Wirrköpfe und Kunstköpfe

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steyrer

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Bei starkem Eigenwillen in Form eines „eigenen Kopfes“ (auch Wirrkopf) werden entweder ein Kopftausch oder ein behördliches Zertifikat empfohlen. Fehlt dieses, wird der Kopfträger möglicherweise sozialen Druck über Mobbing, Diskriminierungen, vorläufigen Festnahmen, bis hin zu Sicherheitsverwahrungen ausgesetzt. Ein solcher Kopf beeinträchtigt schließlich durch zahllose Flausen und Faxen die Konzentration auf als gesellschaftlich wertvoll erkannte, aber völlig geistlose Aufgaben und ist als Unikat niemals vollständig kompatibel mit anderen eigenen Köpfen. Dies führt oft genug zu fatalen Missverständnissen und ist ein bedeutender Grund für einen Austausch. Dieser sollte bei der Einschulung erfolgen, zumindest aber vor dem Wechsel in eine weiterführende Bildungseinrichtung. Eigene Köpfe bleiben zumeist höchsten Führungspersönlichkeiten vorbehalten, sowie – unter strengsten Auflagen – Spezialisten für Kopfentwicklung, -herstellung und -wartung.

Austauschbare Kunstköpfe bestehen aus Holz, Stroh, Gips, Beton, sowie aus günstigen, bezuschussten Pappmaschee und Holzspan. Synthetische Werkstoffe (ugs. Plastik) gelten, anderes als früher, als umweltgefährdend und werden nur sparsam eingesetzt. Kork und Glas sind wenigen Spezialanwendungen vorbehalten und der teure, schwer bearbeitbare, Marmorstein wurde als veraltet ausgesondert. Vorreiter bei Kaufköpfen ist Holz mit Resonanzräumen: Das in Jahresringen gewachsene Material ruht in sich selbst und neigt kaum zum Zweifeln. Bei schweren Fehlentscheidungen und Irrtümern bewirken dagegen kräftige Schläge auf den Hinterkopf rasche gedankliche Richtungsänderungen – hierbei erklingen xylophonartige Töne. Einheimische Hölzer wie Eiche, Buche oder Tanne werden bevorzugt, wenn auch Tropenhölzer, wie Teak oder Mahagoni, unbestreitbare Vorteile in Haltbarkeit und Klangschönheit bieten. Sind Splitter- und Bruchgefahren berücksichtigt, können Holzspanköpfe problemlos Holzköpfen assistieren. Erstere neigen produktionsbedingt zu vermischten und zusammengestöpselten Weltbildern (Synkretismus), dies kann jedoch durch die Verwendung von Spänen einer einzigen Holzart weitgehend neutralisiert werden. Beide Kopftypen empfehlen sich für untergeordnete Persönlichkeiten in nicht exponierten, mäßig verantwortlichen Positionen.

Gips wird bei Künstlern und Intellektuellen bevorzugt. Es handelt sich hierbei um ein weiches, gut formbares Material. Ein solches Gipshaupt, gelegentlich als „Eierkopf“ bezeichnet, ersetzt den alten Marmor, dessen „ewiger Nachruhm“ durch „nachhaltige Vorbildwirkung“ ersetzt wurde. Diese dauert keine Äonen, sondern nur höchstens zwei bis drei Generationen und hierzu reicht Gips aus. Abseits dieser hohen Sphäre gibt es zwei bedeutende Ausnahmen: Da Künstler der sogenannten „leichten Muse“ meist flachere Klischees verwenden, gilt Pappmaschee hier als kreatives Material der Wahl. Ein Vorteil liegt in der günstigen und schnellen Herstellung, nachteilig wirken mangelhafte Haltbarkeit und hohe Entflammbarkeit. Die massenhafte Vergabe an Bedürftige führte übrigens zu einer enormen Freizeit- und Hobbyproduktion. Ein mögliches Alternativmaterial in weltanschaulich eher fordernder Umgebung ist Kork, der bei geringem Gewicht für eine gute gedankliche Durchlüftung sorgt. Die sogenannte „gehobene Unterhaltung“ sucht dagegen die Annäherung zum elitären Gips oder gar Marmor. Diese wird erreicht durch Imitationen durch Kunststoffarten wie Thermoplaste, Elastomere, Duroplaste. Auf diese Art erscheinen selbst die ältesten und flachsten Klischees authentisch und unverbraucht. Es handelt sich hierbei um Nachahmungen von Nachahmungen. Bei nachlässiger Handhabung neigen solche Materialien zu toxischen Gedanken mit umweltschädlichen Assoziationen. Ursprünglich sollten sie nach und nach alles Übrige ersetzen, wovon wegen solcher Problematik Abstand genommen wurde. Eines der Relikte dieses Vorhabens sind die sogenannten „Plastik“-, bzw. „Flaschenköpfe“ aus PET-Kunststoff (Polyethylenterephthalat). Es handelt sich um nicht weiterentwickelte Basisversionen, die heute wegen ihrer Vielseitigkeit andere Materialien ergänzen. Eine dieser Eigenschaften ist die Diffusion von PET, die nur von Kork qualitativ übertroffen wird. Flaschenköpfe in gehobenen, repräsentativen Positionen bestehen dagegen aus ökologisch unproblematischen, verkorkten Sicherheitsglasflaschen. Klares Glas mit klarer Flüssigkeit, oder auch ungefüllt, bürgt für Brillanz und Transparenz.

Nun wieder zu einem nachwachsenden Rohstoff: Getreidestroh wird verwendet, wenn weder Intellektualität, noch genialische Kreativität, sondern seismografische Sensibilität erforderlich sind. Sein beständiges Rascheln und Knistern hält den Inhaber stets kritisch, hellwach und aufmerksam. Dieses Material ist allerdings vielseitig: In gröberer Qualität eignet es sich als dämpfendes Ballenstroh zum Abfangen von wütenden Beschwerden und Protesten. Gelegentlich wird auf Kautschuk zurückgegriffen und nur in anspruchsvollsten Situationen auf hitzebeständige Elastomere. Wird dagegen unbedingte Unnachgiebigkeit gefordert, empfehlen sich quadratische Betonköpfe. Es ist allerdings angeraten, dieses Material offen zu kommunizieren, wie durch die Verwendung von Sichtbeton. Bei aller Brutalität erfährt dieser regelmäßige Renaissancen, wie etwa in der modernen Architektur. Die bei Getreidestroh und Sichtbeton assistierenden PET-Flaschenköpfe werden gegebenenfalls mit grobem Stroh ausgestopft oder mit Beton ausgegossen. Im zweiten Fall ist eine längere Verwendung denkbar.

Abschließend bleibt Folgendes festzuhalten: In den meisten Fällen bringt ein Kopfaustausch ausschließlich Vorteile, wie das Vermeiden von enormen Leidensdruck. Nicht zertifizierte eigene Wirrköpfe riskieren ihre Verhaftung und welche mit Sicherheitszertifikat haben sich regelmäßigen Kontrollen mit Kalibrationen und Validationen zu unterziehen. Dies verunmöglicht in beiden Fällen ein normales Leben, wie mit Holz, Stroh, Gips oder Beton. Kunstköpfe garantieren dagegen den Untertanen Ruhe und der Herrschaft Planungssicherheit.

Nun eine Liste mit empfehlenswerter Literatur für Kinder, Jugendliche und Erwachsene (Abkürzungen K, J, E):

  • Wer hat noch keinen Wechselkopf? Annemarie Abschaedler, Birnen-Verlag (K, 8–12)
  • Strohköpfchen und Holzlöckchen. Ein Märchen von Prof. Dr. Horst Gießvogel, Verlag Tuscher (K, 3–6)
  • Ein neues Lämpchen für unsere kleine Leuchte. Wilhelmine Blitzer, Austausch-Verlag (K, 5–8)
  • Durch und mit Vollgips überlegt handeln. W. M. Bein-Bruch, Gypsum (E)
  • Wir betonieren dir Einen. Benedikt Hartenschädler, Concrete (J)
  • Mit Bohnenstroh in die neuen Zeiten. Valentina Knister, Kaffeesatz Verlag (J, E)
 

Gudrun

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Was für ein schräges Thema! Herrlich und wenn man nicht nur lachen möchte, auch mit Tiefgang und Seitenhieb.
 

Ji Rina

Mitglied
Oha steyrer, ja was kann man dazu noch sagen? Dass der Kopftausch bei der Einschulung bereits zu spät ist? Holz, Stroh, Gips, Beton, Pappmaschee, Plastik, Kork, Glas, Marmorköpfe…….

"""""ist als Unikat niemals vollständig kompatibel mit anderen eigenen Köpfen.""""

Unikate sind immer suspekt!

Was ist eigentlich mit den “Hohlköpfen”? Da wo nix drinne ist? Diejenigen, die ein lebenlang völlig Gedanken- und emotionslos, blind durchs Leben stolpern dürfen, und anderen ihre Holhheit täglich aufdrängen? Vielleicht wäre bei denen der “Totale Mischkopf” angebracht? Also von allem etwas, bisschen Glas, Beton, paar Krümel Mayorana….ne Olive obendrauf..

Also mit Materialien kennst du dich wohl gut aus! Aber auch mit Köpfen! ;) Gute Beobachtung, mit viel Wahrheit. Und toll geschrieben!

Mit leicht verwirrten Kopfgrüssen,

Ji
 

steyrer

Mitglied
Hallo Ji Rina!

Es freut mich, dass es dir so gut gefällt! Ein „Totaler Mischkopf“ , wie von dir angedacht, wäre übrigens so etwas wie ein nachgemachter Wirrkopf, aber sozial verträglicher und geschmackvoller. : )

Schöne Grüße
steyrer
 

steyrer

Mitglied
Schreib mir in diesem Fall einfach einmal eine persönliche Nachricht. Für Gelingen oder Erfolg übernehme ich allerdings lieber keine Garantie ... ; )

steyrer
 
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