Wir Eisprinzessinnen vom Planeten Frost

Ruedipferd

Mitglied
Manuel Magiera

Wir Eisprinzessinnen vom Planeten Frost

Der Eisplanet- Einführung

Anna und Nadja waren zehn Jahre alt. Sie lebten mit ihren Eltern und Geschwistern auf einem Planeten, der den Namen Frost trug. Er war etwas kleiner als die Erde und lag auf der anderen Seite der Milchstraße. Frost machte seinem Namen alle Ehre. Das besondere an ihm war sein Klima. Er war ein Eisplanet. Einen Sommer, so wie wir ihn von der Erde her kennen, gab es auf Frost nicht. Er besaß zwar eine Atmosphäre wie die Erde und man konnte dort atmen und leben, wie die Menschen hier. Doch die Sonne war viel zu weit entfernt und ihre Strahlen zu schwach, um das viele Eis und den Schnee zum Schmelzen zu bringen. Die Temperatur auf Frost betrug fast ständig zwanzig Grad minus. Die Kolonisten bezeichneten ihr neues zu Hause gerne als Erde im Dauerwinter. Anna und Nadja wurden auf Frost geboren. Ihre Eltern arbeiteten für die Raumfahrtbehörde und errichteten auf dem kalten Planeten einen Außenposten, um Daten aus dem Weltall zu sammeln. Die Bewohner lebten in Städten, die für die extreme Kälte gebaut wurden. Einkaufszentren und Verwaltungsgebäude wurden von riesigen Glaskuppeln überdacht. Turnhallen, Eishallen und Eisstadien halfen den Menschen bei der Freizeitgestaltung. Weil die Seen und Flüsse dauerhaft zugefroren waren, liefen die Einwohner Schlittschuh, wenn sie von einem Ort zum anderen wollen. Natürlich mussten die Kinder auf Frost auch in die Schule. Und nun ratet mal, wie sie dorthin kamen? Natürlich: Wer es nicht zu weit hatte, lief jeden Tag auf Schlittschuhen zum Unterricht. Die Bäche waren überdacht und wurden wie Straßen genutzt. So kam auch bei Schneetreiben und Sturm jeder sicher und trocken ans Ziel. In ihrem Stadtteil trainierten die Kinder am Nachmittag Eiskunstlaufen oder Eishockey. Auch die Erwachsenen trafen sich, um gemeinsam Sport zu treiben. Es verwunderte natürlich nicht, dass die meisten Jungen und Mädchen sehr gut eislaufen konnten. Und selbstverständlich gab es auch Wettbewerbe.
Am Wochenende sollte wieder die jährliche Stadtmeisterschaft stattfinden. Nadja und Anna waren beste Freundinnen. Sie trafen sich nachmittags zum Hausaufgabenmachen und verbrachten viel Zeit miteinander. Aber auf dem Eis hörte bei ihnen die Freundschaft auf. Die zwei jungen Damen gehörten nämlich zu den besten Eiskunstläuferinnen ihres Vereins und waren Konkurrentinnen.



Nadja und Anna

Wie immer nach Schulschluss zogen sich die zwei ihre Schlittschuhe an und machten sich auf den gemeinsamen Heimweg. Es war Dezember. Das Jahr neigte sich dem Ende zu und wie auf der Erde feierten die Menschen auf Frost am 24. Dezember Weihnachten. Die Kinder bekamen am Heiligen Abend Geschenke, die vom Weihnachtsmann höchst persönlich gebracht wurden. Den Schlitten zogen sechs Rentiere. Es gab eine Besonderheit auf Frost, denn im Gegensatz zum Erdenweihnachtsmann blieb Santa Frost unsichtbar. Bei den älteren Kindern und Jugendlichen hatte das zu abenteuerlichen Spekulationen geführt. Einige fragten sich, ob es den Weihnachtsmann überhaupt gab. Anna und Nadja machte im Augenblick ihr übliches Meisterschaftsgezicke am meisten zu schaffen. Wie sehr gingen sie damit auch ihren Müttern auf die Nerven! Beide Mütter unterstützten die Mädchen, nähten Kürkleider und begleiteten ihre Töchter häufig zum Training. Aber jedes Mal wenn ein Wettbewerb anstand, benahmen sich die Kinder völlig unmöglich, fanden die Frauen.

Schweigend glitten Nadja und Anna mit ihren bunten Schulranzen auf dem Rücken durch eine zauberhafte Winterlandschaft. Es war ein wundervoller Tag. Überall glitzerte das Eis im Sonnenlicht. Die Nadelbäume wurden von Schneehauben bedeckt und manchmal fiel auch die eine oder andere Schneeflocke vom Himmel. Die sturen Mädchen interessierte die schöne Natur und ihre Umgebung heute nicht. Es gab noch etwas, das den Planeten Frost völlig von der Erde unterschied: Die Tiere auf dem Eisplaneten konnten sprechen. Das betraf sämtliche Tiere: Robben, Pinguine und Schneehasen, Eisbären und Schneeeulen, kurz alle, die extreme Kälte gewohnt waren. Auf ihrem Heimweg liefen Anna und Nadja immer an der Hasenhöhle vorbei und blieben dort einen Augenblick, um den kleinen Häschen zu erzählen, was sie in der Schule gelernt hatten. Doch heute waren die beiden überhaupt nicht bei der Sache. So kurz angebunden kannte sie die Hasenfamilie gar nicht und die acht niedlichen Hasenkinder wunderten sich sehr. Sie sahen sich erstaunt an, wagten aber nicht, die zwei anzusprechen. So setzten die Mädchen ihren schweigsamen Weg noch eine Weile fort.

Nach einigen Minuten schien es, als könnte Anna die Stille nicht mehr aushalten. Sie druckste etwas und nahm all ihren Mut zusammen. Das ging so nicht weiter, dachte sie. Die beiden mussten endlich wieder vernünftig miteinander reden. „Du, Nadja, können wir mal den Wettkampf übermorgen kurz vergessen? Ich wollte dich nämlich etwas fragen!“ Nadja blickte überrascht auf, als sie Annas Stimme hörte und überlegte einen Moment. Sie nickte fröhlich mit dem Kopf. „Natürlich, ach Anna, eigentlich sind wir doof mit unserem Gezicke vor den Wettbewerben. Hauptsache ist doch, dass eine von uns beiden die Mädchenkonkurrenz gewinnt und wir die anderen Stadteile in Grund und Boden laufen. Ich kann den Doppelaxel so sicher, da hat die Ludmilla Orloff aus der Südstadt gar keine Chance. Und die West- und Oststädter brauchen wir überhaupt nicht zu fürchten. Die können den Axel nicht einmal einfach richtig stehen und einen sauberen doppelten Lutz habe ich von denen auch noch keinen springen sehen.“ Anna freute sie sich wie eine Schneekönigin, als sie das hörte und ein großer Stein fiel ihr vom Herzen. Sie klatschte überschwänglich in die Hände und lief stürmisch auf Nadja zu. Endlich! Sie wollten sich umarmen, aber es kam anders. Anna rutschte auf ihren Schlittschuhen aus und zog die Freundin mit sich. Pardauz. Die zwei fielen der Länge nach auf das Eis. Es war ihnen nichts passiert, Stürze gehörten zum Eiskunstlaufen dazu. Anna strahlte wie ein Honigkuchenpferd über ihre knallroten Bäckchen. „Du, das finde ich supertoll. Ich hab mir schon so oft Gedanken gemacht. Wir sind immer beste Freundinnen gewesen und ausgerechnet auf dem Eis sollen wir uns nicht mehr mögen? Nein, Nadja, du hast völlig Recht. Wir wollen unseren Kleinkrieg ein für alle Mal begraben. Wer übermorgen die Kür gewinnt, ist völlig egal, solange es eine aus der Nordstadt ist und sie entweder Nadja oder Anna heißt. Abgemacht?“ Nadja lachte erleichtert auf. „Ja, Anna, das finde ich auch. Was wolltest du mich denn fragen?“

„Ach so, hast du schon deinen Wunschzettel für den Weihnachtsmann geschrieben?“ Nadja schüttelte den Kopf. „Nöh, das mache ich auch nicht mehr. Es gibt nämlich gar keinen Weihnachtsmann!“ Annas Augen weiteten sich nach dieser unerwarteten Antwort. Sie erschrak sehr. „Wer sagt denn das?“, fragte sie. Nadja zuckte gelangweilt mit den Achseln. „Mein großer Bruder Malte!“ „Also, ich glaube fest an den Weihnachtsmann und hab ihm auch schon meinen Wunschzettel geschickt“, erzählte Anna mutig. „Und welche Adresse hast du dazu genommen?“, fragte Nadja, der man ihren Frust ansah. Anna schmunzelte. „Na, die vom Nordpol, wie immer! Aber ich muss jetzt schnell nach Hause. Es ist schon spät. Tschüss Nadja. Laufen wir nachher zusammen zum Training?“ Natürlich verabredeten sich die zwei. Anna bog nach links auf einen schmalen begradigten Bachlauf ein. Das Haus ihrer Familie kam nach der nächsten Biegung in Sichtweite.

Nadja lief allein weiter. Aber sie hatte es auch nicht mehr weit und beeilte sich. Das Haus ihrer Eltern lag am Rande der Stadt, die auch so hieß. Ganz einfach: Stadt. Es gab vier Stadtviertel, die kurz und bündig nur nach ihrer Himmelsrichtung benannt waren: Die Nordstadt, in der Anna und Nadja lebten, die Weststadt, die Oststadt und natürlich die Südstadt. Jedes Viertel besaß eigene Eishallen und Vereine. Die Stadtmeisterschaften, die übermorgen ausgetragen werden sollten, machten seit drei Jahren Nadja und Anna aus der Nordstadt unter sich aus. Nadja war heilfroh, dass der Streit darüber, wer von ihnen beiden nun die Bessere war, endlich beigelegt wurde. Die Frage, ob es den Weihnachtsmann überhaupt gab, beschäftigte sie viel mehr. Ihr Bruder Malte besuchte die zehnte Klasse und hatte ihr neulich erzählt, dass der Weihnachtsmann ein Fake war. Es gab ihn schlicht nicht. Malte spielte sehr gut Eishockey und benahm sich mit seinen sechzehn Jahren schon richtig erwachsen. Nadja liebte ihren Bruder. Aber die Sache mit dem Weihnachtsmann wollte ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Was war, wenn Malte wirklich Recht hatte? Und der Weihnachtsmann existierte nur in ihrer Phantasie? Hatten ihre Eltern sie womöglich all die Jahre belogen?

Nadja schrak plötzlich aus ihren Gedanken auf. Sie meinte felsenfest eine Stimme gehört zu haben und blickte sich um. Doch da war niemand, außer einem großen Tannenbaum an der Ecke. Er war, wie alle Bäume in der Stadt, von der Bürgermeisterei bunt geschmückt worden. An seinen Ästen hingen knallrote Kugeln und Kerzen steckten auf den Zweigen. Die leuchteten den ganzen Tag hell, denn die Sonne kam nun in der Winterzeit auf dem Eisplaneten Frost nur noch für kurze Zeit hin und wieder aus den Schneewolken hervor. Die brennenden Kerzen auf den Tannenbäumen tauchten den Ort deshalb in anheimelndes Licht und verbreiteten eine feierliche Weihnachtsstimmung. Nur Nadja konnte sich nicht so recht auf den Heiligen Abend freuen. Sie drehte sich aufmerksam nach allen Seiten um. Eine tiefe Männerstimme hatte sie gefragt: „Du, Mädchen, kannst du mir mal helfen?“

„Warst du das, Tannenbaum? Seit wann können Bäume auf Frost sprechen, das können doch nur die Tiere?“ Nadja sah den Baum verwundert an. Der Tannenbaum wiegte sanft seine Äste, an denen tausende und abertausende kleine grüne Tannennadeln saßen. Auch tiefbraune Tannenzapfen sprießten aus ihm hervor. „Ja, das war ich. Und wir sprechen alle. Genau wie die Tiere. Nur die Erwachsenen hören uns nicht mehr. Doch Kinder, die noch an den Weihnachtsmann glauben, können jedes unserer Worte verstehen. Schau, mir ist da eine Kerze abgefallen. Magst du sie mir wieder aufstecken?“ Nadja half immer sehr gern. „Aber natürlich.“ Sie setzte die Kerze geschickt wieder auf den Tannenzeig. „Du, Tannenbaum, ihr Bäume seid doch so alt und klug. Ich möchte gerne noch an den Weihnachtsmann glauben, aber Malte sagt, es gibt ihn gar nicht. Sag, hat mein Bruder etwa Recht?“ Der Baum schüttelte sich so sehr, dass die Kugeln anfingen gegeneinander zu schlagen und zu klingeln. Der feine Schnee rieselte wie Puderzucker auf die Erde. „Nein, Nadja, er hat nicht Recht. Es gibt den Weihnachtsmann wirklich. Aber er lebt am Nordpol und die Reise dorthin ist sehr gefährlich. Viele Kinder haben schon versucht zu ihm zu gelangen und sind niemals wieder zurückgekehrt.“

Die stets neugierige Schneeeule Lawinia hatte das Gespräch belauscht. Sie flog sofort heran und setzte sich auf einen Tannenast. „Uhuuhuuhu, ja es ist sehr gefährlich, Uhhuhu!“, wiederholte sie. Nadja schauderte.

Die unheimlichen Laute der Eule erreichten den kleinen Schneehasen Petermann. Er hoppelte herbei und sprang dabei übers Eis, so hoch er nur konnte. „Lass dir keine Angst einjagen, Nadja. Ich bin auch noch da. Ich helfe dir. Wir finden den Weihnachtsmann. Er lebt im Land der tausend Kinderträume. Es liegt wirklich am Nordpol. Ich hab schon viel davon gehört.“ Nadja blickte irritiert von einem zum anderen. „Gut“, entschied sie. „Lasst uns schnell aufbrechen. Meine Mutter kommt erst heute Abend nach Hause. Ich habe noch ein paar Stunden Zeit.“

Die Reise zu Santa Frost

Nadja und Petermann glitten auf einem zugefrorenen Fluss Richtung Norden. Der helle Polarstern zeigte ihnen den richtigen Weg. Natürlich konnte der weiße Hase mit den übergroßen Schlappohren auch eislaufen. Er sprang auf seinen Schlittschuhen genauso geschickt und sicher über das Eis wie Nadja. Zwischendurch drehten die zwei Pirouetten und übten sich in schwierigen Schrittfolgen. Auch Petermann beherrschte den zweifachen Axel mühelos. Den Salchow versuchte er sogar dreifach, schaffte aber die Landung auf rechts rückwärts nicht, verkantete sich und plumpste dabei heftig auf den Po. Traurig blieb er liegen. Nadja reichte ihm die Hand und half ihrem Weggefährten wieder auf die Beine. Sie liefen fröhlich weiter. Dabei lachten sie pausenlos.

Huch, was war das? Ein lautes Gebrüll ließ die beiden Freunde zusammenzucken. Sie waren anscheinend einer Bärenhöhle zu nah gekommen und der aus dem Schlaf gerissene Bewohner stürmte polternd heraus. Der Boden zitterte. „Was ist hier los? Woher kommt dieser Krach? Wer wagt es, mich in meinem Winterschlaf zu stören?“, tobte ein riesiger Eisbär. Petermann bebte am ganzen Leib. Er ahnte, dass er bei dem Bären auf der Speisekarte stand und versteckte sich rasch hinter Nadjas Rücken.

Die Schneeeule Lawinia hatte es sich nicht nehmen lassen, die beiden in respektvoller Entfernung zu begleiten. Sie war von Natur überaus neugierig und musste immer wissen, was in der Stadt vor sich ging. Nun saß sie auf einer Tannenspitze und beobachtete das Geschehen unten auf dem Boden mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Hoffentlich war der Bär nur wütend, dachte sie. Hoffentlich hatte er nicht auch noch Hunger! Nadja, die fast dasselbe dachte, fasste sich ein Herz und trat mutig auf den Bären zu.

„Lieber Bär“, sagte sie sanft. „Bitte entschuldige, wir wollten dich bestimmt nicht wecken. Wir sind auf dem Weg ins Land der tausend Kinderträume und haben uns verirrt. Kannst du uns helfen?“ Der Bär brummelte Unverständliches in sich hinein und beruhigte sich langsam. „Hmm. Der Weg zum Nordpol ist äußerst gefährlich. Überall gibt es tückische Spalten im Eis, die man nicht sieht. Dann kommen Schneestürme auf. Es wird bis minus vierzig Grad kalt. Viele Kinder haben es schon versucht und sind nie wieder zurückgekehrt. Übrigens, ich heiße Robert! Und ich habe heute schon gefrühstückt. Außerdem wäre mir der Hase hinter deinem Rücken die Mühe nicht wert. Das ist nicht einmal eine vernünftige Nachspeise für mich.“ Petermann stieß nach diesen Worten einen erleichterten Seufzer aus und hoppelte fröhlich aus seinem Versteck hervor. Nadja streichelte dem Bären das Fell. „Lieber Bär, lieber Robert, ohne dich sind wir verloren. Bitte, bitte, hilf uns.“

Robert war im Grunde seines Herzens ein sehr weicher und warmherziger Bär. Die kleine Nadja und der Hase taten ihm ehrlich leid. Aber er trug ein Geheimnis mit sich herum: Robert war trotz seiner stattlichen Größe von fast drei Metern, seiner riesigen Zähne und Pranken ein Feigling. Nur in seiner Schneehöhle fühlte er sich einigermaßen sicher. Er hatte Angst. Nein, ganz bis zum Land der tausend Kinderträume konnte er die beiden nicht begleiten. Aber vielleicht reichte es, wenn er bis zum Rand des großen Gletschers mitging. Er sah Nadja an und blickt dann zu dem lustigen Petermann auf dessen Schlappohren. „Also gut“, brummte er. „Ich bin eh wach. Aber ich führe euch nur bis an den Rand des Gebirges zum Gletscher. Von da an müsst ihr allein weiter gehen! “

„Oh danke, liebster Robert“, rief Anna aus und drückte den errötenden Eisbären ganz fest an sich. Auch Robert erwies sich als exzellenter Eisläufer. Er glitt auf seinen Schlittschuhen mühelos über das Eis und versetzte Nadja und Petermann mit seinen außergewöhnlichen Pirouetten in Erstaunen. Die Sprünge Salchow, Lutz und Rittberger beherrschte er zweifach und den Toeloop konnte er sogar mit drei Umdrehungen zeigen. Nur mit dem Axel hatte er so seine Probleme und Nadja, die ihn doppelt sprang, erntete große Bewunderung von ihm.

Die Gruppe bewegte sich durch einen tief verschneiten Winterwald, der von Bächen und zugefrorenen Flüssen durchzogen war. Als ein schwerer Schneesturm aufkam, machten sie unter einer hohen Tanne mit ausladenden Zweigen Rast. Petermann und Nadja krochen unter Roberts Fell und wärmten sich an ihm. Der Bär hatte sich eingerollt und schützte die beiden vor der Kälte. Nadja wusste viele Geschichten und Märchen zu erzählen und so wurde den dreien nicht langweilig, während sie auf das Ende des Sturmes warteten. Lawinia hatte sich in eine Baumhöhle ganz oben auf die Tannenspitze zurückgezogen und hielt ein Nickerchen. Trotzdem blinzelte sie immer wieder durch den Spalt am Eingang nach draußen, damit ihr ja nichts entging. Nach zwei Stunden verzog sich der Schneesturm. Die Vier wanderten weiter. Robert blieb plötzlich vor einer Schneewehe stehen. „Hier ist Schluss für mich. Ich muss jetzt umkehren. Aber es ist nicht mehr weit. Hinter dem Schneeberg beginnt das große Gebirge, das direkt am Nordpol liegt. Ihr braucht nur geradeaus weiter gehen. Passt auf, wohin ihr tretet! Es gibt überall gefährliche Spalten im Eis. Irgendwo da oben liegt das Land der tausend Kinderträume und dort wohnt auch der Weihnachtsmann in seiner Spielzeugfabrik mit seinen Helfern und den Rentieren.“

„Du hast uns sehr geholfen, Robert“, rief ihm Nadja nach, als sich der Bär umdrehte. Er schämte sich, weil er ein so großer Angsthase war, aber das mochte er vor den anderen nicht zugeben. Petermann, der Robert längst durchschaut hatte, grinste und ergänzte: „Ja, und übe deinen Axel. Irgendwann kannst du ihn auch so gut wie ich. Das Rückwärtslanden lernst du sicher ebenfalls noch! Hihi.“ Das war zu viel für den braven Bären. Er wandte den Kopf und sah Petermann betont grimmig an. „Du, Hase, ich spüre so etwas wie Hunger. Wenn du nicht als Appetitanreger herhalten willst, dann ärgere mich besser nicht! Auf Wiedersehen, Nadja und viel Erfolg auf deiner Reise.“ Nadja winkte Robert hinterher. Dann schaute sie sich die riesige Schneewehe an und schüttelte traurig den Kopf. „Petermann, wie kommen wir da rüber?“ Auch der sonst so pfiffige Schneehase war ratlos. Hier nutzten ihm selbst seine sprunggewaltigen Hinterbeine nichts. Der Schneeberg war einfach zu hoch. „Was ist denn das?“, rief Nadja und zeigte mit dem Finger auf eine Robbe, die sich abmühte, einen Fisch zu fangen. Der Fisch sprang von einem Wasserloch ins nächste und tauchte plötzlich ganz weg. Die Robbe blieb verdutzt stehen. Der bunte fliegende Fisch war spurlos verschwunden. In das schmale Wasserloch vor ihr, konnte sie ihm nicht folgen. Erst nach einer Weile sah sie sich enttäuscht um und entdeckte Nadja und ihre beiden Begleiter. „Huch, wer seid denn ihr? Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin?“ Nadja freute sich, wieder ein Tier getroffen zu haben, das sich hier oben in der Nähe des Nordpols auskannte. „Hallo, liebe Robbe. Ich bin Nadja und das sind Petermann und Lawinia. Wir kommen aus der Stadt und suchen den Weihnachtsmann im Land der tausend Kinderträume am Nordpol! Kannst du uns helfen und uns den Weg zeigen?“

„Malix nochmal!“ „Du meinst „verflixt“ nochmal?“, fragte Nadja. „Nein, Malix nochmal!“, antwortete die kleine Robbe. „Ich heiße Malixa und das Wort, das du meinst, kann ich nicht aussprechen. Aber hört mal: Der Weg ins Land der tausend Kinderträume ist sehr gefährlich. Viele Kinder haben es schon versucht und…“ „…sind nie wieder zurückgekehrt!“, fiel ihr Nadja wütend ins Wort. „Jetzt reicht es aber. Wir haben nicht den weiten Weg gemacht, um uns ständig dumme Sprüche anzuhören. Wir wollen zum Weihnachtsmann. Kannst du uns nun helfen, ja oder nein?“ Die Robbe rollte erstaunt mit ihren großen Kulleraugen. „Das nenne ich Malix nochmal! Es scheint euch wirklich ernst zu sein. Gut, ich muss meinen Fisch ohnehin weiter jagen. Sonst bekomme ich heute kein Abendbrot. Folgt mir!“ Geschickt stellte sich Malixa auf ihre Schwanzflosse, die hell aufblitzte. Eine scharfe Schlittschuhkufe kam zum Vorschein und als sich die Robbe erneut aufrichtete, erschien eine Zweite auf der anderen Seite. Sie lief um die Gruppe herum und sprang in eine Pirouette ein. Dabei erhöhte sich ihre Rotationsgeschwindigkeit derartig, dass Nadja vor Staunen den Mund nicht mehr zu bekam. „Whow, damit kriegst du bei uns im Wettbewerb die höchste Note!“, meinte sie anerkennend.

Nadja musste sich beeilen, denn Malixa tauchte unter die Schneewehe durch. Gleich dahinter begann das Gebirge, welches von gefrorenem Eismeer umgeben war. An einigen Stellen waren Luftlöcher zu sehen, damit die Robben zum Luftschnappen an die Wasseroberfläche kommen konnten. Nadja musste sehr aufpassen und schaute genau hin, in welche Richtung sie lief. Sie trug ihren warmen Winteranorak und der war nicht wasserdicht. Es wäre sehr schlimm, wenn sie in eines der offenen Löcher fiele. Auch Petermann hüpfte vorsichtig von einem Bein aufs andere. Sein Fell vertrug gar kein Wasser. Lawinia behielt den Überblick und flog vor ihnen her. Sie bemühte sich, rechtzeitig einen Warnruf auszusenden. Und wieder kam nach einer Weile ein starker Schneesturm auf. Der Wind wurde so heftig, dass sie anhalten mussten. Dicke Schneeflocken bedeckten die vier Freunde. Es war inzwischen fast dunkel geworden. Erschöpft sank Nadja auf den Boden. Auch die anderen waren müde und einen Augenblick später lagen alle ganz dicht beieinander gekuschelt in tiefstem Schlaf.

Der Mond war auf Frost aufgegangen und schaute überrascht zu den schlafenden Reisenden herab. Er überlegte nicht lange. Es war sehr kalt und Nadja, die ja als Menschenkind nicht dauernd draußen lebte, so wie Petermann, Lawinia und Malixa, musste dringend in ein warmes Haus gebracht werden. Gevatter Mond nahm sein Mikrophon in die Hand und pustete hinein.

„Flix 1, bitte sofort in die Zentrale kommen!“, rief er aus. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür. Ein kleines Wesen mit übergroßem Kopf, in einen silbermetallisch glänzenden Raumanzug gehüllt, erschien eifrig und pflichtbewusst. „Sie haben gerufen, Chef?“ „Ja, Flix,“ Der Mond zeigte auf die Reisegruppe und auf die kleine Nadja in seinem PC Monitor.

Flix schrie entsetzt auf. Ein kleines Mädchen in der bittersten Kälte. Da musste natürlich sofort etwas geschehen. Die Flixe waren Helfer in der Not und auf Rettungsmaßnahmen jeglicher Art trainiert. Flix 1 versetzte sich selbst augenblicklich in höchste Alarmbereitschaft. Schon wieder ein Kind, das zum Weihnachtsmann wollte! , dachte er und seufzte tief. Der gute Flix wusste gar nicht mehr, wie viele Kinder er schon unten auf dem kalten Frost vor dem sicheren Kältetod gerettet hatte. Flix 1 gab per Gedankenübertragung routinemäßig eine Notmeldung an die Flixzentrale, damit sich die Mitarbeiter augenblicklich auf den Weg machen konnten. Dann benachrichtigte er auf dieselbe Art und Weise den Kontrollrat der Elfenpolizei am frostlichen Nordpol. Der Weihnachtsmann wurde umgehend über die Eindringlinge informiert. „Die Rettungsaktion läuft an, Chef. Ich empfehle mich und werde vor Ort koordinieren.“ „Tu das, Flix. Ich erwarte deinen Bericht auf meinem Schreibtisch“, brummte der Mond.

Er musste ein ernstes Gespräch mit dem Weihnachtsmann führen. Natürlich existierte der Weihnachtsmann wirklich und auch die riesige Spielzeugfabrik am Nordpol, tief unter dem Planeten, war real. Warum der Weihnachtsmann sich auf Frost im Gegensatz zum Erdenweihnachtsmann den Kindern nicht zeigen wollte, konnte der alte Mond beim besten Willen nicht verstehen. Gewiss, Santa Frost, wie er von den Menschen auf dem Eisplaneten genannt wurde, wollte keinen Rummel um seine Person. Er wollte, dass die Kinder voll Vertrauen an ihn glaubten. Es war einfach, an etwas zu glauben, dass man sah und anfassen konnte. Aber es war eine Herausforderung an den Weihnachtsmann zu glauben, wenn man ihn nicht sehen konnte, sondern nur die Ergebnisse seines Besuchs bestaunen durfte, nämlich die Geschenke, die er jedes Jahr am Heiligen Abend unter den Tannenbaum in die Wohnzimmer der Menschen legte, sagte er immer. Das war seine Philosophie und davon ließ sich der Sturkopf nicht abbringen.

Doch der Mond wusste aus Erfahrung, dass Theorie und Praxis sehr weit auseinanderklafften. Während die jüngeren Kinder auf dem Planeten noch problemlos an den Weihnachtsmann glauben konnten, fingen die Älteren schon ab dem zehnten oder elften Lebensjahr an, an seiner Existenz zu zweifeln und die Erwachsenen glaubten gar nicht mehr an ihn. Santa war ein Dickschädel und für Reformen absolut nicht zu haben. Auch wenn darunter seine Popularität extrem litt und er nur noch ganz kleine Anhänger hatte. Der Mond seufzte. Jedes Jahr starben Kinder im Eis, nur weil sie den Weihnachtsmann besuchen wollten und nicht rechtzeitig von den Flixen gerettet werden konnten. So durfte es nicht weiter gehen. Er griff entschlossen zum Telefon und meldete sich auf Frost im Vorzimmer des Santa an.



Rettung durch Elfen und Flixe

Auf dem Eisplaneten wurde die Stelle, an der Nadja mit ihren Gefährten schlief, in helles Licht getaucht. Ein erstes Bataillon von zwanzig funkelnden Flixen war eingetroffen. Die kleinen Helfer trugen Lampen an ihren Uniformen und waren außerdem in der Lage, durch eigenes phosphoreszieren ihres Metallkörpers zusätzliches Licht zu erzeugen. Was nun geschah, war für die Flixrettungsleute reine Routine. Im Rentierstall am Nordpol wurden Tom und Brownie vor den Schlitten gespannt. Warme Decken lagen bereits darin. In kurzer Zeit waren die beiden Rentiere einsatzbereit. Auch für sie galt: Cool bleiben und die eingeübten mechanischen Abläufe gewohnt und sicher abspulen. Trotzdem konnten Tom und Brownie ihre Gefühle nie ausschalten und freuten sich sehr, wenn ihnen eine glückliche Rettung gelang. Das passierte nicht immer und sie litten sehr darunter, wenn sie wieder einmal zu spät am Einsatzort ankamen.

„Ich habe heute ein gutes Gefühl. Aber wir sollten keine Sekunde zögern“, meinte Brownie, der im Rang eines Hauptmannes den Schlitten befehligte. „Ja, Sir. Es ist alles zur Abfahrt bereit. Wenn die Peitsche des Kutschers ertönt: Voller Galopp voraus!“ Oberleutnant Tom scharrte unruhig mit den Hufen. Der Elfenkutscher saß einen Moment später auf dem Kutschbock. Der Schlitten beschleunigte von Null auf 100 Kilometer in der Stunde in zehn Sekunden. Rekord. Das Licht der begleitenden Flixe erhellte den Weg. Nach zwanzig Minuten Frostzeit konnten die Rentiere auf den Einsatzort zutraben. Die Flixe dort hatten die Schlafenden liebevoll in sanfte Träume gehüllt. Miniflix Naseweis, der das erste Mal in der Einsatztruppe dabei sein durfte, zeigte den Rentieren den Landeplatz. Der Elfenkutscher und sein Begleiter stiegen aus. Sie trugen zuerst die schon sehr unterkühlte Nadja zum Schlitten und kuschelten sie in warme Decken. Auch Petermann und Lawinia lagen einen Augenblick später neben ihr und wurden leicht zugedeckt. Petermanns lange Ohren rutschten immer wieder nach unten und zogen ihn zweimal auf den Boden zurück, bevor ihn der Kutscher in den sicheren Schlitten befördern konnte. Malixa bekam einen Platz im Gepäckfach hinten. Die beiden Rentiere rümpften die Nasen. Die Robbe strahlte einen sehr tranigen Fischgeruch aus. Aber Tom und Brownie ließen sich davon nicht weiter irritieren. Sie dachten zuversichtlich. Diese Rettung schien gottseidank erfolgreich zu werden. Ein paar Minuten später setzte sich der Schlitten in Bewegung. Nadja wurde am Nordpol sofort ins Elfenhospital gebracht und in ein warmes Bett gelegt. Die Tiere erhielten einen Platz im Stall.

Der Weihnachtsmann auf Frost lebte und arbeitete in einer riesigen unterirdischen Stadt, die aus unzähligen Spielzeugfabriken bestand. Dazu gab es Wohnhäuser, Kantinen und Geschäfte für die tausende Mitarbeiterelfen. Ein Krankenhaus und eine Schule für die Elfenkinder sowie natürlich der Stall und die Zuchtstation für die Rentiere des Santa rundeten das Bild ab. Elfenreporter Neugierig vom Weihnachtskurier war schnell unterwegs und versuchte erste Fotos von den Geretteten zu machen. „Weiß man schon, wer sie sind?“, fragte er Brownie. Doch der Rentierhauptmann hielt sich, wie immer, bedeckt. „Kein Kommentar, warten Sie auf den Bericht der offiziellen Stelle!“, wehrte er den emsigen und neugierigen Journalisten ab. Doch der wäre ein schlechtes Beispiel für seinen Berufsstand gewesen, wenn er so schnell klein bei gegeben hätte.

Naseweis wurde sein nächstes Opfer und fiel tatsächlich auf die geschickte Befragungstechnik des Zeitungsbesitzers herein. Naseweis hatte erfahren, dass das Mädchen Nadja hieß und plauderte locker aus dem Nähkasten. Neugierig schoss ein Foto von dem kleinen Flixjungen, der nicht ahnte, welche Strafe ihn zu Hause für seine Indiskretion erwartete. Es war den Flixen strengstens untersagt, etwas über die Geretteten zu erzählen. Nur Flix 1 gab Interviews. Das gehörte zur Seriosität der Einsatztruppe.

Mama Naseweis, die ausnahmsweise keinen Kitaplatz für ihren Sohn bekommen hatte und ihm deswegen wohl oder übel erlauben musste, mitzukommen, sah entsetzt, wie sich der Reporter zufrieden entfernte. „Naseweis!“, rief sie wütend. „Du kommst sofort hierher. Weißt du nicht, dass du keine Interviews geben darfst, du Lausebengel? Wir Flixe sind Geheimnisträger. Niemals dürfen wir Außenstehenden etwas über unsere Arbeit erzählen. Nur Flix 1 ist dazu befugt. Hoffentlich gibt das keinen Ärger. Ach, und das alles, weil die Kita heute Morgen überfüllt war.“ Mama Flix-Naseweis machte sich ernsthafte Sorgen. Auch ihr Junior erinnerte sich dunkel daran, mal etwas von den besonderen Regeln seines Volkes gehört zu haben. Oh je, dachte er. Ich gehorche wohl jetzt besser, bevor ich noch mehr anstelle. Schuldbewusst trat er an die Seite seiner Mutter, die ihm aber, trotz allem, wieder einmal nicht böse sein konnte.

Im Krankenhaus kümmerten sich die Elfenärzte und Krankenschwestern um Nadja. Sie war außer Lebensgefahr und schlief. Als Santa Frost von dem ungebetenen Besuch erfuhr, reagierte er, wie immer, unwirsch. Santa war in seinem Verhältnis zu Kindern gespalten. Als Weihnachtsmann liebte er sie und erfreute sich an ihren leuchtenden Augen, wenn er durch sein Fernrohr in die Wohnungen schaute und sah, wie glücklich er die Kleinen am Heiligen Abend mit seinen Geschenken gemacht hatte. Die ganz Kleinen waren ja wirklich noch niedlich, dachte er. Sie glauben an mich. „Das Problem sind die Älteren. Irgendwann fangen sie zu zweifeln an und dann ist schnell alles vorbei. Sie kaufen ihre Geschenke in den großen Warenhäusern und Wunschzettel von Erwachsenen erhalte ich so gut wie keine mehr.

Die Menschen wissen gar nicht, wie sehr sie sich selbst dadurch berauben. Aber, vielleicht hat der Mond Recht und ich sollte mich den Kindern endlich zeigen. Es reicht ja, wenn ich es bei den ganz Kleinen mache. Wenn sie ihre Erinnerung behalten, vergessen sie mich nicht. Ich sollte mit dem Mond darüber reden“, brummelte er laut in sich hinein. Dann nahm er den nächsten Stapel Wunschzettel in die Hand, um sich die Wünsche der Kinder durchzulesen. Sein Elfenmitarbeitersekretär Jagomir klopfte an die Tür und brachte ihm eine neue Mappe.

„Santa, hier ist die Post von heute. Ich habe sie bereits vorsortiert. Man muss sich wundern, wie sich die Wünsche der Kinder in den letzten Jahren verändert haben. Früher wünschten sich die Kleinen einen Ball oder eine Puppe. Manchmal auch eine Holzeisenbahn. Und jetzt lesen Sie mal: Hier wünscht sich der sechsjährige Martin aus der Oststadt ein Handy, aber nur ein neues i-Phone, einen PC und jede Menge Weltraumspiele für den Computer. Oder hier: Saskia, acht Jahre aus der Südstadt. Sie wünscht sich wenigstens noch ein paar neue Schlittschuhe, weil ihre alten zu klein geworden sind. Aber sie macht gleich einen Zusatz: Nicht unter 400 Euro. Sie will richtige Turnierschlittschuhe, mit denen sie Sprünge üben kann. Ach, ein neues i-Phone steht auch auf ihrer Wunschliste ganz oben. Wohin soll das bloß noch führen?“ „Ich weiß es nicht, Jagomir. Haben wir denn genügend von den neuen Handys vorrätig? Die Schlittschuhe haben wir nicht, das weiß ich. Aber Saskia bekommt einen Gutschein für eine Maßanfertigung. Das haben die Eltern schon mit einander abgesprochen. Wir legen ihr eine Barbiepuppe als Eislaufprinzessin und ein paar schöne Bücher dazu.“

„Sehr wohl, Sir. Ich werde auch gleich die Handyfirma anrufen und noch eine Raumschiffladung der neuesten i-Phone Generation bestellen. Wenn wir welche übrig behalten, dann haben wir auch für die Erwachsenen noch Geschenke. Wie wollen Sie mit dem Besuchermädchen verfahren? Sie heißt Nadja und kommt aus der Nordstadt, nicht wahr?“ „Ich überlege, ob ich mich nicht doch den Kindern zeige, Jagomir. Vielleicht kann ich sie dadurch wieder motivieren an mich zu glauben. Ich werde Nadja im Krankenhaus besuchen, wenn sie wach ist. Normalerweise lösche ich die Erinnerung der Kinder, die es bis hierher geschafft haben, bevor ich sie wieder nach Hause schicke. Ob ich es diesmal anders machen soll? Was meinen Sie?“ Jagomir arbeitete seit hundertfünfzig Jahren für Santa Frost. Sie waren beide annähernd gleich alt. Er hatte seinen Chef noch nie so nachdenklich gesehen. Aber auch ihm war die rasante Entwicklung der Technik nicht verborgen geblieben und die veränderte Gesellschaft bei den Menschen hatte auch viele Veränderungen bei den Kindern hervorgerufen. „Wir sollten mit dem Mond sprechen. Er ist weltoffen und sehr erfahren. Möglicherweise weiß er einen Rat. Ich wäre für meinen Teil auch dafür, etwas Fortschrittlicher zu denken.“ Jagomir verbeugte sich nach seiner Antwort leicht und verließ das Büro des Weihnachtsmannes.

Santa Frost

Nadja gähnte und schlug die Augen auf. Sie dachte an ihren Traum. Sie war mit Petermann, Lawinia und einer Robbe mit Namen Malixa unterwegs zum Nordpol gewesen. Der Eisbär Robert hatte sie bis zum Rand des Gletschergebirges gebracht. Dann kamen viele kleine helle Glühwürmchen und sie wurde in eine Decke gehüllt. Das Mädchen blickte sich um. Sie befand sich in einem Krankenzimmer. An ihrem Arm war eine Kanüle befestigt. Ein Kasten stand neben ihrem Bett und gab laufend Töne von sich. Wo bin ich? , überlegte sie. Was ist das für eine merkwürdige Musik? Noch ehe sie weiterdenken konnte, öffnete sich die Tür und Elfenoberschwester Carmen trat ein. Ein freudiges Lächeln zauberte sich augenblicklich auf ihr Gesicht. „Hallo, Nadja. Schön, dass du endlich wach bist. Santa Frost hat schon nach dir gefragt. Er will dich alsbald besuchen!“ Carmen trug nicht, wie auf Frost üblich, eine weiße Schwesterntracht, sondern ein knallrotes Kleid. Ihre Haut schien etwas grünlich gefärbt und war sehr runzlig. Sie glich einem Schimpansen. Nadja hatte Filme über die Affen auf der Erde gesehen und die Frau ähnelte diesen Tieren stark. Sie besaß auch merkwürdig spitzzulaufende Ohren, welche sehr weit vorne am Kopf saßen. Trotz des exotischen Aussehens fühlte sich Nadja in Carmens Gegenwart geborgen. „Bin ich im Land der tausend Kinderträume?“, fragte sie die Schwester. „Ja, Nadja. Du bist gerade noch rechtzeitig von den Flixen gerettet worden.“ „Flixe? Sie meinen die Glühwürmchen?“, staunte Nadja. Carmen lachte. „Ich heiße Carmen. Ich sage der Ärztin Bescheid, dass du aufgewacht bist. Dann darfst du bestimmt auch bald aufstehen. Möchtest du etwas trinken? Eine heiße Schokolade, vielleicht?“ Nadja nickte freudig. Sie hatte es also geschafft. Nun dauerte es nicht mehr lange und sie würde ihm endlich gegenüberstehen, dem Weihnachtsmann. Sie konnte wieder an ihn glauben und ihre kleine Welt kam in Ordnung.

Am Abend saß sie zusammen mit Petermann, Lawinia und Malixa in der großen Halle bei Santa Frost. Nadja war selig. Es gab den Weihnachtsmann wirklich. „Lieber Santa, ich will jetzt immer an dich glauben. Und ich wünschte, auch Malte würde das tun. Ich werde ihm von dir erzählen.“ Der Weihnachtsmann blickte Nadja liebevoll an. „Ich fürchte, dass wird nichts mehr nützen. Er ist schon zu alt geworden. Weißt du, die Erwachsenen verlieren den Glauben an mich schnell.“ Aber Nadja schüttelte energisch den Kopf. „Also, ich bestimmt nicht, denn ich habe dich gesehen und mit dir gesprochen. Ich habe auch eine Idee, wie wir das mit Malte machen können. Er wünscht sich ein neues Handy, ein…“ Santa fiel ihr seufzend ins Wort: …ein i-Phone ?“ Nadja staunte. „Woher… ach nee, du bist ja der Weihnachtsmann. Du kannst in die Herzen der Menschen sehen. Natürlich weißt du es. Warum bringst du ihm keines? Er schreibt keinen Wunschzettel mehr und wenn ich ihm von meinem Erlebnis bei dir erzähle und er am Heiligen Abend ein neues bekommt, weiß er vielleicht, dass ich recht hatte und glaubt wieder?“

Das überzeugte den Weihnachtsmann. Es war eine sehr gute Idee. Er wird bei Nadja nicht, wie bei den anderen Kindern, die Erinnerung an diesen Ausflug löschen, sondern sie sollte damit in ihrem Zimmer aufwachen und erzählen, was sie erlebt hatte. „Was haltet ihr davon, wenn ihr heute und morgen meine Gäste seid. Die Elfen führen euch in der Stadt und in der Fabrik herum und ihr könnt alles in Ruhe anschauen. Morgen Abend fahrt ihr mit Tom und Brownie nach Hause“, schlug er zufrieden vor. Natürlich waren alle einverstanden. Am anderen Tag standen sie früh auf. Jagomir hatte ein straffes Programm zusammengestellt. Die Vier hörten sich begeistert an, wie in den Fabriken die vielen Spielzeuge hergestellt wurden. Alles, was nicht selbst am Nordpol produziert werden konnte, wurde bestellt und mit Raumschiffen eingeführt.

Es gab im Land der tausend Kinderträume nichts, was es nicht gab. In der Kantine bekamen sie Nudeln mit Hacksoße zu Mittag und zum Nachtisch ein großes Eis. Um vier Uhr trafen sich alle Elfen mit ihren Besuchern in der großen Eisbahn. Elfen waren gute Kürläufer und die meisten zeigten ihr Können gern. Viele gehörten in die Eistanzgruppe. Nadja und ihre Freunde durften bei der Gala mitlaufen und ihre Sprünge und Pirouetten zeigen. Als sie am Abend müde in den Rentierschlitten stiegen, hatte Nadja ganz viel Schokolade dabei. Sie wollte Anna eine Freude machen und den anderen Kindern in ihrer Klasse etwas abgeben. Annas Wunschzettel war beim Weihnachtsmann angekommen und genehmigt worden. Und für den ungläubigen Malte hatte Santa bereits ein i-Phone zurückgelegt. Zum Abschied erhielten die Freunde ein Glas warme Schokolade, dann hieß es Abschied nehmen, aus dem Land der tausend Kinderträume. Santa legte einen lieben Zauber über sie und ließ sie sanft einschlafen. Tom und Brownie hörten die Peitsche des Kutschers knallen. Jetzt hatten sie es nicht mehr eilig. Sie wollten ihre Fracht nur sicher wieder nach Hause in die Stadt bringen.

Unterwegs wurde Malixa abgesetzt. Die kleine Robbe hatte einen großen Fisch bekommen und freute sich auf das Abendessen. Lawinia flog eilig mit einer Maus in ihre Nisthöhle. Petermann schleppte einen Rucksack voller Mohrrüben zu seinen Geschwistern. Der Kutscher hielt ein paar Minuten später vor Nadjas Elternhaus. Es war noch niemand zu Hause. Die Tür ging von selbst auf, nachdem der Kutscher eine Zauberformel gemurmelt hatte.

Zufrieden trug er das kleine Mädchen auf dem Arm in ihr Kinderzimmer hinauf und legte sie in ihr Bett. Leise sprach er einen Aufwachzauber und verschwand. Nadja rieb sich die Augen. Sie sah sich verwundert um. Ihr Schulranzen stand unter ihrem Schreibtisch. Alles war, wie immer. Nur, wo kamen bloß die drei Tüten mit den Süßigkeiten her, die neben ihrem Bett lagen? Ihre Erinnerung setzte sofort ein. Es klopfte an ihrer Tür. „Hea, Nadja, schläfst du?“ „Nein, Malte, komm rein. Ich habe dir etwas Tolles zu erzählen!“ Malte setzte sich zu seiner kleinen Schwester ans Bett und hörte eine wundersame Geschichte von ihr. Die Schokolade schmeckte ihm und es war ihm egal, woher Nadja sie hatte. Angeblich kam sie vom Weihnachtsmann, aus seiner Fabrik am Nordpol. Malte überlegte. Nein, er wollte ihr diese Illusion nicht nehmen. Nadja war noch klein. Sollte sie ruhig weiter an Santa Frost glauben, wenn ihr das so wichtig war, dachte er. Sie würde die Wahrheit über ihn noch früh genug erfahren.

Nachtrag: Malte glaubt seit Heiligabend auch wieder an den Weihnachtsmann.



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