ENachtigall
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Wolkenkratzer
Er hatte sich oft sagen lassen müssen, zu gut für diese Welt zu sein. Vor allem dann, wenn die Folgen einer gut gemeinten Tat sich als schmerzhaft für ihn erwiesen, bekam er von seinen Anteilnehmern diesen Spruch zu hören, der eigentlich meint: wie kann man nur so dumm sein. So gewöhnte er sich mit der Zeit eine leicht abgewandelte Form der Maxime zu seinen fragwürdigen Wohltätigkeiten an – denn nichts ist bekanntlich schwerer loszuwerden, als die Anhänglichkeit einer Gewohnheit. Wie ein Mantra rezitierte er nun den Gedanken, der tatsächlich kraft autoritärer Dominanz positiv in sein Leben zu wirken vermochte: Ich mache die Welt so gut wie möglich.
Da ihm diese Lebensweisheit bescherte, auf politisch korrekte Weise mit einer höchst möglichen Ausschüttung körpereigener Endorphine zu leben, ging es ihm eigentlich sogar ganz gut. Jedenfalls bis zu dem Tag, da ihn die Schimäre heimsuchte.
Mit der Frische eines sprudelnden Quells entsprang sie den dunkleren Tiefen seiner Fantasie; unwillkürlich war ihm in den Sinn gekommen, dass die Wirklichkeit eines durchschnittlichen mitteleuropäischen Arbeitnehmers im 21. Jahrhunderts den Arbeitsmarkt politischen und Firmen internen Ansprüchen derart hinterherhinke, wie ein gigantisches Mischwesen. Mit dem Kopf und Rumpf einer zahnradbetriebenen Maschine bewegte es sich schwerfällig auf zu Krücken missbrauchten Menschenleibern durch seine Visionen. Seine Freunde und Verwandten waren zunächst ob der expressiven Schärfe seiner Gedankenbilderwelt fasziniert, wurden aber bald der Besessenheit, mit der er davon sprach, überdrüssig.
In der Tat wurde er die bedrohliche Gegenwärtigkeit dieses Ungeheuers nicht wieder los. Nachts wachte er schweißgebadet auf. Er träumte regelmäßig davon, während eines Schwächeanfalls von seinen Leidensgenossen zertreten zu werden. Prompt verschlief er anderntags. Bald wurde er abgemahnt. Seine Arme und Schultern litten zunehmend an einem chronischen Reißen. Die Geste unvermittelt empor geworfener Arme wurde typisch für ihn. Seine Füße vollführten ständig Trippelschritte, was ihm bei den Kollegen schnell den Spitznamen "Sextanerblase" einhandelte. Als Sonderling hatte er ohnehin schon gegolten, aber nun wandte man sich vollends von ihm ab.
Er kündigte seine Wohnung und zog zur Untermiete in ein Haus gegenüber der Firma, um unnötiges Vergeuden von Zeit für An- und Abfahrten zu sparen. Seine Kleidung und Hygiene vernachlässigte er, wie jegliche seiner früheren Kontakte. Der Flur war gesäumt von zig Paaren diverser Schuhe. Zunächst hatte er die sportlichen Laufschuhe vorgezogen. Dann die Klassiker Lloyds, Doc Martins und Timberlands. Birkenstocks waren ihm zu klischeebehaftet; da war ein Rest von Auflehnung im Format eines Anti-Öko-Rebellen in einer geheimen Ecke seiner Urinstinkte erhalten geblieben.
Eines Tages beobachtete er im Spiegel der reflektierenden Fensterscheibe während des Begießens der Kakteen – diesen Luxus von Zeitverschwenden erlaubte er sich noch - seinen Arbeitskollegen, wie dieser heimlich einen Stapel unbearbeiteter Akten auf die gegnerische Seite des Schreibtisches verschob. Tags darauf, als er in Fußballschuhen zum Dienst erschien und dem Kollegen die Stollen unter dem gemeinsamen Schreibtisch in die untrainierten Waden rammte, erhob sich das Monster für einen Moment und kreiste über dem Institut für Arbeit, wo es ihn wie einen Parasiten abschüttelte.
Seither sieht man ihn bei schönem Wetter oft am künstlich angelegten Naherholungssee sitzen und mit den ferngesteuerten Booten und Hubschraubern sprechen; nachts aber läuft er mit erhobenen Händen durch die ruhigeren Straßen und rezitiert sein Motto. Ich mache die Welt so gut wie möglich.
Sie nennen ihn jetzt den Wolkenkratzer.
© elkENachtigall
Er hatte sich oft sagen lassen müssen, zu gut für diese Welt zu sein. Vor allem dann, wenn die Folgen einer gut gemeinten Tat sich als schmerzhaft für ihn erwiesen, bekam er von seinen Anteilnehmern diesen Spruch zu hören, der eigentlich meint: wie kann man nur so dumm sein. So gewöhnte er sich mit der Zeit eine leicht abgewandelte Form der Maxime zu seinen fragwürdigen Wohltätigkeiten an – denn nichts ist bekanntlich schwerer loszuwerden, als die Anhänglichkeit einer Gewohnheit. Wie ein Mantra rezitierte er nun den Gedanken, der tatsächlich kraft autoritärer Dominanz positiv in sein Leben zu wirken vermochte: Ich mache die Welt so gut wie möglich.
Da ihm diese Lebensweisheit bescherte, auf politisch korrekte Weise mit einer höchst möglichen Ausschüttung körpereigener Endorphine zu leben, ging es ihm eigentlich sogar ganz gut. Jedenfalls bis zu dem Tag, da ihn die Schimäre heimsuchte.
Mit der Frische eines sprudelnden Quells entsprang sie den dunkleren Tiefen seiner Fantasie; unwillkürlich war ihm in den Sinn gekommen, dass die Wirklichkeit eines durchschnittlichen mitteleuropäischen Arbeitnehmers im 21. Jahrhunderts den Arbeitsmarkt politischen und Firmen internen Ansprüchen derart hinterherhinke, wie ein gigantisches Mischwesen. Mit dem Kopf und Rumpf einer zahnradbetriebenen Maschine bewegte es sich schwerfällig auf zu Krücken missbrauchten Menschenleibern durch seine Visionen. Seine Freunde und Verwandten waren zunächst ob der expressiven Schärfe seiner Gedankenbilderwelt fasziniert, wurden aber bald der Besessenheit, mit der er davon sprach, überdrüssig.
In der Tat wurde er die bedrohliche Gegenwärtigkeit dieses Ungeheuers nicht wieder los. Nachts wachte er schweißgebadet auf. Er träumte regelmäßig davon, während eines Schwächeanfalls von seinen Leidensgenossen zertreten zu werden. Prompt verschlief er anderntags. Bald wurde er abgemahnt. Seine Arme und Schultern litten zunehmend an einem chronischen Reißen. Die Geste unvermittelt empor geworfener Arme wurde typisch für ihn. Seine Füße vollführten ständig Trippelschritte, was ihm bei den Kollegen schnell den Spitznamen "Sextanerblase" einhandelte. Als Sonderling hatte er ohnehin schon gegolten, aber nun wandte man sich vollends von ihm ab.
Er kündigte seine Wohnung und zog zur Untermiete in ein Haus gegenüber der Firma, um unnötiges Vergeuden von Zeit für An- und Abfahrten zu sparen. Seine Kleidung und Hygiene vernachlässigte er, wie jegliche seiner früheren Kontakte. Der Flur war gesäumt von zig Paaren diverser Schuhe. Zunächst hatte er die sportlichen Laufschuhe vorgezogen. Dann die Klassiker Lloyds, Doc Martins und Timberlands. Birkenstocks waren ihm zu klischeebehaftet; da war ein Rest von Auflehnung im Format eines Anti-Öko-Rebellen in einer geheimen Ecke seiner Urinstinkte erhalten geblieben.
Eines Tages beobachtete er im Spiegel der reflektierenden Fensterscheibe während des Begießens der Kakteen – diesen Luxus von Zeitverschwenden erlaubte er sich noch - seinen Arbeitskollegen, wie dieser heimlich einen Stapel unbearbeiteter Akten auf die gegnerische Seite des Schreibtisches verschob. Tags darauf, als er in Fußballschuhen zum Dienst erschien und dem Kollegen die Stollen unter dem gemeinsamen Schreibtisch in die untrainierten Waden rammte, erhob sich das Monster für einen Moment und kreiste über dem Institut für Arbeit, wo es ihn wie einen Parasiten abschüttelte.
Seither sieht man ihn bei schönem Wetter oft am künstlich angelegten Naherholungssee sitzen und mit den ferngesteuerten Booten und Hubschraubern sprechen; nachts aber läuft er mit erhobenen Händen durch die ruhigeren Straßen und rezitiert sein Motto. Ich mache die Welt so gut wie möglich.
Sie nennen ihn jetzt den Wolkenkratzer.
© elkENachtigall