Winterspaziergang

MelP

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Winterspaziergang

Ich mummele mich dick in Daunenjacke, Schal und Handschuhe ein, stülpe meine geringelte Lieblingsmütze auf, leine meinen Curtis an und los geht's. Eigentlich habe ich - wie immer zunächst wenn der Hund raus will - keine Lust. Aber schon nach ein paar Schritten ist das meist vergessen.

Curtis blickt mich über die Schulter fragend an und daraufhin wende ich meine Schritte Richtung Dorf. Er "fragt" meist zuerst, wo wir langgehen. Dorf gefällt ihm nicht so, weil er dann nicht auf den Wiesen toben kann. Aber ich erkläre ihm, dass ich etwas für die Leselupe schreiben will. Interessiert ihn aber nicht so, er sieht mich ein bisschen verwirrt an. Genauso wie meine ältliche Nachbarin Reni. Die hängt nämlich wie immer am Fenster und beobachtet, was auf der Straße passiert. Wenn ich hinsehe, versteckt sie sich schnell.

Ich höre auf, auf Curtis einzureden und wir schlendern weiter. Rechts steht ein graues Haus aus den 60ern mit Gardinen aus etwa derselben Epoche. Ein Mann mit schlecht sitzendem Toupet schippt Schnee auf dem Hof. Er sieht mich geringschätzig von oben bis unten und wieder nach oben an, blickt dann noch abschätziger - soweit überhaupt möglich - auf meinen Hund, dreht mit wieder den Rücken zu, ohne meinen herausgewürgtes "Guten Tag" in irgendeiner Weise zu würdigen, geschweige denn zu erwidern. Ich schüttele den Kopf und marschiere weiter.

Das nächste Haus steht ein wenig zurück, nicht direkt an der Straße. Curtis schnuppert intensiv an einer Stelle des Zauns. Er inhaliert regelrecht die Düfte, die sich von unzähligem Hundepipi sicherlich geradezu in das Holz gefressen haben müssen. Dann tippelt er umständlich hin- und her, dreht sich im Kreis und hebt sein Hinterbeinchen so hoch es irgend geht. Doch zum eigentlichen Geschäft kommt er nicht mehr. Neben der Haustür wird ein kleines Fenster aufgerissen und Frau Drescher brüllt mit geröteten Wangen zu uns herüber: "Machen Sie sofort, dass sie hier wegkommen, wehe ihr Köter pinkelt an unseren Zaun - das ist Sachbeschädigung!! Ich werde das dem Ordnungsamt melden....!" Während sie weiter in dieser Art aus ihrem kleinen Fenster brüllt und furchtbar mit den Händen fuchtelt ziehe ich Curtis schnell weiter, er guckt verständnislos zwischen der brüllenden Frau und mir hin- und zurück, lässt sich ein wenig von mir zerren, er versteht wohl nicht, warum er jetzt nicht Pipi machen darf.

Das mit dem durchs Dorf gehen ist wohl nichts für uns, Leselupe hin oder her. Als kehren wir rasch um und gehen Richtung Wald, wo uns hoffentlich niemand anmeckert.

Endlich erreichen wir den Ortsrand, rennen im Laufschritt über die Straße auf den Waldweg. Rechts am Waldrand fließt ein kleiner Bach, der direkt vom Berg kommt, dahinter beginnt der Wald, links erstreckt sich eine schöne grüne Wiese, die sich in sanften Wellen an die beginnenden Berge schmiegt. Die ersten Vögel singen draußen, einen Moment lang ist mir ein bisschen nach Frühling. Curtis hüpft - endlich die blöde Leine los - wie ein kleines Fohlen buckelnd auf der Wiese umher, bohrt seine Nase in die vereinzelten Schneeflecken auf der Wiese und sucht nach Mäusen. Ich atme die eiskalte, klare Luft tief ein und puste sie als weißes Wölkchen wieder aus. Das ist soooo angenehm, fast kann ich die Luft schmecken.

Gedankenverloren stapfe ich vor mich hin und blicke in den stahlblauen Himmel, der nur ab und zu von kleinen Wolkentupfern unterbrochen wird. Doch plötzlich stört mich jemand in meinem Ungestörtsein. Direkt vor mir steht ein großer, dünner Mann mit einem winzigen Dackel auf dem Arm. Curtis steht schwanzwedelnd neben dem Mann und blickt sehnsüchtig zu dem Dackel hinauf, der seinerseits nach unten blickt und Curtis beobachtet. Der Mann sieht mich ziemlich wütend an. "Können Sie Ihren Hund nicht an die Leine nehmen? Mein Dackel hat Angst vor großen Hunden. Jedes Mal muss ich ihn auf den Arm nehmen, wenn wieder jemand seinen Hund ohne Leine laufen lässt. Ich finde das ziemlich egoistisch von Ihnen, schließlich sind doch Wald und Wiese für alle da!"

Während ich mich seufzend zu Curtis hinunterbeuge um ihn anzuleinen, murmele ich eine Entschuldigung und gehe schnell weiter. Der Mann mit dem Dackel bleibt stehen und sieht mir noch kopfschüttelnd nach. Der Dackel auf seinem Arm wirkt irgendwie unglücklich, finde ich. Kann ich verstehen...
 
Das Grauen in der Kleinstadt

Guten Morgen MeIP,

ruhig geschildert und penibel aufgezählt hast du deine kleinen Abenteuer beim ach so simplen Spaziergang durch die bundesdeutsche Kleinstadt. Stil passend zum Inhalt, gefällt mir. Kann mir das Ganze vor meinem inneren Auge vorstellen, so als liefe ein Film.

Grüße
Marlene
 



 
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