Winter

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Heute hatte es zum ersten Mal nach Winter gerochen.
Seine weißen Schleier wehten in der Luft und kitzelten im Haar, und als sie auf meine Wangen trafen, hielt er erstaunt inne – so viel Wärme war in mir, dass seine Schleier sich sofort auflösten. Neugierig kam er näher, strich über mein Haar, tupfte kalte Punkte auf die Haut am Hals und umschloss kühl meine Hände, bis ich sie ihm entzog und in die Jackentaschen schob.
Zweifelnd zog er sich ein wenig zurück, unklar darüber, was für ein merkwürdiges Wesen ich wohl sei, so seltsam warm, dann wandte er sich neuen Dingen zu und zog seine eisige Schleppe sorglos mitten durch mich hindurch. Fröstelnd krümmte ich mich zusammen und lief schneller, um nach Haus ins Warme zu kommen.
Und doch… und doch war er so verlockend, roch nach frischem Schneegestöber, klaren Eisblumen, den ersten Schlittschuhspuren auf dem gefrorenen See, nach runzligen Winteräpfeln und Kiefernnadeln, so süß und kalt. Noch war er zurückhaltend, vorsichtig, jung. Später würde er strenger werden, manchmal sogar unerbittlich, aber heute war er die Versuchung selbst.
Es stand fest. Ab jetzt würde ich jeden Tag nach ihm Ausschau halten. Ich würde ihn finden und ihn tief einatmen, mit ihm spielen und Eisblumen pflücken, solange es möglich war.
Das Später würde früh genug kommen.
 

aliceg

Mitglied
Hallo stachelbeermond,

poetischer kann man den Winterbeginn wohl kaum beschreiben! Der Wechsel der Jahreszeiten hat bei uns wohl auch
was Positives für das Seelenleben.

Liebe Adventgrüße.
aliceg
 
Hallo aliceg, vielen Dank für die Rückmeldung! Ich mag den Winter... obwohl er hier im Norden ja meist eher nass ist. :)
Liebe Grüße,
Stachelbeermond
 
G

Gelöschtes Mitglied 24147

Gast
Die letzten wirklichen Winter hat's hier bei uns in den 1980er Jahren gehabt, lieber stachelbeermond, als die Seen wirklich noch zufroren und die Schneedecken länger als nur ein paar Tage auf der Landschaft lagen. Ich kann Dein hübsches Gedicht nicht mehr als eine von der Jahreszeit bedingte, stimmungsvolle Impression sehen, sondern denke voller Sehnsucht an etwas, das einmal war und wohl nie mehr zurückkommen wird.

Hoffmann von Fallerslebens "Winter ade! Scheiden tut weh! Aber Dein Scheiden macht, dass jetzt mein Herze lacht - Winter ade! Scheiden tut weh" hat in unserer verdammten Zeit einen ganz anderen Hintergrund und eine andere Bedeutung bekommen.

Liebe Grüße

anschi
 
Vielen Dank anschi und Sandra Z. . Mein letzter Winter fand tatsächlich vorletztes Jahr statt, mit richtig hohem Schnee, der eine sagenhafte Woche lang liegen blieb. Es war toll. Ansonsten stimme ich dem "Winter ade! Scheiden tut weh!" ziemlich traurig zu...
Und danke für die Blumen, Sandra Z. :)
Liebe Grüße von Stachelbeermond (übrigens bin ich eine sie ;))
 



 
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