Mrs. Sorgenvoll
Mitglied
Tja, das fragen sich wahrscheinlich viele Menschen. Die Kapitelüberschrift (wenn sie denn überhaupt eine ist im Sinne der deutschen Sprache, würde jetzt mein früherer Deutschlehrer philosophieren) klingt auch mehr nach einem Prof der im Boomer Alter ist und zwei Stunden über ein total langweiliges Thema einen Monolog gehalten hat, jetzt merkt dass er die komplette Aufmerksamkeit des Raumes verliert, und daraufhin versucht die Kurve zu bekommen mit einer platonischen Frage: „Wo komme ich her?“, in der Hoffnung jetzt noch die Aufmerksamkeit für sein nicht Klausurrelevantes Thema zu erhaschen.
In meinem Fall, oder eher gesagt im Falle des Kapitels, ist es so ähnlich. Ich will kurz meinen Standpunkt erzählen, damit klar ist was ich durch habe und warum es jetzt so ist. Ich glaube das ist einerseits wichtig für den Rest, aber andererseits vor allem wichtig für Sie! Wie oft in meinem Leben habe ich mir gewünscht, dass Menschen offen über ihren Weg reden. „Unter jedem Dach ein ach“, sagt man hier in Süddeutschland. Aber wie soll man von dem „ach“ erfahren, wenn alle schweigen und zunehmend auf Social Media einen Alltag in Beige, geordneten Gewürzschubladen und Ice Matcha Latte vermitteln?
Sie merken schon: Ich hasse die Farbe Beige- das ist meiner Meinung eine Rentnerfarbe und selbst für Rentner ist das fast eine Beleidigung. Ich meine Beige würde ich auf der Hochzeit von der Cousine meines Freundes tragen, bei der die Hälfte der Verwandten nur aus Mitleid und gesellschaftlichen Zwang erschienen ist, aber keineswegs, weil man die Braut (ganz zu schweigen vom Bräutigam) annährend irgendwie sympathisch findet. Ice Matcha Latte hat mir nur einen Ohrwurm beschert, aber als Getränk einfach absolut widerlich (sorry an irgendeinen Menschen in Berlin der sich gerade wahrscheinlich an seinem Ice Matcha Latte hart verschluckt hat und dieses Buch, wenn es denn jemals eins geworden ist, wütend wegwirft oder zur Hochzeit der Cousine seines Partners verschenkt). Die einzige Sache die wirklich Sinn ergibt ist die aufgeräumte Gewürzschublade. Dieses wunderbare Gefühl, wenn man die Küchenschublade öffnet und die Gewürze alle ordentlich einsortiert nebeneinanderstehen. Im besten Fall hat man die teuren Gewürze gekauft, bei denen die Hersteller sich für platte Deckel entschieden haben, um auch oben auf den Deckel nochmal den Gewürznamen zu schreiben, sodass es dem aufmerksamen Koch einfach fällt, schnell das passende Gewürz zu nehmen. Wenn Sie diesen letzten Satz für bare Münze genommen haben, glauben Sie auch, dass ich gerne der Hochzeitseinladung der Cousine meines Freundes folge. Es ist mir völlig egal wie meine Gewürzschublade aussieht und ob die Gewürze von einer Marke sind, von oben der Name lesbar ist oder sonstiges.
Gut, werden Sie jetzt denken. Jetzt vergeude ich meine wertvolle Zeit schon damit ein Buch zu lesen, statt wahllos auf TikTok mir Videos reinzuziehen von peinlichen Hochzeitsmomenten, Mütteralltag in Beige oder hippen Menschen, die ihren Ice Matcha Latte vor laufender Kamera zubereiten und #asmr als Videounterschrift genommen haben. Also was will die Gute jetzt?
Ich will Sie mitnehmen auf eine Reise in meine Vergangenheit, die so traurig ist (zumindest für mich) und mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin: Eine junge Frau in ihren 30ern, die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, Panikattacken und Angststörungen gewonnen hat. Ja richtig gelesen: Ich habe das ganze Paket gewonnen bei einem Gewinnspiel, bei dem ich nie mitmachen wollte. Aber es war so ähnlich wie die unbeholfenen Menschen, die von ihren Freunden zu einer Datingshow angemeldet werden und sich dann „plötzlich“ vor laufender Kamera wiederfinden. Da sitzen sie nun und stammeln irgendwas von „Ich wollte mich ja hier gar nicht anmelden, aber meine Freunde haben mich angemeldet und ja jetzt sitze ich hier und lass den Abend mal auf mich zukommen“. Der Zuschauer denkt sich jetzt: Mega! Richtig tolle engagierte Freunde hat der Jupp da. Hör mal- wenn meine Freunde mal so engagiert wären, und mich ewiger Dauersingle auch mal bei so einer Show anmelden würden- du, dann würd` ich jetzt hier nicht sitzen und mich anhören wie Erwin, 58, aus dem Ruhrpott.
Erwins Freunde tun das aber nicht. Sie würden Erwin niemals heimlich und ungefragt bei einer Dating Show anmelden, die eher darauf abzielt Menschen ihre größten Schwächen und Peinlichkeiten zu offenbaren und sich somit bloßzustellen vor halb Deutschland. Erwins Freunde würden sowas nicht tun, nicht weil ihnen Erwin als ewiger Dauersingle nicht leidtut-wobei ist man wirklich bemitleidenswert, wenn man Single ist? Ich persönlich würde sagen, man ist wirklich bemitleidenswert, wenn man in einer Beziehung lebt die sich wie eine schlecht sitzende Unterhose verhält: Sobald man einen Schritt geht, frisst der Hintern die halbe Unterhose. Zu Hause mag das noch zu verheimlichen sein. Man kann ungeniert an der Hose zupfen und sie gerade ziehen, wie man möchte. Aber sobald man mit so einer Unterhose das Haus verlässt, wird es kompliziert, peinlich und vielleicht auch etwas bemitleidenswert.
Aber genug von schlecht sitzenden Unterhosen und zurück zu Erwins Freunde: Vielleicht mag der ein oder andere jetzt denken, dass Erwins Freunde auch einfach Ignoranten sind. Was geht sie schon Erwins Lebenssituation an? Dann ist er halt ewig Single, obwohl er sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt. Vielleicht sind diese Freunde aber das, was man in der Definition „Freunde“ nennt: Menschen die Erwin ehrlich und aufrichtig lieben und ihn deshalb niemals bloßstellen würden in einer Fernsehshow. Vielleicht sehen sie auch, dass er vielleicht sagt, dass er eine Beziehung will, aber ein glückliches und erfüllendes Leben führt. Wie viele Menschen wünschen sich eine Million auf dem Konto, obwohl sie ein gutes Gehalt bekommen? Mehr darf es ja immer sein im Leben- zumindest von den Guten Dingen.
Ich komme aber von Freunden, die so sind, wie oben geschildert: Ich wurde ungefragt zu dieser Datingshow- in meinem Fall Gewinnspiel der psychischen Erkrankungen- angemeldet, ohne vorher gefragt zu werden. Ich hätte eh nicht antworten können, oder die Entscheidung aktiv treffen können, denn ich war ein Kind bei der Anmeldung. Und als ich den Gewinn endlich überreicht bekommen habe, war ich 22 und saß in Psychotherapie in der Stuttgarter Innenstadt. Nein, bitte stellen Sie sich an der Stelle keine noble Praxis in der Stuttgarter Innenstadt vor mit einem goldenen Messingschild unten an der Haustür und ebensolchen Klingelknöpfen sowie Mineralwasser im Wartezimmer.
Die Realität war eher, ein Chinarestaurant, was die oberen Etagen vermietete. Man musste also in ein enges, dunkles Treppenhaus (Ideale Expositionstherapie für Menschen mit Platzangst!) und dort in das Dachgeschoss. Rechts lebte der Inhaber des Restaurants in einer Wohnung, links war die Praxis und auf dem Flur zwischen den beiden Wohnungen standen exakt vier Stühle (das Wartezimmer).
Der Raum selbst hatte auch keine Couch, um direkt mal die wichtigste Frage vorwegzunehmen, sondern einen roten Lederimitatsessel und Bücherregale die voll waren bis unter die Decke. Ich behaupte, dass Ärzte und Psychologen eine Auflage bei der Beantragung des Kassensitzes von der Kassenärztlichen Vereinigung bekommen, ihre Praxen mit Fachbüchern zu dekorieren, denn niemand kann mir erzählen, dass in der heutigen digitalen Zeit wirklich ein Heilberufler während einer Diagnostik aufsteht, gezielt zu einem Regal geht, ein Fachbuch rausholt und sagt: „Endlich weiß ich mal was nicht und kann in diesem edlen Buch mein Wissen auffrischen“.
Die Therapeutin war kurz vor der Rente, eine kleine dünne Frau aber wusste genau, was Sache ist. Sie überreichte mir den Hauptgewinn, ohne mit der Wimper zu zucken und direkt zu Beginn unseres zweiten Treffens, zwischen Nummer 148 Ente süß- sauer und Fachbüchern. „Immerhin ist die Angststörung generalisiert“. Was dieser Satz bedeuten soll, weiß ich bis heute nicht. Hey, ja, meine Angststörung bezieht sich glücklicherweise auf alle Lebensbereiche sodass arbeiten, Freunde treffen, Hobbys ausführen, Bahn fahren, ja allein schon morgens aufstehen zu einem absoluten Survival-Game werden. Toll ja, danke Mama und Papa für die Anmeldung!
Um jetzt endlich den Punkt zu machen, falls Sie noch lesen und sich nicht schon auf TikTok verkrochen haben, ich hatte eine beschissene Kindheit und eine noch beschissenere Jugend. An dieser Stelle verlässt mich mein Humor, denn da gibt es nichts mehr zu lachen oder schönzureden. Irgendwie (nein ich weiß eigentlich wie, aber dazu kommen wir noch) habe ich dieses Survival- Game gespielt, bis ich Erwachsen war und den Hauptgewinn bekommen habe. Nach dem Hauptgewinn war es aber noch nicht vorbei- wäre ja auch zu schade gewesen.
Aus der Psychologie weiß man, dass Menschen aus dysfunktionalen und instabilen Elternhäusern sich sehr gerne ihre Beziehung nach diesem Schema aussuchen. Es ist kein bewusstes aussuchen wie das rechts swipen auf Tinder (oder eben links swipen). Es ist eher was unterbewusstes und Biochemisches was in uns abläuft. An der Stelle habe ich das Wort „Biochemie“ bewusst eingesetzt, denn die wenigsten möchten sich jetzt zurück versetzt fühlen in den Unterricht der achten Klasse Chemie. Aber zurück zur Liebe: Narzissten lieben diesen Trick- wie jetzt wahrscheinlich jede Life Coach Werbung auf YouTube heißen würde. Narzisstische Charakterzüge waren so normal für mich, dass meine erste lange Beziehung mit so einem Menschen war. Eine wirklich tolle traumhafte Anfangsphase, gefolgt von einem jahrelangen emotionalen auf und ab der Gefühle. Wann der große Knall kam, weiß ich gar nicht mehr genau, aber kurz vor meinem 30. Geburtstag habe ich mich von meinem narzisstischen Partner und meiner narzisstischen Mutter befreit. Ich habe mich das erste Mal in meinem Leben aktiv abgemeldet von dem toxischen Gewinnspiel und danach kam nichts als Lebensfreude, Panikattacken, Zwangshandlungen und Ängste all night long.
In meinem Fall, oder eher gesagt im Falle des Kapitels, ist es so ähnlich. Ich will kurz meinen Standpunkt erzählen, damit klar ist was ich durch habe und warum es jetzt so ist. Ich glaube das ist einerseits wichtig für den Rest, aber andererseits vor allem wichtig für Sie! Wie oft in meinem Leben habe ich mir gewünscht, dass Menschen offen über ihren Weg reden. „Unter jedem Dach ein ach“, sagt man hier in Süddeutschland. Aber wie soll man von dem „ach“ erfahren, wenn alle schweigen und zunehmend auf Social Media einen Alltag in Beige, geordneten Gewürzschubladen und Ice Matcha Latte vermitteln?
Sie merken schon: Ich hasse die Farbe Beige- das ist meiner Meinung eine Rentnerfarbe und selbst für Rentner ist das fast eine Beleidigung. Ich meine Beige würde ich auf der Hochzeit von der Cousine meines Freundes tragen, bei der die Hälfte der Verwandten nur aus Mitleid und gesellschaftlichen Zwang erschienen ist, aber keineswegs, weil man die Braut (ganz zu schweigen vom Bräutigam) annährend irgendwie sympathisch findet. Ice Matcha Latte hat mir nur einen Ohrwurm beschert, aber als Getränk einfach absolut widerlich (sorry an irgendeinen Menschen in Berlin der sich gerade wahrscheinlich an seinem Ice Matcha Latte hart verschluckt hat und dieses Buch, wenn es denn jemals eins geworden ist, wütend wegwirft oder zur Hochzeit der Cousine seines Partners verschenkt). Die einzige Sache die wirklich Sinn ergibt ist die aufgeräumte Gewürzschublade. Dieses wunderbare Gefühl, wenn man die Küchenschublade öffnet und die Gewürze alle ordentlich einsortiert nebeneinanderstehen. Im besten Fall hat man die teuren Gewürze gekauft, bei denen die Hersteller sich für platte Deckel entschieden haben, um auch oben auf den Deckel nochmal den Gewürznamen zu schreiben, sodass es dem aufmerksamen Koch einfach fällt, schnell das passende Gewürz zu nehmen. Wenn Sie diesen letzten Satz für bare Münze genommen haben, glauben Sie auch, dass ich gerne der Hochzeitseinladung der Cousine meines Freundes folge. Es ist mir völlig egal wie meine Gewürzschublade aussieht und ob die Gewürze von einer Marke sind, von oben der Name lesbar ist oder sonstiges.
Gut, werden Sie jetzt denken. Jetzt vergeude ich meine wertvolle Zeit schon damit ein Buch zu lesen, statt wahllos auf TikTok mir Videos reinzuziehen von peinlichen Hochzeitsmomenten, Mütteralltag in Beige oder hippen Menschen, die ihren Ice Matcha Latte vor laufender Kamera zubereiten und #asmr als Videounterschrift genommen haben. Also was will die Gute jetzt?
Ich will Sie mitnehmen auf eine Reise in meine Vergangenheit, die so traurig ist (zumindest für mich) und mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin: Eine junge Frau in ihren 30ern, die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, Panikattacken und Angststörungen gewonnen hat. Ja richtig gelesen: Ich habe das ganze Paket gewonnen bei einem Gewinnspiel, bei dem ich nie mitmachen wollte. Aber es war so ähnlich wie die unbeholfenen Menschen, die von ihren Freunden zu einer Datingshow angemeldet werden und sich dann „plötzlich“ vor laufender Kamera wiederfinden. Da sitzen sie nun und stammeln irgendwas von „Ich wollte mich ja hier gar nicht anmelden, aber meine Freunde haben mich angemeldet und ja jetzt sitze ich hier und lass den Abend mal auf mich zukommen“. Der Zuschauer denkt sich jetzt: Mega! Richtig tolle engagierte Freunde hat der Jupp da. Hör mal- wenn meine Freunde mal so engagiert wären, und mich ewiger Dauersingle auch mal bei so einer Show anmelden würden- du, dann würd` ich jetzt hier nicht sitzen und mich anhören wie Erwin, 58, aus dem Ruhrpott.
Erwins Freunde tun das aber nicht. Sie würden Erwin niemals heimlich und ungefragt bei einer Dating Show anmelden, die eher darauf abzielt Menschen ihre größten Schwächen und Peinlichkeiten zu offenbaren und sich somit bloßzustellen vor halb Deutschland. Erwins Freunde würden sowas nicht tun, nicht weil ihnen Erwin als ewiger Dauersingle nicht leidtut-wobei ist man wirklich bemitleidenswert, wenn man Single ist? Ich persönlich würde sagen, man ist wirklich bemitleidenswert, wenn man in einer Beziehung lebt die sich wie eine schlecht sitzende Unterhose verhält: Sobald man einen Schritt geht, frisst der Hintern die halbe Unterhose. Zu Hause mag das noch zu verheimlichen sein. Man kann ungeniert an der Hose zupfen und sie gerade ziehen, wie man möchte. Aber sobald man mit so einer Unterhose das Haus verlässt, wird es kompliziert, peinlich und vielleicht auch etwas bemitleidenswert.
Aber genug von schlecht sitzenden Unterhosen und zurück zu Erwins Freunde: Vielleicht mag der ein oder andere jetzt denken, dass Erwins Freunde auch einfach Ignoranten sind. Was geht sie schon Erwins Lebenssituation an? Dann ist er halt ewig Single, obwohl er sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt. Vielleicht sind diese Freunde aber das, was man in der Definition „Freunde“ nennt: Menschen die Erwin ehrlich und aufrichtig lieben und ihn deshalb niemals bloßstellen würden in einer Fernsehshow. Vielleicht sehen sie auch, dass er vielleicht sagt, dass er eine Beziehung will, aber ein glückliches und erfüllendes Leben führt. Wie viele Menschen wünschen sich eine Million auf dem Konto, obwohl sie ein gutes Gehalt bekommen? Mehr darf es ja immer sein im Leben- zumindest von den Guten Dingen.
Ich komme aber von Freunden, die so sind, wie oben geschildert: Ich wurde ungefragt zu dieser Datingshow- in meinem Fall Gewinnspiel der psychischen Erkrankungen- angemeldet, ohne vorher gefragt zu werden. Ich hätte eh nicht antworten können, oder die Entscheidung aktiv treffen können, denn ich war ein Kind bei der Anmeldung. Und als ich den Gewinn endlich überreicht bekommen habe, war ich 22 und saß in Psychotherapie in der Stuttgarter Innenstadt. Nein, bitte stellen Sie sich an der Stelle keine noble Praxis in der Stuttgarter Innenstadt vor mit einem goldenen Messingschild unten an der Haustür und ebensolchen Klingelknöpfen sowie Mineralwasser im Wartezimmer.
Die Realität war eher, ein Chinarestaurant, was die oberen Etagen vermietete. Man musste also in ein enges, dunkles Treppenhaus (Ideale Expositionstherapie für Menschen mit Platzangst!) und dort in das Dachgeschoss. Rechts lebte der Inhaber des Restaurants in einer Wohnung, links war die Praxis und auf dem Flur zwischen den beiden Wohnungen standen exakt vier Stühle (das Wartezimmer).
Der Raum selbst hatte auch keine Couch, um direkt mal die wichtigste Frage vorwegzunehmen, sondern einen roten Lederimitatsessel und Bücherregale die voll waren bis unter die Decke. Ich behaupte, dass Ärzte und Psychologen eine Auflage bei der Beantragung des Kassensitzes von der Kassenärztlichen Vereinigung bekommen, ihre Praxen mit Fachbüchern zu dekorieren, denn niemand kann mir erzählen, dass in der heutigen digitalen Zeit wirklich ein Heilberufler während einer Diagnostik aufsteht, gezielt zu einem Regal geht, ein Fachbuch rausholt und sagt: „Endlich weiß ich mal was nicht und kann in diesem edlen Buch mein Wissen auffrischen“.
Die Therapeutin war kurz vor der Rente, eine kleine dünne Frau aber wusste genau, was Sache ist. Sie überreichte mir den Hauptgewinn, ohne mit der Wimper zu zucken und direkt zu Beginn unseres zweiten Treffens, zwischen Nummer 148 Ente süß- sauer und Fachbüchern. „Immerhin ist die Angststörung generalisiert“. Was dieser Satz bedeuten soll, weiß ich bis heute nicht. Hey, ja, meine Angststörung bezieht sich glücklicherweise auf alle Lebensbereiche sodass arbeiten, Freunde treffen, Hobbys ausführen, Bahn fahren, ja allein schon morgens aufstehen zu einem absoluten Survival-Game werden. Toll ja, danke Mama und Papa für die Anmeldung!
Um jetzt endlich den Punkt zu machen, falls Sie noch lesen und sich nicht schon auf TikTok verkrochen haben, ich hatte eine beschissene Kindheit und eine noch beschissenere Jugend. An dieser Stelle verlässt mich mein Humor, denn da gibt es nichts mehr zu lachen oder schönzureden. Irgendwie (nein ich weiß eigentlich wie, aber dazu kommen wir noch) habe ich dieses Survival- Game gespielt, bis ich Erwachsen war und den Hauptgewinn bekommen habe. Nach dem Hauptgewinn war es aber noch nicht vorbei- wäre ja auch zu schade gewesen.
Aus der Psychologie weiß man, dass Menschen aus dysfunktionalen und instabilen Elternhäusern sich sehr gerne ihre Beziehung nach diesem Schema aussuchen. Es ist kein bewusstes aussuchen wie das rechts swipen auf Tinder (oder eben links swipen). Es ist eher was unterbewusstes und Biochemisches was in uns abläuft. An der Stelle habe ich das Wort „Biochemie“ bewusst eingesetzt, denn die wenigsten möchten sich jetzt zurück versetzt fühlen in den Unterricht der achten Klasse Chemie. Aber zurück zur Liebe: Narzissten lieben diesen Trick- wie jetzt wahrscheinlich jede Life Coach Werbung auf YouTube heißen würde. Narzisstische Charakterzüge waren so normal für mich, dass meine erste lange Beziehung mit so einem Menschen war. Eine wirklich tolle traumhafte Anfangsphase, gefolgt von einem jahrelangen emotionalen auf und ab der Gefühle. Wann der große Knall kam, weiß ich gar nicht mehr genau, aber kurz vor meinem 30. Geburtstag habe ich mich von meinem narzisstischen Partner und meiner narzisstischen Mutter befreit. Ich habe mich das erste Mal in meinem Leben aktiv abgemeldet von dem toxischen Gewinnspiel und danach kam nichts als Lebensfreude, Panikattacken, Zwangshandlungen und Ängste all night long.