Wo die Kugel ihren Käfig berührt

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lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wo die Kugel ihren Käfig berührt

An der Mauer stehen neue Parolen
frischer als jene
Wählt Liste 3, KPD!

unendliche Übermalungen
was einst Geschichte sein sollte
an der Friedhofsecke
wo der Geist meines Vaters den Vögeln lauscht
und alle Blumensträuße
in Baumeskühle länger überleben
geköpft und ins Wasser gestellt

nur eine Ecke weiter
gabs Molle mit Korn

frag mich nach Wunden
aus diesen Jahren
und keine wird politisch sein
nicht direkt
denn es gab fast nur
die ganze Welt in dem halben Land
das nicht klein sein durfte
und doch an Kleinmut zerbrach
und am Fluch jeder Diktatur

es gibt keinen Kit
für gebrochene Herzen
in verwesten Kadavern
am Ende bezahlt
jeder selbst seine
Deutsche Demokratische Rechnung
packt Trinkgeld dazu
oder gleicht bis auf den letzten Pfennig
die Schuld oder blinde Flecken aus

versuchen wir das nochmal
oder war es das jetzt
mit dem gerechten Leben
Zeit wird es doch
die Technik ist soweit
und jeder nach seinen Bedürfnissen
und jede erst recht

und mitten im bösen Kleinklein
guckt man hinaus in das lichte Morgen
dort winkt schon ein Banner
mit frohen Visionen
und weiteren Sprüchen
dazwischen das Nichts eines Abschnittswechsels
der nur für eine Maschine aus Zeichen besteht
damit sich der Schlitten bewegt
mit reichlich Klingklang
dem Schellen der Narrenkappe abgehört
doch er meint das alles ernst
in den sich verzweigenden Zeiten
mit veränderlicher Vergangenheit
und dem Achsoguten im Untergang
oder davor gewiss

bei all den Graffiti
die graue Wände lebendiger machen
oder rote Ziegelsteine
werde ich farblos bleiben
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo lap,

dies scheint das Jahr der Rückblenden zu sein.
Auch ich werde im August in Berlin sein, aber nicht um die alten Geister zu vertreiben. Ich bin auf der Suche nach ihnen, um mich zu versöhnen.
Starkes Gedicht!!

Liebe Grüße
Manfred
 
O

orlando

Gast
Gern schließe ich mich Manfred an.

Das ist eine gnadenlose, aber im Kern doch liebevolle Abrechnung mit der DDR.
Wer wollte leugnen, dass ihre Pioniere mit Herzblut Kommunisten waren, und wer wolte leugnen, dass deren Versuch gescheitert ist. Macht und das Manifest - die neuen "Herren" und die Arbeiter und Bauern vertrugen sich auf Dauer nur schlecht. Von den Auswüchsen der Bespitzelung im Dienste der Staatssicherheit ganz zu schweigen.
Wer wollte aber auch leugnen, dass a l l e Errungenschaften der DDR nach der Wiedervereinigung en bloc platt gemacht worden sind. Und davon gab es einige.
Denn bald kamen die Abwickler. Die schätzten die Farbe Rot durchaus, vermengten sie mit einem blassen Hoffnungsgrün und machten ihr Kackbraun daraus.

Wirklich ein starkes Gedicht. Was mich mit leiser Wehmut zurücklässt. Hätte nicht doch, wenn ...

Hätte wohl nicht.

LG, orlando
 
X

xxandros

Gast
[blue]Die Leselupenleitung teilt mit:

Dieser Kommentar war ein Plagiat.
Zum Schutz der Leselupe vor Schaden durch Urheberrechtsverletzungen wurde er gelöscht.

Quelle:
Hendrik Jackson aus Tendenzen zeitgenössischer deutschsprachiger Lyrik
http://www.lyrikkritik.de/tendenzen.htm
 

HerbertH

Mitglied
es ist schon alles gesagt nur noch nicht von allen- fast

Ich rätsele noch welcher er genau es ist der es ernst meint ;)

Insgesamt aber finde ich hier Enträtselungen
Ähnlich wie im Turm
Einblicke in jenes dem Wessi immer noch schwer nachvollziehbare
Faszinosum der Denke und der Seelenlage des ehemaligen
DDR-Bürgers
Diese Melange zwischen Politik und Persönlichkeit die durch das ganz eigentümliche System und die ebenso spezielle Wahrnehmung der Wiedervereinigung ausgelöst wurde

Ich wünsche mir mehr solche Einblicke

Ein Gedicht von einem Gedicht (!) das mich nachdenklich zurück lässt
So muss es sein :)

Der Titel ist übrigens ein Highlight
 
D

Die Dohle

Gast
... eindrucksvolle Bestandsaufnahme anno 20 15 und ganz gewiss nicht farblos.

lg
die dohle
 



 
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