winterkalender, oktober: regen (wenn so nett sein darf)

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
winterkalender, oktober
regen


ihr seht der wolken mondesfleisch verbleichen
in räumen ohne ferne ohne streben
auf dem asphalt hört ihr die reifen kleben
der nässe leim will jeden schwung erweichen

die tropfen sprühen längs der sonne speichen
ihr spinnenrad verdreht des tages leben
gardinengrau in grauen lichtgeweben
vernetzt der wegewirrsal blindes zeichen

und wollt ihr nun in zeugungen erblitzen?
entladungen! die durch die blutbahn stürmen
geschleuderte! die sich in kapseln schirmen

geräderte! die staub und sterne schwitzen
zufallgewürfelt in das chaos münden –
wer wird euch in dem nebelschosz entzünden?
 
Als Brustschwimmer habe alle Hindernisse umschwommen, bin ein paar mal kurz untergetaucht, um aphoristisch Luft zu holen, danach mein Mondfleisch wieder trockengerädert, um meine stürmischen Blutbahnen wieder zu erwärmen. Ich kann nur jedem empfehlen sich am Morgen in die sonettigen Fluten zu stürzen und die Wellen des zweiten Quartetts zu genießen. Made my day.
Beislgrüße
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich lese das Gedicht als Verknüpfung von Mythologie und Beobachtungen.
Dabei schwingt etwas Dada mit, aber mehr noch Expressionismus. In allen Lüften hallt es wie Geschrei, wie Hoddis einst schrieb.
die staub und sterne schwitzen und münden zufallgewürfelt in das chaos wie die abstürzenden Dachdecker, die entzweigehen.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Danke, Namensvetter, ich sehe: Du tauchst richtig tief rein.

Danke, Bernd, ja: "Mythologie und Beobachtungen"; die mythologische Sprache kommt vielleicht von der biblischen und mehr noch von der dynamischen Bildhaftigkeit der Somahymnen im Rgveda. Oder von einer introspektivischen Körper-Empfindung. Ich habe nicht genug Distanz, das "von außen" klassifizierend einzuschätzen. Der Hoddis mit seinen "entzweigehenden" Dachdeckern klingt, glaubich, naiver, bewußt komisch.

Es gibt in den Terzetten die dreifache Parallele von einer Anrede mit Ausrufezeichen, dann aber Aussagesatz in der dritten Person, erst im Schlußvers in der zweiten. Die Relativsätze syntaktisch isoliert, als wäre es aus einem lateinischen Text übersetzt, wie man Partizipien, die ja nicht wie Verben eine grammatische 1., 2. oder 3. "Person" haben, in Relativsätze auflöst.

grusz, hansz
 



 
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