Wohnbauzeitalter

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Mitglied
Ganz langsam schluckt ein Ungetüm den Himmel,
das dieses Jahr vor meinem Fenster wächst -
endgültige Versiegelung des Flecks
von letztem Grün im Viertel. Das Gewimmel

der gelben Helme und der blauen Dressen
erobert stetig hämmernd die Etagen
mit Kabelsträngen, Schalholz und Drainagen,
sprayt grüne Hieroglyphen nach Ermessen.

Und mittendrin, als würd es eingemauert,
leuchtend orange ein stählernes Skelett.
Es schwenkt und baut sich sein fossiles Bett.
Wird man es dort einst finden - hingekauert?

Erstarrt, geplättet, im Beton erstickt?
Ach nein - ich bin's, den dieses Haus erdrückt!







.okt_2022
 
G

Gelöschtes Mitglied 24428

Gast
Starkes Sonett, Fee. Ich glaubte bisher, in Österreich gäbe es diese Problematik nicht.
 

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Mitglied
Danke, Daisy.

Oh, doch. Nicht nur in der Stadt (wo sie uns den letzten Ausblick auf den Wienerwald und was Grünes grade zumauern). Die Immobilie als spekulative Wertanlage - ein furchtbarer Trend. Überall stehen neu gebaute Luxus(!)wohnungen leer und keiner kann sich das Wohnen mehr so richtig leisten. Eigentlich hoffe ich, dass die Immobilienblase bald platzt. Prognostiziert wird es ja schon mancherorts.

Danke auch für die Sterne! Hab mich gefreut!

fee
 
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G

Gelöschtes Mitglied 24428

Gast
Bei euch ging es damals mit Jörg Haider los, der die sozialdemokratische Gemütlichkeit mit neoliberalem Gehabe angriff. Momentan sinkt der Mittelstand ins Proletariat, wie auch bei uns.

Wollen wir hoffen, die Weltmächte erkennten die Gefahr einer globalen Katastrophe.
 

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Mitglied
Ja, die Schere öffnet sich immer weiter.
Österreich ist im Versiegeln von Grünflächen übrigens sogar trauriger Spitzenreiter in Europa.
Nicht gut.
Die Riesenkonzerne und Superreichen sind gefragt in erster Linie. Die sind die Weltmacht, wie's aussieht. Die globale Katastrophe ist ja schon da. Und bei uns wird immer noch in bestimmten Bundesländern debattiert, wie hässlich Windräder aussehen und die mögen doch, bitte, nicht die Landschaft verschandeln. Überall anders gerne - nur bei uns soll alles so bleiben, wie es ist. Kein Wunder, wenn sich da nix bewegt.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24428

Gast
Alle sagen, es bewege sich nichts. Sie wollen Freiheit und Sicherheit.

Am besten Beamter und gleichzeitig sich ausleben, was nicht geht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 24428

Gast
Warum stapelst du immer so tief und bringst das Sonett nicht in den Festen Formen?
 

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Mitglied
Hi, @Dionysos von Enno !

Ich habe andernorts diesen schönen Kommentar von dir zu diesem Gedicht gefunden und wollte dir hier dafür herzlich danken! Ich hatte dort nur ein kurzes Gastspiel, bis ich die Forenleiterin in all ihrer Ungehemmtheit kennenlernen durfte...ich bin dort also nicht mehr aktiv, lese aber - wie du siehst - ab und zu noch rein ohne mich einzuloggen). Über deine Zeilen hab ich mich sehr gefreut!

Hi Fee,

das ist ein großartiges Gedicht! Das ist Neo-Expressionismus der inneren Städte. Die inneren Städte, die nur halb vergessenen und deshalb doppelt verwahrlosten. Dein Gedicht macht so vieles richtig, und hat mich direkt ergriffen! Da sind diese wundervoll stimmigen Bilder, der geschmeidige Ton und das Fließen der Worte. Dann ist dort ein Herübergreifen in den Weltenzeiten, führt es zurück ins Individuum. Das kommt für mich anz besonders gut in dem Bild vom "fossilen Bett" rüber. Das bedrohliche Wachsen des Hauses, der inneren Spannungen ist dir finde ich sehr gelungen! ! Compliments !

Dionysos
LG,
fee
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Fee,

wenn es Dionysos von Enno nicht schon geschrieben hätte, wären das genau meine Worte gewesen ;) oder so ähnlich.
Schade, dass der Anlass so gruselig ist. Wie ich schon mehrfach schrieb - es ist die Krux, dass Geld Geld hervorbringen soll und das kann es nur, wenn es reinvestiert wird - dieses Bau-Desaster ist nur eine Spielart davon.
Ich fühle mit Dir!

Liebe Grüße
Petra
 

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Mitglied
Warum stapelst du immer so tief und bringst das Sonett nicht in den Festen Formen?
Sorry, Daisy,

das hab ich erst jetzt entdeckt. Staple ich immer tief? Hm. Vielleicht tendenziell schon eher tiefer als es angemessen wäre. Ich bin halt schüchtern in gewisser Weise.

Lustigerweise hatte ich das Gedicht gar nicht im Bewusstsein geschrieben, dass es ein Sonett ist (mit dem Shakespeare Sonett bin ich nicht so vertraut). Es war halt gereimt und das Metrum gefiel mir so, wie es sich sprachlich ergeben hat von der Stimmung und vom Inhalt her. ;)

Ich geb mir Mühe mit dem Bisschen-Höher-Stapeln, okay?

LG,
fee
 

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Mitglied
Liebe Fee,

wenn es Dionysos von Enno nicht schon geschrieben hätte, wären das genau meine Worte gewesen ;) oder so ähnlich.
Schade, dass der Anlass so gruselig ist. Wie ich schon mehrfach schrieb - es ist die Krux, dass Geld Geld hervorbringen soll und das kann es nur, wenn es reinvestiert wird - dieses Bau-Desaster ist nur eine Spielart davon.
Ich fühle mit Dir!

Liebe Grüße
Petra
Liebe Petra,

danke für das Mitgefühl. Eine kleine Schneise mit Blick auf ein schmales Stück Wienerwald ist noch übrig. Spätestens in einer Woche blicken wir nur noch in Innenhöfe und dann war's das mit den schönen Sonnenuntergängen über der Skyline von Wien...

Erst heute hab ich irgendwo in den österreichischen Nachrichtensendungen gehört, dass einige Bundesländer bei uns beginnen, Revitalisierungen bestehender Häuser verstärkt zu fördern. Wenigstens tut sich da langsam was.
Es kann sich ja auch keiner mehr die ganzen neu gebauten Luxuswohnungen leisten (und "normal ausgestattete" Wohnungen werden kaum noch errichtet in bestimmten Gegenden wie zum Beispiel bei uns am Attersee) und viele werden als Wertanlage gekauft und stehen dann fast das ganze Jahr leer. Letztens hab ich erfahren, dass die Strafen für vorgetäuschten Hauptwohnsitz so gering sind, dass man das locker wegschnupft. Da kostet die Makler-Gage definitiv mehr und nach der dritten Abstrafung ist die Sache auch erledigt. Völlig lächerlich. Das bedeutet für den Luxusimmobilieninhaber dreimal weniger Champagner trinken so in etwa....

Ich wünsch dir ein angenehmes Wochenende!
fee
 

Kaetzchen

Mitglied
Hallo Fee
Du malst ein schönes, wenn auch nicht sehr erfreuliches Bild mit deinem Gedicht. Man sieht das Haus förmlich wachsen. Fast hat man Mitleid mit dem stählernen Skelett, bis man am Schluss daran erinnert wird, wen man eigentlich bedauern muß. Auf jeden Fall ist es dir gelungen, deine Gefühle dazu auszudrücken. Da ich gereimte Gedichte mag, erfreut mich auch dein gut eingehaltener Rhythmus.
Liebe Grüße
Kaetzchen
 

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Mitglied
... Fast hat man Mitleid mit dem stählernen Skelett, bis man am Schluss daran erinnert wird, wen man eigentlich bedauern muß. Auf jeden Fall ist es dir gelungen, deine Gefühle dazu auszudrücken. Da ich gereimte Gedichte mag, erfreut mich auch dein gut eingehaltener Rhythmus.
Recht lieben Dank, Kaetzchen,

für das schöne Lob! Heute morgen kam zum orangen Skelett noch ein langer, abgeknickter Arm einer Betonpumpe, der sich dahinter wie ein Dinosaurier-Fangarm bewegte...das sah dann wirklich irgendwie aus wie der Kampf der Giganten vor meinem Fenster im sechsten Stock... ;)

Ich wünsch dir ein schönes Wochenende!

fee
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Hallo Fee,

ja, das ist die eine Seite - die Immobilienspekulation und das Vollstellen von Freiflächen, die der Erholung der Stadtbevölkerung dienten. Das kennen wir hier in Berlin auch zur Genüge.

Die andere Seite erwähnst du nicht, und das sind die Mietpreise, die gestiegen sind, weil Wohnungen nach der gehäuften Migration aus aller Herren Länder, besonders der Ukrainer (über 1 Million), so rar geworden sind, dass es im Grunde jetzt kaum noch Aussicht gibt, seinen Wohnort innerhalb der Stadt Berlin wechseln zu können. Und das Bezahlen der Mieten übersteigt so manches Haushaltsbudget. In Deutschland haben die Bundesregierungen es bisher versäumt, mit dem Wohnungsbau auf den Zuzug zu reagieren. Es wurde ja gebaut, wie gesagt, jede Freifläche wurde genutzt, womit natürlich auch jede Menge bisher freie Aussichten zugebaut wurden. Wenn ich durch meinen Wohnort gehe, der etwas außerhalb der Innenstadt liegt, gehe ich nur durch Straßen, aber dieser Ort war einmal für weite Grünflächen bekannt. Wir haben in der ganzen Ecke nur einen wirklichen Park, und zu dem muss zumindest ich eine ganze Ecke hinlaufen. Der Park ist sehr schön und sehr alt, er wurde von der DDR 1972 aus dem Dornröschenschlaf erweckt, hat sogar eine Cafeterria und zwei Seen, davon einen Badesee und das Mies-van-der-Rohe-Haus am Ufer. Aber wie gesagt, man muss hinlaufen, wenn man keine Fahrgelegenheit hat. Der Park um die Ecke, wie ich es bei meiner anderen Wohnung gewohnt war - Fehlanzeige. Die Höfe der Wohnblöcke sind parkähnlich angelegt, vermutlich als Ersatz, aber kaum genutzt. Im Grunde kann Berlin genauso stöhnen wie Wien.

Aber zum Gedicht: Es ist gut aufgebaut, alles sehr logisch, in der Form ein Shakespeare-Sonett. Das einzige, was ich beklage, ist, dass du nicht immer das Metrum des Jambus eingehalten hast. Es aber einzuhalten und trotzdem zu sagen, was man zu sagen hat, das ist die Kunst. Stilistisch nähert sich das Gedicht der Alltagssprache an, was bei diesem Thema angebracht ist. Im letzten Vers muss es heißen ... die dieses Haus erdrückt (du bist doch kein Mann). Die Formulierung aber will mir nicht so recht gefallen, denn jetzt bei der Richtigstellung erdrückt die Frau das Haus (die = Subjekt, das Haus = Objekt). So etwas ist immer ein bisschen heikel beim Relativsatz.

Liebe Grüße, Hanna
 

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Mitglied
Liebe Hanna!

Danke für die ausführliche Befassung mit meinem Gedicht und für deine Gedanken dazu. Die Mietpreis-Misere wäre nicht nur ein eigenes Gedicht, sondern ein lautes Klage- und Empörungslied wert. Das ist hier nicht anders. Aber das war ja nicht Thema meines Gedichts und hätte den Rahmen gesprengt.

Ich hatte das übrigens gar nicht bewusst als Sonett geschrieben...der Rhythmus hat sich eher automatisch ergeben aus dem, was ich sagen wollte und wie. Daher habe ich natürlich auch gar nicht auf einheitlich durchgehaltene Metrik geachtet (und es ja auch nicht als Sonett bezeichnet eingestellt). Ich mag es prinzipiell lieber, wenn Gedichte nicht ganz so streng in der Form durchgehalten werden....zu oft wird dadurch der Singsang, der durch das Metrum erzeugt wird, zu dominant für mein Gefühl und lässt über Stellen hinweg"rasen" beim Lesen, wo ein Innehalten viel passender wäre.

Ich meinte "ich bin's - der Mensch - ,den dieses Haus erdrückt".

Danke jedenfalls fürs Reinlesen, den feinen Kommentar und die Sternchen.
Ich wünsch dir ein schönes Wochenende!

Claudia
 



 
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