Wir (gelöscht)

Hallo slyfly,


ein echter Kurzprosabeitrag, dessen Idee klar durchgeführt ist, der eine gut nachvollziehbare Haltung dokumentiert und der Sarkasmus und ironischen Biss hat, auch angesichts des angedeuteten Endes. Es geht nicht um ein Entspannungsbad, wie der Leser zunächst glaubt und sicher glauben soll (Lass Dir erstmal Badewasser ein, das hilft gegen die Kälte). Das „schlampige“ Verstreuen der Kleider ist dann ein erster Hinweis, dass es eine ganz andere Art von Bad werden könnte (Du nickst und wir setzen die Klinge an…).

„Du nickst und wir setzen die Klinge an…“
Hier haben wir innerhalb eines Satzes das gelungene Spiel zwischen ich und wir. Für mich ist es ein und dieselbe Person, gleichsam sich mal so und so sehend (Das "Wir" als distanziertes Ich, das etwas Bösartiges, Selbstzweiflerisches und Anklagendes hat). Man denkt analog an die Ichs in der Psychologie (Es, Ich und Über-Ich). Bei dir allerdings ein "Zwie"gespräch. Damit spielt auch der Wir-Titel.

Also ein rundum guter Eindruck. Es gibt ein paar Stellen, die sicher noch mehr Drive haben könnten. Eine sprachliche Überarbeitung könnte aus deinem Spiegelmonolog nicht nur einen sehr guten, sondern einen ausgezeichneten Text machen, finde ich.
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Also hier ein paar Gedanken zum Textanfang…

Wir: Überschrift normalerweise groß, da du ja auch sonst Groß- und Kleinschrift anwendest, (Auf Wunsch können Moderatoren den Threadtitel verändern) und vielleicht rein formal über dem Text noch einmal wiederholen.

Ich seh Dich [red] dich (Anrede allenfalls in Briefen groß, aber selbst dort wird das Du in allen Anredevarianten seit der Rechtschreibereform kleingeschrieben / gilt analog für alle folgenden Du-Stellen)[/red] im Spiegel an und mit einer Mischung aus Mitleid und Schadenfreude stelle ich fest, dass die ersten grauen Haare den Weg auf Deinen Schopf gefunden haben. [red](etwas zu umständliche Formulierung. Der Stil deines Textes ist eher etwas legerer und das Wort Schopf könnte etwas altmodisch für die Protagonistin klingen)[/red] Du schneidest eine Grimasse und siehst nicht nur dadurch irgendwie tragischkomisch aus. [red] tagikomisch oder tragisch-komisch (etwas schwierige Kombination als Adjektiv, vielleicht für eins entscheiden oder umformulieren? „…irgendwie komisch und tragisch zugleich aus“ oder so ähnlich)[/red] Komm schon, zeig Dein Außenweltgesicht: zeig mir Dein dämliches Strahlen. Knipps es an! So wie jeden Tag, wenn Du da raus gehst. [red](Diese Sätze finde ich vom Ausdruck sehr stimmig!)[/red]

Lass Dir erstmal Badewasser ein, das hilft gegen die Kälte - zumindest äußerlich. [red]Hier würde ich überlegen, den Nachsatz (zumindest äußerlich) wegzulassen, weil er zu erklärend klingen könnte.
Auch die drei Punkte am Ende würde ich vielleicht fortlassen, sonst hat es so etwas Bedeutungsvolles, ohne Punkte könnte es gemeiner sein. Müsste man sich mal anschauen.[/red]


Beste Grüße

Monfou
 

slyfly

Mitglied
Hallo Monfou,

vielen dank für deine Anregungen , ich werde sie auf jeden Fall in die Überarbeitung mit aufnehmen. Ich hoffe, ich komme bald dazu!

Und wenn ich schon dabei bin: da wünsch ich mir doch glatt, dass der Moderator den Titel auf "Wir" ändert ;) Wäre klasse, wenn du das machen könntest!

Herzliche Grüße

slyfly
 

slyfly

Mitglied
So, die Rechtschreibkorrektur ist erfolgt und noch ein paar Umformulierungen.

Wir

Ich seh dich im Spiegel an und mit einer Mischung aus Mitleid und Schadenfreude stelle ich fest, dass sich bei dir die ersten grauen Haare zeigen. Du schneidest eine Grimasse und dabei wirkst du überhaupt nicht komisch, sondern nur melodramatisch. Komm schon, zeig dein Außenweltgesicht: zeig mir dein dämliches Strahlen. Knipps es an! So wie jeden Tag, wenn du da raus gehst.

Ich könnte kotzen, wenn ich dich beobachte. Immer schön lächeln. Selbst bei den absurdesten Terminen strahlst du noch mit den schicken Halogenleuchten um die Wette. Aber mich täuschst du nicht, ich weiß, wie es in dir aussieht. Ein kleines, verängstigtes Mädchen, dass sich nichts zutraut. Doch die anderen fallen auf Deine Tricks herein, lassen sich blenden von deiner perfekten Show. Und nach Feierabend flüchtest du dich nach innen, in deine kleine, bescheuerte Traumwelt. Da ist es sicher, nicht wahr? Da mimst du nicht die permanent gute Laune, hast keine deiner kleinen Revoluzzer-Anfälle – denn das gehört doch auch alles nur zu der Rolle, die du spielst. Schön individuell sein, das finden die da draussen so spannend. Vielschichtig meinen sie. Ich lach mich tot.

Du fühlst dich einsam, unverstanden? Sicher bist du das! Du gefällst dir doch in der Rolle der einsamen Wölfin und wunderst dich dann, dass dich alle für stark halten und dich lieber in Ruhe lassen?

Hör auf zu heulen und tu dir nicht so verdammt selbst leid! Weißt du was, Schätzchen? Hoffnung verlängert das Leiden, also lass es. Du weißt doch genau, dass du jetzt in einer Sackgasse bist. Wer nur im Schein dahin vegetiert, sollte nicht überrascht sein, wenn ihm das Wesentliche fehlt, sobald das Leben zuschlägt und eine kleine Prüfung vornimmt. Sinn des Lebens? Gibt es nicht, das weißt du. Der Sinn ist einzig das Leben selbst. Ach, das willst du nicht? Genau das hältst du nicht aus? Na dann habe ich eine Lösung für Dich. Lass dir erstmal Badewasser ein, das hilft gegen die Kälte.

Ich sehe dich, wie du Handtücher zurecht legst und brav die Wasserhähne aufdrehst. Langsam. Langsam knöpfst du deine Bluse auf, lässt sie achtlos fallen und entledigst dich auch deiner restlichen Klamotten. Verstreust sie im ganzen Bad. Seit wann so schlampig? Komm Süße, leg dich ins Wasser, bald ist es vorbei. Angenehm warmes Wasser. Fast zu warm. Ich betrachte dich nochmal im Spiegel und sehe dich fragend an. Du nickst und wir setzen die Klinge an - längs, nicht quer.
 

LeseWurm

Mitglied
Für mich war es bei diesem Werk irgendwie wichtig zu wissen, ob du selbst weiblich bist. Woran das wohl liegt? Wohl weil das Ich im Wir prima durchscheint.
Es war schon zu ahnen, wie es enden könnte, zumindest die Richtung. Aber sicher war es nicht.
Insgesamt treffend und auch erschreckend (am Ende).
 



 
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