winden vor dem blühen

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
[ 4]winden vor dem blühen


ach ihr lieben – nicht am schirm empor
sollt ihr suchend eure runden drehen
einen halben tag habt ihr gebraucht
nahmt dies dach zur wohnung – aus versehen

doch ich nehm den schirm nun vom balkon
hebe seine stange aus dem ständer
schieb sie hintern tisch an ihren platz
euch jedoch verflecht ich im geländer

eignen willen – ja ich merk es wohl
habt ihr: wollt euch weit nach außen biegen
zäh geschmeidig schwankst du frei im wind
wollt ihr euch nicht umeinander schmiegen?

will dir nur ein wenig dabei helfen
laß mich auch von euch dabei belehren
wie ihr euch der sonne dreht entgegen
wend ich dich: du brauchst dich nicht zu wehren
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Mondnein,

bin versucht zu sagen: ein wunderbares Gedicht!
Und warum dann doch noch eine gewisse Zurückhaltung?
Muss wohl an der Frage liegen, die bei mir aufkommt: Hat er's - der Autor - wirklich so gemeint? Sei's drum, und ist ja sowieso egal, wie des Autors Intention war: Für mich ist es ein wunderbar zartes Liebesgedicht.

lg wüstenrose
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, natürlich, Wüstenrose,
spiegeln sich personifizierende Anreden und Metaphern so zurück in die Bilder, daß es kein bloßes Naturgedicht bleiben kann.

Das Vexierbild, wo die Winden wie widerspenstige Mädchen erscheinen, kippt dem entsprechend ins Gegenbild, wo die Mädchen wie widerspenstige Winden erscheinen.

Das Erstaunlichere ist, glaube ich, der "Eigenwille" der Winden, so gesehen ist es eher ein Naturgedicht.

Aber, und, nein, ja, doch, usw.

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
Hallo Mondnein

erinnert mich inhaltlich an Rilkes Lieder der Mädchen. Der Vergleich mit den Blumen ist nicht nur treffend, sondern auch lyrisch einfach wunderbar!

LG
Tula
 

wüstenrose

Mitglied
da musste ich, Mondnein, erst einmal etwas von meinem Leseerlebnis und deiner Antwort zurücktreten, um den Inhalt deiner Antwort dann verstehen zu können.
Ja, finde ich interessant zu lesen, wie du als Autor die "Stränge" beschreibst, aus denen das Gedicht geflochten ist.
Ich hätte es (als ich deinen Antwortkommentar noch nicht kannte) eher so gesagt:
Besonders spricht mich an, wie eine banal-alltägliche Beschreibung

doch ich nehm den schirm nun vom balkon
hebe seine stange aus dem ständer
schieb sie hintern tisch an ihren platz
eine eher unromantische Fährte legt, wo doch gleichzeitig eine Art strebendes Sehnen in der Luft liegt. Hier ein Element, das eher an sich hält, das das quirlige Treiben in Schach halten möchte / da ein Element, das gerade nicht an sich halten will, das hinaus und hinauf und nach überall hin will.
Da passt lange vieles nicht in diesem Gedicht: Wenn es denn auch Liebesgedicht genannt werden mag, wie kann man da nur die von mir zitierten drei Zeilen mit reinpacken, das geht nicht, das will nicht, das fügt sich nicht - - - und am Ende dann doch, dann geht es so schön auf und zusammen und diese Hochzeit mit Hindernissen ist mir halt lieber als wenn da von Anfang an so'n rosazartes Minne-Gesülze geschrieben stünde.
Also im Ernst: Es ist ein beschwerlicher Weg bis zum Schlusssatz, aber dann ist der Moment da, alles loszulassen ...

so ungefähr schwingt das für mich - und das berührt / und indem das Zarte teils versteckt wird und unausgesprochen bleiben will, leuchtet es heller, als wenn es penetrant durchs Schaufenster der Poesie gezerrt wird.
 

James Blond

Mitglied
Zur Physiologie der Windungen

Gerade am Sonnenschirm
mit seiner hier bereits überdeutlich
explizierten erotischen Symbolik ...

doch ich nehm den schirm nun vom balkon
hebe seine stange aus dem ständer
schieb sie hintern tisch an ihren platz
offenbart sich der Eros Balkoniens als Ort eingeheimster Wünsche:

Zur Sonne - zur Freiheit: Zur Lust!

Notfalls wird auch ein wenig nachgeholfen.


:)
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ihr lieben

Nun ja, JB, dann ist das hier nicht die "wahre Liebe", denn hier trifft eher die schlichte Doppelbödigkeit zu, die Wüstenrose trefflich abstrahiert hat (hervorragend!):
Hier ein Element, das eher an sich hält, das das quirlige Treiben in Schach halten möchte / da ein Element, das gerade nicht an sich halten will, das hinaus und hinauf und nach überall hin will.
Es ist - in einer der vielen möglichen Sichtweisen - auch das Mit- und Gegeneinander des Pädagogen mit seinen Zöglingen.
Und natürlich noch einiges mehr, wobei gerade der alltagspraktische Umgang des Balkoniers mit dem Sonnenschirm (nüchterner gehts kaum) zu derbsten sprachlichen Seiten-Ausschlägen Anlaß gibt.

Damit hat es vier gut unterscheidbare, aber miteinander verflochtene Stränge (d.h. lyrische Ich-Subjekte):

Den Balkongärtner , den Pädagogen, den zärtlichen Liebhaber - diese drei bilden den "echten" Haarzopf -,
und last and least den erotomanen Zyniker (fehlfarbenes Strähnchen).

Ein herzliches Dankeschön allen Kommentatoren!
 

James Blond

Mitglied
Gewindelt

Hehe, was heißt denn hier "Fehlfarben"?

Etwa noch nie vom "pädagogischen Eros" gehört? Ich denke, du bist "vom Fach"?

Selbstverständlich ist dein Text voller sexueller Anspielungen - auch wenn dies dem Autor (jetzt) peinlich wird ...

;)
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
macht doch was her, oder?

Strähnchen halt, -

zum Bleistift radioaktiv metallisch,
oder Leuchtfarbe (wer hineinschaut, sieht für drei Stunden die Komplementärfarbe),
oder ein bißchen billiges Plastik,
oder pseudogerontisches Silber
oder aphroditisches Gold.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ja, James, und Du meinst damit gewiß besonders die beiden:
hebe seine stange aus dem ständer
schieb sie hintern ...
Ja, das ist in der Tat süß. Das mit dem Hintern.
 

James Blond

Mitglied
die willigen Winden

Mir gefällt vor allem dies hier,

will dir nur ein wenig dabei helfen
laß mich auch von euch dabei belehren
wie ihr euch der sonne dreht entgegen
wend ich dich: du brauchst dich nicht zu wehren
denn es ist die freudlichere Form des Eros im angenehmen Kontrast zu Goethes Erlkönig.

:)
JB
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
wobei der "Wille" (bei den Pflanzen) unpersönlich und allgemein bleibt

Danke, James,
und die letzten Liedzeilen sind Fazit, Pointe, Sentenz, da freut es mich besonders.
Bei "Erlkönig" denkst Du wahrscheinlich nicht an das Kind im Arm des Reiters und den Verführungsversuch des tödlichen Naturgeistes, sondern wohl mehr an die oft isolierte Sentenz
"Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt".

Ja, das ist schon anders bei dem Gärtner, der vermeiden will, daß die Pflanzen sich aus einer "falschen" Wickelung um die Geländerstangen des Balkons wieder hinauswinden, um sich "richtig rum" zu drehen oder wieder einen halben Meter hinaus ins Freie zu schießen, wo der Wind sie beunruhigt oder ausdörrt. Der Gärtner beobachet, wie die Naturgesetzlichkeit die Winden formt und übernimmt das dann, damit sie die ihnen gemäße Stütze zum Weiterwachsen und -winden haben.
 



 
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