Wind

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Frodomir

Gast
Hallo van Geoffrey,

ich schleiche nun schon ein Weilchen um deine Gedichte, die gerade bei Ungereimtes auf der ersten Seite stehen, und empfinde bei allen die ähnliche Diskrepanz zwischen inhaltlichem Tiefgang und lyrischer Seichte, was mir etwas zu schaffen macht.

So wagt sich auch dein Gedicht Wind thematisch in tiefere Gewässer. Es handelt sowohl vom Erwachsenwerden und Erwachsensein und von der Veränderung im Vergleich zur Kindheit, die diese Entwicklung mit sich bringt. In meinen Augen behandelst du dieses Thema aber nicht ausreichend genug, mir fehlt die lyrische Verdichtung. Ich mache es nicht, aber würde man deine Zeilen hintereinander aufschreiben, hätte man einen beinahe prosaischen Text, dem es meiner Meinung nach an poetischen Elementen mangelt. Einzig die Inversion
Und nennt „Freund Wind“ dich
und mit Abstrichen
Röhrend und hohl
lassen einen Stil erkennen, der die Form eines Gedichtes rechtfertigt.

Dabei finde ich jedoch schon die Adjektive röhrend und hohl problematisch, da sie es kaum vermögen, dem Symbol Wind einen tieferen als den auditiven Charakter zu verleihen. Infolgedessen wirken bereits die ersten vier Zeilen unverdichtet, da sie "nur" ausdrücken, dass der Wind mit dem erinnerten Kind spricht (da wäre doch noch ein lyrisches Element, da die zwei semantisch wertvolle Begriffe sich reimen). Dein Gedicht aber erzählt von irgendwo im Herzen und von röhrend und hohl und verliert sich damit im Beliebigen.

Verdichtet man diese Zeilen mit den entscheidenden Worten, entsteht die Phrase: "Wind erwacht das Kind."
Das Wort Wind gewinnt dabei zwar im weiteren Verlauf deines Werkes einen seine Naturerscheinung überhöhenden Symbolgehalt, doch fehlt es ihm wie ich finde an der entscheidenden Motivation. Dies liegt daran, dass der Wind zu schwach charakterisiert wird, auch wenn ich zu begreifen glaube, dass es sich um die recht abstrakte Energie des sich immer verändernden Lebens selbst handeln sollte. Mit diesem Phänomen klarkommen zu können, davon berichtet der zweite Teil des Gedichtes, leider aber auch in einer so erzählenden Form, dass dem Leser kaum Offenheit und auch lyrischer Tiefgang geschenkt wird. So sagt dein Gedicht bereits das Meiste prosaisch auf, mir als Leser bleibt dann nur ein Nicken und die Erkenntnis, das Dichten tatsächlich von Verdichten kommt.

Keinesfalls möchte ich dir aber damit meinen eigenen Stil oktroyieren, zumal ich mir im klaren bin, dass die Lyrik mittlerweile eine Unzahl an Spielarten offenhält. Vielleicht fehlt es mir aber bei deinem Gedicht Wind gerade daran: Dem Spiel mit der Art (Form, Sprache, Rhetorik).

Viele Grüße
Frodomir
 

van Geoffrey

Mitglied
Hallo, Frodomir!

Was für ein wundervoller, z.T. schwierig zu deutender Kommentar zu meinem Gedicht.
Deshalb erlaub ich mir, nach und nach Punkte herauszugreifen, und nicht auf alles zugleich Antwort zu geben.
Das Gedicht, wie ich es hier geschrieben habe, sehe ich als lose verbundene Kette von Assoziationen. Bunte Bilder, die aus der Seele emporsteigen.
Man kann das sicher als eine Art Prosa sehen. Tatsächlich würde ich aber einen Prosatext nicht mit so vielen poetischen Wendungen und Bildern ausstatten.
Die Rede an den Wind zu richten kann gleichfalls schwer im Rahmen eines Prosatextes gedacht werden.
Gedichte, wie ich sie verstehe, drücken ein Ineinandergleiten von Wahrheit, Traum und Überdenken aus, wie ich es mir in kaum einem Prosatext in dieser Kürze denken kann.
So sage ich - in Ermangelung eines besseren Wortes - Gedichte zu meinen Texten, ohne damit ein Gesetz begründen zu wollen, nach dem man Texte in Lyrik oder Prosa einteilen könnte.

Der Wind wird als Naturphänomen wahrgenommen, zu welchem mein Protagonist spricht, ähnlich wie ja auch ein Heiliger Franziskus zur gesamten Schöpfung, zu Tier- und Pflanzenwelt und auch zur unbelebten Natur - gesprochen hat.
Dieses Stück Schöpfung, dieses physikalische Phänomen wird nun anders vom Kind als vom Erwachsenen wahrgenommen, und mein Protagonist reflektiert die Wandlung des Wahrgenommenen im Rahmen seiner eigenen Lebensgeschichte. Der Wind erscheint ihm als ein leiser immer gegenwärtiger Beobachter, der gewissermaßen die Lebensgeschichte des Protagonisten kennt, und so ebenso zu einer Art altbekanntem Begleiter geworden ist.
"Erwacht das Kind in mir" drückt meinen Gedanken aus, dass wir "reifer gewordene Kinder", und im Grunde dieselben Menschen geblieben sind - ausgestattet lediglich mit einer zunehmenden Erfahrung. So scheint es mir möglich, dass etwas von dem Vergangenen, etwas zutiefst Kindliches auch jetzt noch in uns lebendig werden kann, als ein Erinnern aber auch als ein Wahrnehmen, dass wir im Grunde immer noch "groß gewordene Kinder" sind, nicht sehr verschieden von dem, was wir gewesen sind.

Du sagst:
"Dies liegt daran, dass der Wind zu schwach charakterisiert wird, auch wenn ich zu begreifen glaube, dass es sich um die recht abstrakte Energie des sich immer verändernden Lebens selbst handeln sollte."
Und das erscheint mir ein interessanter Gedanke.

Du sagst weiter:
"So sagt dein Gedicht bereits das Meiste prosaisch auf, mir als Leser bleibt dann nur ein Nicken und die Erkenntnis, das Dichten tatsächlich von Verdichten kommt."

Keinesfalls möchte ich dir aber damit meinen eigenen Stil oktroyieren, zumal ich mir im klaren bin, dass die Lyrik mittlerweile eine Unzahl an Spielarten offenhält. Vielleicht fehlt es mir aber bei deinem Gedicht Wind gerade daran: Dem Spiel mit der Art (Form, Sprache, Rhetorik)."

Über diese Kritik werde ich noch nachdenken müssen. Ich habe darauf keine sofortige Antwort. Es kommt mir in meinen Texten darauf an, dass meine Gedanken adäquat kommuniziert werden, eine pointierte (verdichtete) Aussage treffen und schließlich Übereinstimmung oder Protest beim Leser auslösen.
Ich suche in meinen Texten nicht irgendeinem Maßstab gerecht zu werden, nach welchem diese nun Gedichte sind oder nicht, sondern ich versuche, möglichst getreu meine Gedanken und Empfindungen in Worte zu fassen.
Ich halte dabei nicht an dem Wort Lyrik fest. Verwehre den Begriff aber auch nicht. Eine Auseinandersetzung, an der ich kein besonderes Interesse habe.
Alles so deutlich - oder überdeutlich - beschrieben zu haben, dass es der Leser nur abnicken kann, sehe ich nicht zwingend als Mangel, wenn man in Rechnung stellt, dass viele meiner Texte im Grunde kurze Betrachtungen oder Geschichten darstellen wollen.

Danke für deine ausführliche Kritik!

LG,

Roman
 

Monochrom

Mitglied
Hi,

Deine Erläuterung lassen den Text nicht unbedingt an Tiefe gewinnen. Ein großartiges Thema mit soviel Spielvarianten, die Du alle auslässt, keine eigene entwickelst und sehr flach bleibst.

Schade.

Ciao,
Monochrom
 

van Geoffrey

Mitglied
Tiefe

Hallo, Monochrom!

"Sein Text war flach wie die Bahn eines über das Wasser hüpfenden Steins."
Liegt es mir in meinen Texten an Tiefe?
Ich weiß gar nicht, ob es das ist, was ich selber in meinen Texten sehen möchte.
Könnte man sich einen Menschen denken, der tiefsinnig lächelt? Oder wär's egal?
Jedenfalls will ich im Hinterkopf bewahren, dass das Thema für wert gehalten wird, überarbeitet oder neu gefasst zu werden.

LG

Roman
 

Monochrom

Mitglied
Das ist eine schwierige Ebene, auf der wir uns jetzt bewegen.

Sicher, Tiefe ist kein Qualitätsmerkmal.

Aber wenn ein Text von "gründlich" redet, aber flach bleibt, wird es konträr.

In dem Sinne möchte ich nachsetzen, dass mir der Text zu unbelebt ist...

Allein der Wind in seiner Verwendungform ist auch hier flach und unbelebt, der arme Wind, wird immer wieder in diesselben Metaphern gepresst. Der möchte doch mal frei wehen...

Ciao,
Monochrom
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo van Geoffrey,

jetzt tue ich einmal etwas ganz Unübliches und ich hoffe, dass Du es mir nicht verübelst.

Tipps, wie Du den Text verbessern kannst, hast Du ja nun schon in ausreichendem Maße erhalten.

Darum möchte ich für Dich nicht den Text umschreiben, damit Du ihn so übernimmst, das wirst Du sicher nicht wollen, sondern damit Du ein Beispiel hast, was man daraus machen könnte.

Wind

Als Kind fürchtete
ich mich
vor dem Wind.
Aber heute,
wenn er
röhrend hohl
mir ein Wort schickt,
nenne ich ihn
meinen Freund,
denn er verrät mir etwas,
was ich zuvor
nicht wusste.

Du siehst vielleicht, dass die Zeilenumbrüche eine Wirkung erzielen. Zudem steht jetzt am Schluss etwas Rätselhaftes, mit dem sich der Leser beschäftigen könnte.

Es gibt sicher noch viel bessere Möglichkeiten, aber auf die Schnelle fiel mir dieses hier ein.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo van Geoffrey
Ich finde den Vorschlag von Vera-Lena sehr bedenkenswert,
du könntest aus dem Text wirklich etwas schönes machen:)

Gruß
Patrick
 



 
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