteinander. Zwischendurch lächelten sie ein paar Mal nervös zu mir hinüber. Die Worte des Rezeptionisten kamen zögerlich. Er erzählte mir, dass Willow ein Mädchen aus Schottland gewesen sei, das mit ihren Eltern auf Urlaub hier war. Es sei ein tragischer Unfall gewesen. Vor nun etwa fünfzehn Jahren sei die damals Siebenjährige nachts vom Balkon des Zimmers gestürzt und ums Leben gekommen. Da blitzen plötzlich wieder Bilder vor meine Augen und in meine Gedanken.
Nachdem ich den Manager überzeugen konnte, die nachfolgenden Gäste anderweitig unterzubringen, und mir das Zimmer weiterhin zu vermieten, buchte ich es erst einmal für die nächsten drei Wochen. Mein Urlaub begann sofort an diesem Tag. Willow sollte nie wieder einsam sein. Sie sollte für immer so glücklich sein wie in der letzten Nacht. Ich wollte einen Weg finden.
Ich würde ans Tageslicht bringen, was ihr damals wirklich zugestoßen war, und denjenigen zur Rechenschaft ziehen, der sie in jener Nacht über die Brüstung gestoßen hatte. Sie hatte es mir nicht umsonst gezeigt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Blue Sky,

also, man spürt beim Lesen regelrecht die Intensität der Anspannung, die Deinen Protagonisten in dieser ersten Nacht erfasst. Sehr schön geschrieben.

Wie beiläufig fragte ich Komma wer denn Willow sei.

Liebe Grüße,
 

Blue Sky

Mitglied
Hi Rainer Zufall!

Vielen lieben Dank fürs nochmalige Lesen dieser wiederauferstandenen Geschichte, deine Meinung und die Sterne dafür!:)

Komma ... :oops: Danke! Erledigt!

LG
BS
 
Hallo Blue Sky,

echt packend geschrieben; ich blieb dran, wollte wissen, wie es ausgeht.

Zwei Kleinigkeiten:

Da verfinsterte sich die Mine des Hotelangestellten.
Miene

Ich buchte das Zimmer für die nächsten drei Wochen. Ich überzeugte den Manager, es mir weiterhin zu vermieten und die nachfolgenden Gäste anderweitig zu vertrösten
Da stimmt die Reihenfolge nicht.
Erst bucht er das Zimmer, dann überzeugt er den Manager, das Zimmer zu vermieten?
Vorschlag:
Ich überzeugte den Manager, mir das Zimmer weiterhin für die nächsten drei Wochen zu vermieten und die nachfolgenden Gäste anderweitig zu vertrösten.

LG, Franklyn
 

Blue Sky

Mitglied
Hallo Franklyn Francis,

vielen Dank fürs genaue Lesen und dein Feedback.
Das Ding mir der Miene ist erledigt. Manchmal habe ich das Gefühl, Elektronik mag mich nicht? Oder ich bin einfach nur zu trottelig? Oder beides? In meiner docx Datei ist das "e" tatsächlich noch drin gewesen. :confused:Oder doch ein Spuk ...?o_O

Da stimmt die Reihenfolge nicht.
Da war mein Gedanke: Er konnte nur buchen, weil es eine gewisse Überzeugung gab. Als Zusatz. Aber du hast bestimmt Recht damit, es anders herum zu formulieren.
LG
BS
 



 
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