Schweiß flutete in unzähligen Rinnsalen über die kanalisierte Erstarrung seiner Stirn. Hier am Fenster gelang es ihm gerade noch den entscheidenden Atemzug einzuholen. Einatmen, ausatmen, einatmen. Begreifen, fühlen., daß man noch lebt. Der Widerschein des Feuers erlosch nur langsam, wirr noch flackerten die Augen vom verblassenden Traum und rauchig lag geschmolzenes Metall auf der verpelzten Zunge. Ein einsamer Schrei raste durch die Straßen, verlief sich in den engen Häuserschluchten. Einatmen, ausatmen. Wieder holten ihn die Visionen ein. Dort - im Dunst der Nacht, rot verschattet im Schein knisternden Neons - war es nicht sein Therapeut der noch immer im Dunkeln tappte? Müde wischte er sich die Augen. Immer stärker wurden die Visionen , immer schärfer traten sie aus dem leise wogenden Bildernebel, mit dem alles irgendwann einmal angefangen hatte. Ganz klar sah er es heute vor sich: angstverzerrte Gesichter, die ohnmächtig brüllenden Schreie, verschluckt vom Donner der Feuerwalze und das gespenstische Ausatmen im alles erstickenden schwarzer Qualm. Und er wußte, es würde geschehen. Bald. Sehr bald. Einatmen, ausatmen.
Woher diese plötzliche Ruhe? Er dachte an sie, und ein Lächeln huschte über das schattige Terrain zwischen Nase und Kinn. Manchmal, wenn er sich seine Tranquilizer verschreiben lassen mußte, hatte er sie gesehen. Majestätisch wie ein schwarzes Loch, das alles Atmende und Warme wie eine Dunstabzugshaube völlig regungslos ins Nirvana blies, saß sie selbstversunken auf ihrem Stuhl. Auch wenn die Praxis überfüllt war, umzog sie ein Niemandsland der Leere. Als wäre sie tot. Aber sie lebte. Unmerklich beugte sie sich vor und dann wieder zurück. Immer wieder. Minutiös, fast beruhigend. Und er hatte gelernt, ihr zuzuschauen und diese Momente der Ruhe zu genießen.
Heute war sein Therapeut ausgerastet. Dabei hatte er ihm nur gestanden, daß die Erscheinungen wieder stärker geworden waren. „Das kann nicht sein, das kann nicht sein!“ Kopfschütteln, schließlich ein zweifelnd prüfender Blick aus teilnahmslosen Augen. Dann wieder ausatmen, einatmen. Zwei bunte Pillen und ein süffisantes Lächeln: „Sie sind ein genauso hoffnungsloser Fall, wie dieses wandelnde depressive Nichts, dort draußen.“ Sein Daumen wies hämisch über die Schulter auf die Tür zum Wartezimmer. „Wollen sie einen Rat? Walther P88, Kaliber 9 ... Medulla oblongata in den Nachthimmel pusten und Stern werden ... für ewig träumen.“ Das meckernde Gelächter des Therapeuten hallte widerlich in ihm nach, weckte Protest. Er verteidigte sie, nahm sie in Schutz, brüllte diesen selbstgefälligen Weißkittel an. Wie kam er dazu? Wortlos knallte ihm der Therapeut zwei dicke Aktenordner vor die Füße. „Ich gratuliere! Sie haben sie soeben adoptiert. Viel Spaß!“ Die falschen Filme häuften sich.
Er nahm sie still an die Hand und sie folgte ihm wortlos. „Wo wohnst du?“, fragte er sie. In ihren Augen ...waren es Augen? ... als hätte jemand versucht, aus Rost, Asche und Staub zwei Diamanten zu pressen ... fand er die verwaschene Inschrift: „Schon lange nicht mehr auf dieser Welt.“ „Und was tust du?“ Nüchtern wehten klanglose Worte vorbei: „Ich versuche zu sterben.“ Die beiden Ordner des Versuchens trug er mit sich, säuberlich abgeheftete Verzweiflung im Kilogramm. Vielleicht war er schon immer zu nett. Ihm fiel auch nichts anderes ein, als dagegenzuhalten: „Irgendwas machst du doch falsch, oder?“ Und wieder erhob sich ein Hauch, sanft fielen ihre Worte in seine erwartungsvollen Hände, bildeten in der Höhlung eine kühle dunkle Pfütze, auf der ölig verschliert schimmerte: „Ich werde geliebt.“ Als hätte sie seine Überraschung bemerkt, rührte sie mit ihrem Finger im Wasser. Im trägen Spiel der Wellen las er: „Es würde ihnen das Herz brechen ... meinen Eltern, wenn ich mich selbst töten würde. Es wäre falsch ... ich muß leben ... ihnen zuliebe...weiter ... immer weiter.“ Sie hielt inne, wieder zu dem erstarrt, was sie war. Ein leerer Schatten Nichts am Rande ihres eigenen Herzschlags. Er blickte sie an, wurde sich bewußt, wie unendlich jung sie war, und er fühlte die Akten in seinem Arm schwerer und schwerer werden. Eine Biographie gelebter Verzweiflung ohne Ausweg.
„Du brauchst Urlaub!“, sagte er plötzlich entschieden. Sie schien nicht zu verstehen. „Du willst fort, weit fort?“ Sie nickte. „Vertrau mir.“
Morgen wird die Gletscherbahn auf dem Weg zum Kitzsteinhorn sein. Einer im Zug würde lächeln. Einmal im Leben.
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Woher diese plötzliche Ruhe? Er dachte an sie, und ein Lächeln huschte über das schattige Terrain zwischen Nase und Kinn. Manchmal, wenn er sich seine Tranquilizer verschreiben lassen mußte, hatte er sie gesehen. Majestätisch wie ein schwarzes Loch, das alles Atmende und Warme wie eine Dunstabzugshaube völlig regungslos ins Nirvana blies, saß sie selbstversunken auf ihrem Stuhl. Auch wenn die Praxis überfüllt war, umzog sie ein Niemandsland der Leere. Als wäre sie tot. Aber sie lebte. Unmerklich beugte sie sich vor und dann wieder zurück. Immer wieder. Minutiös, fast beruhigend. Und er hatte gelernt, ihr zuzuschauen und diese Momente der Ruhe zu genießen.
Heute war sein Therapeut ausgerastet. Dabei hatte er ihm nur gestanden, daß die Erscheinungen wieder stärker geworden waren. „Das kann nicht sein, das kann nicht sein!“ Kopfschütteln, schließlich ein zweifelnd prüfender Blick aus teilnahmslosen Augen. Dann wieder ausatmen, einatmen. Zwei bunte Pillen und ein süffisantes Lächeln: „Sie sind ein genauso hoffnungsloser Fall, wie dieses wandelnde depressive Nichts, dort draußen.“ Sein Daumen wies hämisch über die Schulter auf die Tür zum Wartezimmer. „Wollen sie einen Rat? Walther P88, Kaliber 9 ... Medulla oblongata in den Nachthimmel pusten und Stern werden ... für ewig träumen.“ Das meckernde Gelächter des Therapeuten hallte widerlich in ihm nach, weckte Protest. Er verteidigte sie, nahm sie in Schutz, brüllte diesen selbstgefälligen Weißkittel an. Wie kam er dazu? Wortlos knallte ihm der Therapeut zwei dicke Aktenordner vor die Füße. „Ich gratuliere! Sie haben sie soeben adoptiert. Viel Spaß!“ Die falschen Filme häuften sich.
Er nahm sie still an die Hand und sie folgte ihm wortlos. „Wo wohnst du?“, fragte er sie. In ihren Augen ...waren es Augen? ... als hätte jemand versucht, aus Rost, Asche und Staub zwei Diamanten zu pressen ... fand er die verwaschene Inschrift: „Schon lange nicht mehr auf dieser Welt.“ „Und was tust du?“ Nüchtern wehten klanglose Worte vorbei: „Ich versuche zu sterben.“ Die beiden Ordner des Versuchens trug er mit sich, säuberlich abgeheftete Verzweiflung im Kilogramm. Vielleicht war er schon immer zu nett. Ihm fiel auch nichts anderes ein, als dagegenzuhalten: „Irgendwas machst du doch falsch, oder?“ Und wieder erhob sich ein Hauch, sanft fielen ihre Worte in seine erwartungsvollen Hände, bildeten in der Höhlung eine kühle dunkle Pfütze, auf der ölig verschliert schimmerte: „Ich werde geliebt.“ Als hätte sie seine Überraschung bemerkt, rührte sie mit ihrem Finger im Wasser. Im trägen Spiel der Wellen las er: „Es würde ihnen das Herz brechen ... meinen Eltern, wenn ich mich selbst töten würde. Es wäre falsch ... ich muß leben ... ihnen zuliebe...weiter ... immer weiter.“ Sie hielt inne, wieder zu dem erstarrt, was sie war. Ein leerer Schatten Nichts am Rande ihres eigenen Herzschlags. Er blickte sie an, wurde sich bewußt, wie unendlich jung sie war, und er fühlte die Akten in seinem Arm schwerer und schwerer werden. Eine Biographie gelebter Verzweiflung ohne Ausweg.
„Du brauchst Urlaub!“, sagte er plötzlich entschieden. Sie schien nicht zu verstehen. „Du willst fort, weit fort?“ Sie nickte. „Vertrau mir.“
Morgen wird die Gletscherbahn auf dem Weg zum Kitzsteinhorn sein. Einer im Zug würde lächeln. Einmal im Leben.
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