"Wohnzimmertomaten"

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HajoBe

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Die gelb-rote, staubige Jalousie warf Schatten auf das vergilbte Schild "Mediterane Lebensmittel". Das zweite "r" in der Schrift über dem kleinen "Türkenladen" - wie man ihn nannte - fehlte seit jeher. Den Eingang verhüllte ein Vorhang aus Plastikperlen, die im Windzug ständig leicht klirrten. Der Gehsteig war zugestellt mit Obst- und Gemüsekisten auf wackeligen Holzgestellen, von Fliegen umschwärmt. Dazwischen Yussuf. Er saß wie immer auf seinem Schemel, hemdsärmelig, die Wollmütze auf dem grauen Kraushaar, im sonnengebräunten furchigen Gesicht ein erstarrtes Lächeln, Ausdruck freundlicher Servilität und spitzbübischen Geschäftssinns. Und wie immer kaute er auf dem Zahnstocher, der seine Position von einem in den anderen Mundwinkel in regelmäßigen Abständen wechselte. Durch seine Finger mit den schwarzgeränderten Nägeln glitten die Perlen der Gebetskette einem gedankenverlorenen Automatismus gehorchend.
Yussuf war vor Jahren aus Anatolien als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und avanzierte schließlich zum stolzen Ladenbesitzer. Seine Frau, mit der er sich die Arbeit teilte, bekam man nur selten zu Gesicht, zumal ihre deutschen Sprachkenntnisse unzureichend für den Verkaufsbetrieb waren. Und da Yussuf der Überzeugung war, dass Geschäfte Männersache seien, erledigte sich die Angelegenheit von selbst.

Wir kannten uns schon länger und da ich wusste, dass die Preisgestaltung seiner Waren einem ständigen Wechsel unterlagen - ähnlich den Benzinpreisen -, lohnte es sich öfter mal vorbeizuschauen. Außerdem gab es immer etwas im "Angebot". Das hatte er sich von Supermärkten abgeschaut und in sein Geschäftsgebaren integriert.
Heute bot er mir - nach einer freundlichen Begrüßung - seine "Wohnzimmertomaten" als besondere Delikatesse an. Auf meinen fragenden Blick gab er mir zu verstehen:
"Die hab ich in Wohnung von Samen gezüchtet...sind gut. In Wohnzimmer immer warm..."
Ich versuchte mir vorzustellen, wie eine Staudenplantage in einer Wohnung gedeiht. Andererseits kannte ich Yussuf genug, um zu wissen, dass nicht alles, was er seinen Kunden zum Besten gab, vor der Wahrheit Bestand hatte. Aber allein der Charme, mit dem er mich mit hintergründiger Verschmitztheit zu überzeugen versuchte, verdiente es ihm zu glauben.
Als er mein Interesse bemerkte, schlurfte er zu einer der Kisten, brachte eine rotgrüne, große und stark zerklüftete Tomate, zerteilte sie mit dem Messer aus seinem Gürtel und bot mir ein saftiges Stück zum Kosten an. Zu uns gesellten sich rasch andere Passanten und Yussuf beeilte sich auch ihnen Tomatenstücke zu reichen, wobei diese zunehmend kleiner ausfielen. Schließlich wuchs die Schar der potentiellen Kunden und so entschloss er sich eine weitere Tomate zu opfern, schob sich selbst einen Schnitz hinter die tabakbraunen Zähne und seine genüssliche Mimik war geeignet die Qualität der Früchte noch zu unterstreichen.
Den Leuten schienen die "Wohnzimmertomaten" zu schmecken. Yussuf witterte das große Geschäft.
"Tomaten noch besser mit Oliven und Knoblauch...",versicherte er den Umstehenden und verschwand hinter dem Tresen.
Dort lagerten hinter Glas seine mediterranen Schätze wie eingelegte Oliven und Artischocken, Feta, Salami, Paprika in Öl und vieles andere mehr. Eine verirrte grünschillernde Fliege dazwischen erlegte Yussufs Frau unterdessen mit einem Kochlöffel. Er zerschnitt mehrere Tomaten, legte die Teile auf ein Holzbrett, spießte mit einer Gabel einige der Köstlichkeiten aus den Schalen unter der Glasscheibe auf und gab sie dazu. Die Leute bedienten sich. Yussuf begab sich abermals hinter den Ladentisch, brachte eine Flasche Wein zum Vorschein und ein Wasserglas.
"Hier anatolischer Rotwein, probieren bitte!"
Das Glas machte die Runde und Einige nippten daran.
Das Holzbrett war unterdessen geleert und die Ersten wandten sich dem Ausgang zu mit einem freundlichen Nicken und einem gemurmelten: "Danke!"
Schließlich verließ auch der Letzte den Laden.
Gekauft hat Niemand etwas!

Yussuf ließ sich Nichts anmerken. Mit orientalischer Gleichgültigkeit räumte er Holzbrett und Messer weg.
"Packst du mir ein Kilo ein?", fragte ich ihn.
Er reichte mir die Tüte, ich bezahlte und er gab mir wie zum Dank die Hand.
Die Anderen waren unterdessen im gegenüberliegenden Supermarkt verschwunden.

Im Weggehen schaute ich mich noch einmal um. Yussuf saß wieder auf seinem Schemel, die Perlenkette zwischen den Fingern und grüßte freundlich lächelnd die Vorübergehenden.
"Schau mal, gute Wohnzimmertomaten....!"
Da beneidete ich ihn um seine weise Gelassenheit.
 

HajoBe

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Die gelb-rote, staubige Jalousie wirft Schatten auf das vergilbte Schild "Mediterane Lebensmittel". Das zweite "r" in der Schrift über dem kleinen "Türkenladen" - wie man ihn nennt - fehlt seit jeher. Den Eingang verhüllt ein Vorhang aus Plastikperlen, die im Windzug leicht klirren. Der Gehsteig ist zugestellt mit Obst- und Gemüsekisten auf wackeligen Holzgestellen, von Fliegen umschwärmt. Dazwischen Yussuf. Er sitzt wie immer auf seinem Schemel, hemdsärmelig, die Wollmütze auf dem grauen Kraushaar, im sonnengebräunten furchigen Gesicht ein erstarrtes Lächeln, Ausdruck freundlicher Servilität und spitzbübischen Geschäftssinns. Und wie immer kaut er auf dem Zahnstocher, der seine Position von einem in den anderen Mundwinkel in regelmäßigen Abständen wechselt. Durch seine Finger mit den schwarzgeränderten Nägeln gleiten die Perlen der Gebetskette einem gedankenverlorenen Automatismus gehorchend.
Yussuf ist vor Jahren aus Anatolien als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und avanzierte schließlich zum stolzen Ladenbesitzer. Seine Frau, mit der er sich die Arbeit teilt, bekommt man nur selten zu Gesicht, zumal ihre deutschen Sprachkenntnisse unzureichend für den Verkaufsbetrieb sind. Und da Yussuf der Überzeugung ist, dass Geschäfte Männersache seien, erledigt sich die Angelegenheit von selbst.

Wir kennen uns schon länger und da ich weiß, dass die Preisgestaltung seiner Waren einem ständigen Wechsel unterliegen - ähnlich den Benzinpreisen -, lohnt es sich öfter mal vorbeizuschauen. Außerdem gibt es immer etwas im "Angebot". Das hat er sich von Supermärkten abgeschaut und in sein Geschäftsgebaren integriert.
Heute bietet er mir - nach einer freundlichen Begrüßung - seine "Wohnzimmertomaten" als besondere Delikatesse an. Auf meinen fragenden Blick gibt er mir zu verstehen:
"Die hab ich in Wohnung von Samen gezüchtet...sind gut. In Wohnzimmer immer warm..."
Ich versuche mir vorzustellen, wie eine Staudenplantage in einer Wohnung gedeiht. Andererseits kenne ich Yussuf genug, um zu wissen, dass nicht alles, was er seinen Kunden zum Besten gibt, vor der Wahrheit Bestand hat. Aber allein der Charme, mit dem er mich mit hintergründiger Verschmitztheit zu überzeugen versucht, verdient es ihm zu glauben.
Als er mein Interesse bemerkt, schlurft er zu einer der Kisten, bringt eine rotgrüne, große und stark zerklüftete Tomate, zerteilt sie mit dem Messer aus seinem Gürtel und bietet mir ein saftiges Stück zum Kosten an. Zu uns gesellen sich rasch andere Passanten und Yussuf beeilt sich auch ihnen Tomatenstücke zu reichen, wobei diese zunehmend kleiner ausfallen. Schließlich wächst die Schar der potentiellen Kunden und so entschließt er sich eine weitere Tomate zu opfern, schiebt sich selbst einen Schnitz hinter die tabakbraunen Zähne und seine genüssliche Mimik ist geeignet die Qualität der Früchte noch zu unterstreichen.
Den Leuten scheinen die "Wohnzimmertomaten" zu schmecken. Yussuf wittert das große Geschäft.
"Tomaten noch besser mit Oliven und Knoblauch...",versichert er den Umstehenden und verschwindet hinter dem Tresen.
Dort lagern hinter Glas seine mediterranen Schätze wie eingelegte Oliven und Artischocken, Feta, Salami, Paprika in Öl und vieles andere mehr. Eine verirrte grünschillernde Fliege dazwischen erlegt Yussufs Frau unterdessen mit einem Kochlöffel. Er zerschneidet mehrere Tomaten, legt die Teile auf ein Holzbrett, spießt mit einer Gabel einige der Köstlichkeiten aus den Schalen unter der Glasscheibe auf und gibt sie dazu. Die Leute bedienen sich. Yussuf begibt sich abermals hinter den Ladentisch, bringt eine Flasche Wein zum Vorschein und ein Wasserglas.
"Hier anatolischer Rotwein, probieren bitte!"
Das Glas macht die Runde und Einige nippen daran.
Das Holzbrett ist unterdessen geleert und die Ersten wenden sich dem Ausgang zu mit einem freundlichen Nicken und einem gemurmelten: "Danke!"
Schließlich verlässt auch der Letzte den Laden.
Gekauft hat Niemand etwas!

Yussuf lässt sich Nichts anmerken. Mit orientalischer Gleichgültigkeit räumt er Holzbrett und Messer weg.
"Packst du mir ein Kilo ein?", frage ich ihn.
Er reicht mir die Tüte, ich bezahle und er gibt mir wie zum Dank die Hand.
Die Anderen sind unterdessen im gegenüberliegenden Supermarkt verschwunden.

Im Weggehen schaue ich mich noch einmal um. Yussuf sitzt wieder auf seinem Schemel, die Perlenkette zwischen den Fingern und grüßt freundlich lächelnd die Vorübergehenden.
"Schau mal, gute Wohnzimmertomaten....!"
Da beneide ich ihn um seine weise Gelassenheit.
 



 
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