Wortruhe

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O

orlando

Gast
Liebe Anna,

nach längerer zeitbedingter "Vernachlässigung" möchte ich mich nun wieder zu einem deiner Gedichte melden. ;)
Dieses hier scheint mir besonders gelungen:

wortruhe finde ich
im sitzen
an Gräbern
deren Buchstaben fast
verwittert
Hier gefällt mir die Heraushebung der Buchstabengräber und das fehlende "sind" (apart!). Durch Letzteres entsteht ein gutes Enjambement zur zweiten Versgruppe.
anonym
die gedankenwelten
verblichen
die inschriften
Ein Gedanke zu Stein geworden oder im Stein verblichen, fast vergessen, anonymisiert.

dort ruht das wort
in mir
ruft stumm nach
ahnen
Perfekt: der Ruf nach Ahnen. Gerade weil ich natürlich sofort glaubte, dass hier etwas nicht stimme (Ahn[blue]ung[/blue] muss das heißen - oder etwa nicht?) Eben nicht!
Die Sehnsucht nach Ahnen in ihrer ganzen schönen Dopeldeutigkeit (dem Ahnen und den Wortvorläufern / Wortahnen).

Fein durchdacht und formal gut durchgestaltet.

Herzliche Grüße
orlando
 

namibia

Mitglied
Liebe Orlando ,

Vielen Dank ! Auch das verblichen war durchaus doppeldeutig gemeint. Ja oft verschwinden essentielle Familiengeheimnisse in den Gräbern und uns bleibt nur das Ahnen der Ahnen....

es ist schön, dass ich das vermitteln konnte..

Alles Liebe

Anna
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo namibia,

ich möchte mich gerne orlandos ausführungen anschliessen.
ein gedicht mit wohlgesetzten "wortbrüchen", mit einer gewissen unschärfe dem lesenden gegenüber, um genau in diesem raum seine eigenen "texturen" zu legen.

kleine wermutstropfen, aber das ist jammern auf hohem niveau (meinerseits)

erste strophe zweite zeile
"im sitzen"

halte ich für überflüssig. ich denke es geht nicht um die art der körperlichen anwesenheit gegenüber dem anonymen. würde ich streichen.

und ein letztes:

"...deren Buchstaben fast..."

deren ersetzte ich hier durch die.
warum?
nach meinem empfinden korrespondierte dies besser mit:

die gedankenwelten
die inschriften

aber das ist vielleicht nur geschmackssache.

lg
ralf
 

namibia

Mitglied
wortruhe finde ich
an Gräbern
die Buchstaben fast
verwittert

anonym
die gedankenwelten
verblichen
die inschriften

dort ruht das wort
in mir
ruft stumm nach
ahnen
 

namibia

Mitglied
Lieber Ralf,

vielen Dank für deine Rückmeldung. Kommentare wie diese helfen mir in der Tat sehr weiter, ich habe das Gedicht daraufhin noch einmal gelesen und verändert.

Es ist der Dialog über die Worte, der mich weiterbringt - das bemerke ich immer wieder ..

Liebe Grüße

Anna
 
Hallo Namibia,
kann mich nur Ralf und Orlando anschließen.
Wortgrab ist eine gelungene Metapher für gewisse gelegentliche Sprachlosigkeiten, die es nicht zulassen wollen, Vergangenes auszudrücken...
Zum Glück hast Du ein paar (wesentliche) Worte auferstehen lassen.
Gruß
Karl
 

namibia

Mitglied
Hallo Karl,

danke.. Wortgrab - das Wort kannte ich noch nicht, ich kenne nur Groschengrab und Groschengräber gibt es derzeit genug um uns herum, nicht wahr ?

Herzliche Grüße

Anna
 
Hallo Anna,
dein Gedicht, das ich nun schon mehrfach gelesen habe, hat mich schwer beeindruckt. Einmal, weil du eine Synthese zwischen der Sprachlosigkeit an sich und der Emotionalität, die uns an bestimmten Stätten befällt, gefunden hast, die beispielhaft ist. Und dann, weil du die gefühlvollen Angebote der Mitautoren sinnvoll eingebaut hast, zu deinem Vorteil (bzw. dem deines Gedichtes) und als Anerkennung dafür, dass sich jemand so intensiv und fördernd mit dir und deinem Werk beschäftigt hat.
Mich hat es zudem an eine Begebenheit erinnert, die fast dreißig Jahre zurückliegt. Damals wurde ich zwischen der Oder und Mecklenburg auf einen jüdischen Friedhof, besser eine recht ungepflegte Wiese an einer Landstraße aufmerksam gemacht, die ich mir dann ansah. Ein Teil der Grabsteine stand noch, ein anderer Teil war umgefallen oder umgestoßen, die Zeichen waren zum großen Teil noch erkennbar bzw. zu erahnen. Was mir damals genau alles durch den Kopf ging, weiß ich natürlich nicht mehr. Nur dass dieser Ort die Jahre von 1933 bis 1945 überdauert hatte, mit Sicherheit. Und dass sich zu der Zeit niemand darum kümmerte, wohl auch. Auf alle Fälle hat sich die Erinnerung wortlos, namenlos und auch ohne Kenntnis von Zahlen erhalten, weil es etwas Einzigartiges war. Einzigartig an diesem Ort und in der Zeit. Vielleicht wie dein Gedicht.
Gruß
PS.
 

MIO

Mitglied
Mir gefällt das Gedicht auch, besonders wegen seiner
Ausdruckskraft. Mit jedem Tod stirbt eine ganze
Bibliothek, hab ich mal gelesen und es bleibt
nur eine Ahnung.
LG MIO
 

namibia

Mitglied
Wow, Mio, das ist aber ein schöner Ausdruck für das Sterben .. Es stirbt eine ganze Bibliothek und bleibt nur eine Ahnung ..

Das trifft es ..

Ich danke dir dafür !

Einen sonnigen Sonntag für dich..

Anna amalia
 

anbas

Mitglied
Hi Anna,
Glückwunsch, dieses Gedicht ist in "Das Beste" gekommen. Zurecht, finde ich!
Liebe Grüße
Andreas
 

namibia

Mitglied
Ups, Andreas, das wusste ich gar nicht .. wo steht das denn?

und danke für deine Glückwünsche.. Ich freue mich und dieses Gedicht liegt mir auch besonders am Herzen ..

alles Liebe

Anna amalia
 

Episkopi

Mitglied
Hallo, das gefällt mir gut,
mir geht es so ähnlich vor Grabsteinen, ich kkann mich da wiederfinden,
und dabei bist du sehr sparsam mit den Worten,
du brauchst nicht viele um die Stimmung zu treffen.....LG
 

anbas

Mitglied
wo steht das denn?
Oben links in der Forenübersicht gibt es zum einen die Rubrik "Das Beste". Um dort hineinzukommen sind die Bewertungen ausschlaggebend (Im Gegensatz zu der Rubrik "Die LL empfiehlt" - hier können die Redakteure Werke einstellen, die ihnen besonders gut gefallen).

Eine gesonderte Benachrichtugung gibt es i.d.R. nicht (manche Redakteure teilen mit, wenn sie ein Werk in ihre Empfehlungsliste aufgenommen haben). Es lohnt sich also, dort hin und wieder vorbeizuschauen.

Liebe Grüße

Andreas
 

namibia

Mitglied
Lieber Episkopi,

vielen dank für deine Empfindungen. In der Stille der Friedhöfe formen sich die Worte oft stumm und sind doch ewig dort ..

Lieber Anbas,

vielen Dank , ich habs gefunden und habe dort noch nie reingesehen ....Ab jetzt werde ich gucken ..

Einen schönen Tag für euch alle..

eure Anna amalia
 



 
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