Wo komme ich her Teil 4

Eigentlich sind Angstgedanken wirklich lächerlich, denn sie laufen immer nach demselben Schema ab – ungefähr so wie diese eine Show bei einem deutschen Privatsender mit drei Buchstaben, die jedes Jahr eine Handvoll „Promis“ in ein selbstgebautes Camp schickt und sie dort mit Krokodilvagina und Kakerlakensmoothies quält. Jedes Jahr das gleiche Format, am gleichen Ort, mit denselben Challenges und natürlich den immer gleichen zwischenmenschlichen Dramen – abgesehen von dem einen Jahr mit dem Fremdgeh-Drama hinter den Kulissen. Aber sonst? Immer das gleiche. Angstgedanken funktionieren genauso: Sie wiederholen sich ständig, nur die Themen variieren, aber das Grundmuster bleibt.

Was für Außenstehende vielleicht harmlos klingt, ist für mich der pure Horror – so, als müsste ich in jeder verflixten Folge dieser Show die Krokodilvagina essen. Der Unterschied: Ich kann nicht einfach mit einem Satz aus dem Spiel aussteigen, bekomme keine Werbedeals als Trostpflaster und kassiere auch keine Tagesgage für mein Durchhalten. Ich stecke fest. Und weil mein Ausstieg nicht mit einer dramatischen Verkündung samt epischer Musik möglich ist, müssen Sie sich stattdessen dieses Buch reinziehen.

Angstgedanken kommen plötzlich. Eben lacht man noch, genießt das Leben, und dann – zack! Angst! Dadurch fühlt sich jeder Tag wie ein Survival-Game an. Ein falscher Schritt, eine geöffnete Tür, und schon steckt man mitten in einer neuen Gefahr. Bei mir war es eine ganze Weile die panische Angst vor der Polizei. Ein klassisches Merkmal von Angstgedanken ist, dass sie immer mit „Was wäre, wenn ...“ beginnen und komplett unrealistisch sind. Dass sie unrealistisch sind, weiß ich natürlich nicht, denn ich rede mit niemandem darüber – und Berta besteht darauf, dass diese Angst absolut berechtigt ist. Sie lässt sich nicht davon abbringen. Und genau das ist der Unterschied zwischen mir und Ihnen. Sie denken vielleicht: „Okay, bei einer Polizeikontrolle am Flughafen ist man ein bisschen nervös. Die mustern einen scharf, tragen Waffen und haben eine gewisse Autorität. Aber das ist ja normal.“

Ich bin nicht nervös. Nervös klingt viel zu harmlos. Ich habe Angst. Berta hat Angst! Falls Sie dieses Buch gerade irgendwo in einer Kleinstadt in der Uckermark oder tief in Mecklenburg lesen, werden Sie diese Angst nicht nachvollziehen können. Aber vielleicht können es selbst Leute aus Großstädten nicht. Das ist das Gemeine an Angstgedanken: Sie ergeben nur für die betroffene Person Sinn. Wäre die Angst rational, wäre es ja keine Angststörung, sondern eine berechtigte Sorge.

Aber zurück zur Uckermark, wo selbst auf Dorffesten keine Polizei nötig ist und Kinder die Existenz dieser Behörde nur aus Bilderbüchern kennen. In einer Landeshauptstadt sieht das anders aus. Ich habe in zwei Landeshauptstädten gelebt, und besonders in der, in der ich mich immer noch befinde, ist Polizeipräsenz ein echtes Ding. Dieses Bundesland mit der blau-weißen Flagge legt offensichtlich großen Wert darauf, die Polizei überall sichtbar zu machen. Und wenn ich sage überall, meine ich überall.

Bahnhof? Klar, das erwartet man. Innenstadt? Immer. Sommer im Englischen Garten? Kein Problem für Millionen von Münchnern – für mich eine Zumutung. Denn dort patrouilliert regelmäßig die Polizeireiterstaffel. Wenn es kein Sommer ist, fahren stattdessen Streifenwagen durch den Park. Lust auf einen überteuerten Cappuccino für 9,80 Euro am Odeonsplatz? Dann genießt man dort nicht nur das geschäftige Treiben und schöne Menschen, sondern auch die ständige Anwesenheit der Polizei.

Jetzt könnte man sagen: „Na gut, dann meidet man eben diese Hotspots.“ Und genau da liegt das Problem. Ich kann Orte vermeiden, aber die Angst geht nicht einfach weg. Das nennt sich „Vermeidung“ – einer der größten Treiber von Angststörungen.

Ich habe also angefangen, gezielt öffentliche Orte zu meiden. Und ich bin kreativ, wenn es um Ausreden geht: Kopfschmerzen wegen des plötzlichen Wetterumschwungs, ein angeblich bereits verabredeter Abend, spontane (und natürlich erfundene) Überstunden. Alles nur, um nicht in die Nähe einer Polizeistreife zu geraten.

Das Problem daran? Es macht einsam. Und es lässt Berta noch mehr wachsen. Denn Angst lebt von Vermeidung. Und falls Sie jetzt denken: „Dann mach es doch einfach trotzdem“ – lassen Sie es bitte. Denn wenn es so einfach wäre, dann gäbe es Berta nicht.

An der Stelle möchte ich eine Lanze brechen für unsere Polizei. Denn wenn man den Text hier so ließt könnte man meinen ich bi eine Gegnerin von staatlichen Institutionen. Bin ich aber auf keinen Fall und ich verstehe – nein Frau Sauer versteht das- wenn es Menschen gibt die sich durch die Präsenz der Polizei beschützt fühlen. Immerhin beschützt die Polizei uns als Bevölkerung und nicht ohne Grund bringt man Kindern schon bei: „Die Polizei dein Freund und Helfer“. Was tun mir die Polizisten leid, wenn ich im Fernsehen sehe wie sie problematische Fußballspiele absichern müssen und mit Helm und Schutzschild in der prallen Sonne oder bei Minusgraden stundenlang da stehen? Ich weiß es selbst nur zu gut wie sehr das Privatleben leiden kann bei einem Beruf der zwangsläufig im drei-Schicht-Dienst am Wochenende und am Feiertag abläuft. Ein Beruf der nicht fragt ob das eigene Kind Geburtstag hat wenn es mal wieder zu knapp ist in der Personalplanung. Deshalb wenn vielleicht Polizisten dieses Buch lesen sollten: Ihr seid toll- aber ich habe trotzdem Angst vor euch. Nehmt es bitte nicht zu persönlich, denn ich habe auch Angst vor Eichhörnchen, Zug fahren und meinem eigenen Herd.
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Mrs. Sorgenvoll,

ich habe jetzt den 4. Teil gelesen - da werden wohl noch die Teile 1 bis 3 sein - und kann nur sagen, dass ich beeindruckt bin, wie Du das ernste Thema ziemlich locker mit witzigen Einsprengseln angehst.
Ich bin schon gespannt auf die anderen Teile - mehr dann dort - aber erst einmal herzlich willkommen auf der Leselupe!

Liebe Grüße
Petra
 
Liebe @petrasmiles,

danke für das tolle Feedback :)
Ich hoffe dir gefallen die andere Teile auch und mein neuer Teil. Es ist meine Art das alles zu "verarbeiten", deshalb freut mich das Feedback sehr.

Liebe Grüße
Mrs. Sorgenvoll
 



 
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