wunder

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mondnein

Mitglied
wunder


in alten mären wunders viel
in hyperbolen comic strips
science fiction überhaupt im film
zackt gern ein zauberhafter blitz

zerrissner widersinnigkeit
durch die erzählung durch das lied
quer durch vernunft und sinn hindurch
so dass man den verstand verliert

die fäden nicht zusammenführt
zusammenhänge nicht mehr sieht
kurz schläft und stirbt den kleinen tod
sekundenschlaf erklärungsnot

in alten mären wunders viel
in filmen und in comic strips
da lächelt wahnsinn blendend weisz
und bleckt sein sein sein scheingebiss

 
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Ubertas

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Lieber Hansz,

ich finde dein Gedicht sehr aufschlussreich und habe mir jetzt erlaubt, meine Lieblingsstrophe zu zitieren:

die fäden nicht zusammenführt
zusammenhänge nicht mehr sieht
kurz schläft und stirbt den kleinen tod
sekundenschlaf erklärungsnot
Meinem Gefühl nach, in meiner Interpretation unterscheiden sich die letzten zwei Verszeilen sehr gekonnt zwischen dem 'wunder' im Titel, ob mit oder ohne Ausrufezeichen, als Nomen oder als Komparativ zu wund gemeint, vom sich wundern oder vielleicht auch vom sich selbst verwunden mit den von dir gewählten Worten:

da lächelt wahnsinn blendend weisz
und bleckt sein sein sein scheingebiss
Ja. Und da wären noch die Wunder, an deren Existenz niemand zweifelt, wenn sie 'fürwahr sind'

Lieben Gruß ubertas
 

mondnein

Mitglied
dankeschön, Ubertas!

die Anfangszeile ist Stichwortgeber für den (später hinzugesetzten) Titel, es sind wohl primär substantivische Wunder gemeint in dem hier zitierten berühmten ersten Vers des Nibelungenliedes:
uns ist in alten mären wunders vil geseit
das klingt eigentlich viel zu groß, denn einen Sprung zwischen zwei Gedankengängen mit der ihnen innewohnenden Logik von Erwartung, Anknüpfung an vorherige Information und ein weiterschreitendes "aber" usw., also einen Sprung vom einen Gedankengang in einen anderen, der mit dem vorherigen nichts "Logisches" zu tun hat, machen wir ständig, natürlich ohne es zu merken. Das ist so alltäglich wie der Wechsel von einer körperlichen Bewegung zu einer anderen, wo die erste der beiden eine Absicht oder einen Willen ausführt, z.B. Zähneputzen, Ausspülen, Gesichtabtrocknen, und danach in einer zweiten "Absicht" mal auf den Balkon heraustreten, ein paar Melden aus dem Beet zu zupfen oder (in einer dritten Tätigkeitsregung) auf einen Ruf innerhalb der Wohnung zu reagieren. Diese kleinen Bewegungskomplexe, teils bewußt, teils fast automatisch, sind voneinander getrennt durch ein unbewußtes Hinüberspringen vom einen Tun zum anderen, und von einem Bewußtseinsakt zu einem anderen.

Die Frage bzw. selbstgestellte Untersuchungsaufgabe war: ob
"the crux of the biscuit is the apostrophe" (Frank Zappa)
auch für die Pointen, Überraschungen, gegen die Erwartung gebürsteten Antworten und scherzhaften Klappse der kleinen und größeren Erzählungsstoffe der "springende Punkt" ist.
Ich weiß es nicht, ich muß über diese gedankenlose "Zwischen"-Substanz noch ein wenig nachdenken.

grusz, hansz
 
Zuletzt bearbeitet:
Gefällt mir sehr gut! Die Musikalität. Das lyrisch-mythische das mitzieht durch die Jahrhunderte! Sehr stark die letzte Zeile, Hans !

mes compliments

dio
 

mondnein

Mitglied
Das lyrisch-mythische das mitzieht durch die Jahrhunderte
ja, der Nibelungenlied-Vers, und dann noch auf Mittelhochdeutsch, ist schon ein archaisches Zitatstück, dann folgen aber mit Comic strips, Science fiction und Film drei Beispiele, bei denen der "Pep" in die plakativ-sinnliche Oberfläche der ästhetischen Empfindung heftig hinaufspielt. Es könnte bei diesen Beispielen gerade darum gehen: Worin besteht der Reiz des popartig Billigen und Frechen, der frappierende Wert des betont Wertlosen?

Zwischen den "mären wunders vil" und dem Jeremias-Spruch des Killers in "Pulp Fiction", um mal ein allbekanntes Beispiel für paradox-pathetischen Hochkultur-"Schund" (eben das heißt ja "pulp fiction") zu nennen, spannt sich der Bogen all der frappierenden Clous, Pointen und Überraschungen, deretwegen wir überhaupt Literatur und Kunst genießen.

Ohne gegen den Strich gebürstete Haarsterne wäre es langweilig.

grusz, hansz
 



 
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