Wut

masterplan

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Ich wandle mit blutverschmierten Fäusten aus dem Gebäude, auf den Fußgängerweg und bewege mich Richtung Stadtzentrum. Die Menschen, die mir dabei entgegenkommen, weichen erschrocken zur Seite als sie bemerken, dass ich nur geistesabwesend auf das Blut starre, das mir von den geballten Fäusten tropft. Doch es ist nicht mein Blut. Noch immer hämmert mein Puls stark von den Ereignissen, vor wenigen Momenten.

Ich habe meine drei Arbeitgeber ohne Gnade verprügelt. Habe sie allein vor lauter Wut zusammengeschlagen. Sie konnten sich meinem Zorn nicht entziehen. Ich war zu schnell und zu brutal, als dass auch nur einer von ihnen hätte irgendwie reagieren können. Mit den Metallstühlen im Konferenzzimmer und mit meinen Händen habe ich sie traktiert, bis sie alle drei stöhnend und hilflos auf dem dunklen Teppich lagen.
Zuvor hatten sie mich noch in den Raum gebeten, um "die ein oder andere Sache zu besprechen". Trotz vier Jahre Treue, Respekt und Zuverlässigkeit, hatten sie in meiner Vergangenheit gegraben und dort einen schwarzen Punkt entdeckt. Etwas Einfaches, Legitimes. Etwas, dass zu dieser Zeit jeder machte. Ich benutzte illegale asiatische Eletrobauteil- Importe um bei meiner Ausbildung zum Nanocomputertechniker schnellere Fortschritte zu machen. Es war das Doping des persönlichen Bildungscomputers. Er arbeitete mit diesen kleinen Zusätzen schneller, länger und vor allem einfacher. Weil die Regierung nicht genügend güstige Bauteile für ihre staatlichen Nachwuchsausbildungen besorgen konnte, wurden diese einfach Staatsweit verboten und durften nur noch von militärischen Einrichtungen verwendet werden. Das war nun zehn Jahre her und inzwischen sind diese Bauteile in etwas eingeschränkter Form in jeder verbreiteten Computerkonsole aufzufinden.
Das warfen mir die drei Herren aus der obersten Etage nun vor. Beschimpften mich und drohten mir mit Kündigung. Nach über vier Jahren Loyalität und nicht einem Wort über die miserablen Arbeitszustände in der Firma. Meinen unbezahlten Überstunden, meinen Krankheiten wegen des Elektrosmogs, meine Arbeit mit minderwertigen Arbeitsmitteln. Die Werksabteilung rannte dagegen wegen jeder Fliege in ihrer Arbeitshalle in das Chefzimmer, oder zu ihrer Gewerkschaft.
Als man mich schließlich als "Schande für die Arbeitsmoral" bezeichnete und meinen Urlaub kürzen wollte, waren Maasen, Jones und Iovanowski einen Schritt zu weit gegangen und ihr Schicksal und meine Wut nahmen ihren Lauf.

Sicher haben sie bereits die Polizei verständigt, mich aufzufinden. Meine Tage sind gezählt. Nie mehr werde ich jemals wieder einen ordentlich bezahlten, anspruchsvollen und angesehenen Beruf bekommen. Wahrscheinlich würde ich Schmuggler von Elektronikteilen werden. Aber um dies zu verhindern, wird mich die Polizei für viele Jahre einsperren, wenn sie mich erwischt. Meine Tat ist in diesem System nicht zu verantworten. Ich bin jetzt schon offiziell die Narbe in dem Gesicht der ordentlichen Gesellschaft. Ich bin der Abschaum, weil meine Wut meinen Stolz verteidigt hat.
Ich entschließe mich selbst, direkt zur Polizeiwache zu gehen, ehe sie die Miliz auflaufen lassen um mich auf offener Straße gleich als "Flüchtling" hinzurichten, wie sie es mit Jimmy Rogers vor ein paar Monaten, im Mai gemacht hatten.
Jimmy war ein einfacher Arbeiter in einer Chemiefabrik, der aus Versehen an einer Tankstelle, nach dem Stromtanken seines Fahrzeugs, vergessen hatte den Vorgang mit seiner Karte zu bezahlen. Er war spät aus dem Haus gekommen, weil seine kleine Tochter gesundheitliche Probleme hatte und sie versorgen musste, ehe er zur Arbeit gehen konnte. Seine Frau war vor einigen Jahren an starken Migräneanfällen, verursacht durch Elektrosmog, verstorben. Um keine Kündigung von seinem Arbeitgeber zu erhalten hatte er es also eilig und vergaß in der Hektik, die Paycard in den Automaten zu schieben.
Weil ihn die Polizei nun tagsüber nicht aufspüren konnte, schaltete man eine Miliztruppe ein, der Jimmy spät Abends auf dem Nachhauseweg begegnete. Als er aus seinem Wagen ausstieg, schossen ihn die Bewaffneten nieder und Jimmy Rogers starb.

Meine blutigen Hände habe ich inzwischen in meiner Hosentasche versteckt um nicht gleich aufzufallen. Im Polizeigebäude melde ich mich ganz ruhig am Informationsschalter. Dort gestehe ich einem Officer mein Verbrechen.
Dieser ruft sofort zwei andere Kollegen herbei und frägt sie: "Ist er das?"
"Ja, er hat sich freiwillig gemeldet", sagt der Größere der beiden, "nicht wahr?"
"Genau."
Dann brummelt der Kleinere noch irgend etwas davon, mich vorerst einmal in eine Zelle im oberen Trakt zu stecken und beide nehmen mich an jeweils einem Arm und schleifen mich in einen Lift.
Als wir den berüchtigten Teil des Gebäudes betreten, schießt mir vor Schrecken das Blut heftig durch die Adern und mein Puls beginnt wieder stärker zu pumpen.
Es ist ein einziges dreckiges, heruntergekommenes Stockwerk aus Zellen. Vielmehr sind es bis unter die Decke gestapelte Käfige in denen einzeln Männer, Frauen, auch schwangere Frauen und schreiende Kinder gesperrt sind. Es herrscht ein entsetzlicher Gestank, zusammengesetzt aus dreckigen Menschen und deren Erbrochenem. Wenn jemand aus den oberen "Zellen" seine Notdurft verrichtet, trifft diese fast immer auch die Zellen darunter.
Der Kleinere der beiden Polizisten sagt dann plötzlich zu so einem Fall scherzhaft: "Da ist er wohl nicht rechtzeitig auf die Toilette gekommen, haha."
Ich spüre wie sie wieder in mir aufkocht. Wie sie mein Rückenmarkt entlang in die tiefste, dunkelste Stelle meines Gehirn hinaufkriecht. Wie sie alles ausschaltet. Wie sie alles zuerst schwarz und dann blutrot werden lässt. Meine Wut bestimmt jetzt. Und sie schreit.
Ich ziehe blitzschnell eine Schußwaffe aus dem Halfter des eben noch so zynischen Polizisten, halte sie an den Hals des anderen und drücke ab. Der sinkt nieder und ich schieße im selben Moment eine Kugel durch die Schulter des Entwaffneten.
Am Ende des Trakts sehe ich ein Licht. Ich schleife den angeschossenen Polizisten durch diesen Gang unter tosendem Beifall der armen gefangenen Seelen in ihren kleinen Käfigen. Ich trete schließlich in das Licht, durchschreite es, steige eine kleine Treppe hinauf und befinde mich schließlich mit einer Kanone in der einen und einem blutenden Polizisten in der anderen Hand auf dem Dach des Polizeigebäudes. Mit einem weiteren Schuß aus der Waffe strecke ich eine überraschte Wache, links von der Treppe, nieder.
Ich zerre den Verwundeten mit mir an das Ende des Daches und sehe das tiefe vierzig Meter hohe Gebäude herab. Zuerst werfe ich die Waffe hinunter, dann packe ich mein benommenes Opfer mit beiden Händen und werfe den Gesetzeshüter mit ganzer Kraft von dem Vorsprung. Ich sehe nicht bei seinem Flug zu und wende mich ab, doch schreiende Fußgänger verraten mir, dass er aufgekommen sein muß.
Nun habe ich auch für mich eine geeignete Stelle gefunden und renne dieser so schnell wie möglich entgegen um einen weiten, weiten Sprung zu schaffen. Meinen letzten Sprung. Die Stelle ist am anderen Ende des Daches und ich werde immer schneller. Wenige Meter vor dem Ende türmt sich vor mir ein dunkler Milizhubschrauber auf, der seine schweren Waffen gegen mich gerichtet hat.
Jetzt wir mir bewußt, dass ich sterben werde, egal ob mich der Helikopter mit seinem Maschinengewehr erwischt oder nicht. Denn ich werde fallen, tief fallen. Und wenn ich nicht springe, dann wird mich die Feuerkraft der Miliz niederstrecken.
Ich werde immer schneller und ich werde tot sein.
Doch ich kann mich dennoch mit diesem Schicksal anfreunden, denn ich weiß, irgendwann werden sie alle diese Wut spüren. Gegen das System, gegen sich selbst und gegen die Welt.
Darum lebt sie in uns. Um Dinge zu ändern... und um sie zu beenden.
Ich springe und die Waffen feuern.
 

Arathas

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nicht schlecht

Keine schlechte Geschichte, aber dafür, daß sie eigentlich (meiner Meinung nach) eindeutig dem Cyberpunk-Genre zuzuordnen ist, ist sie nicht düster genug. Es fehlt der endzeitliche Touch, das bißchen drumherum, das einem sagt, daß man in einer tristen, hoffnungslosen Welt ist, in der Werte regieren, die wir bloß aus Filmen kennen...
 

masterplan

Mitglied
Hmm...

...ja, ich schätze da hast du wohl recht. Für eine Cyberpunk- Geschichte fehlt da das endzeitlich- düstere. Wenn ich das von Anfang an gewusst hätte, hätte ich die Story wahrscheinlich auch so aufgebaut, aber eigentlich wollte ich nur mal wieder eine gesellschaftskritische Geschichte mit einem Hauch Sci-Fi schreiben (mit einem Hang zur noch aktuellen Zeit). Ich steh' nicht so auf die eindeutig definierbaren Dinge. Auch die Endzeitstory an der ich gerade schreibe, hat weder den westlichen Weltuntergangscharme noch den östlichen Cyberanime- Stil. Les' doch auch mal "Empfindungslos" von mir. Zu der etwas, wie ich finde, anspruchslosen Actionstory kommt demnächst auch ein zweiter Teil auf die Leselupe.
Danke aber für das Lob. So macht schreiben gleich viel mehr Freude.
 

Arathas

Mitglied
Cyberpunk

>>Ich steh' nicht so auf die eindeutig definierbaren Dinge

Cyberpunk heißt ja nicht, daß es eindeutig definierbar sein muß. Mir persönlich gefällt es halt einfach, wenn die Stimmung düster und bedrohlicher ist. Wodurch du das erreichst, bleibt ja einem selbst überlassen. :)


Wenn du aber tatsächlich gerne solche Geschichten schreibst, solltest du mal gucken, ob du dich nicht in unserem Autorenkreis auf

http://www.psychopoetry.de

wohl fühlst. Dort schreiben die meisten Cyberpunk, und bis auf ein paar Geschichten, die echt besch... sind, kann man die meisten sehr gut lesen bzw. sind wirkliche Glanzleistungen dabei.
Wenn's dir auf der Site gefällt, schick deine Geschichten plus Autorenprofil einfach an Trashy (Webmasterin) und beim nächsten Update bist du drin. :)
 

Charima

Mitglied
Deine Story hat Speed, und sie hat Biß! Egal, was die anderen meinen: Ich finde den Text echt gelungen! Denn es war für mich wie bei einer Sucht: Ich konnte einfach nicht aufhören zu lesen!

Weiter so,

Charima
 

masterplan

Mitglied
Danke, immer wieder danke

@Charima:
Vielen Dank für die nette Kritik an meiner Geschichte. Eigentlich versuche ich meine Storys auch immer so zu schreiben, dass sie mir selbst Spaß machen. Super dass sie dann auch jemand anderem Freude am lesen bringen. Danke!

@Arathas:
Danke für den Tip mit der Psychopoetryseite; werd ich wohl mal ausprobieren.
Mal was Anderes... Wird eigentlich noch was aus diesem Fantasysammelbuch, für dass du Geschichten von Autoren gesucht hast? Etwa die Hälfte meiner Story ist schon fertig. Wenn ihr also bis im Frühjahr 2002 das Buch rausbringen wollt, hab ich bis dahin auch noch eine Geschichte.

Gruß an euch beide,

Patrick
 

Daijin

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düstere Stimmung

Ich stimme Arathas zu, bei dem, was er über die Stimmung gesagt hat. Wenn Du die Athmosphäre etwas düsterer zeichnetest und der Situation der Figur etwas mehr Hoffnungslosigkeit verpasstest, wäre die recht extreme Reaktion des Protagonisten für den Leser besser verständlich. Das was Du am Anfang über sein Arbeitsumfeld erzählt hast, klingt für mich fast ein bißchen zu "normal".
Ansonsten gefällt mir die Geschichte recht gut. Auch liest sie sich sehr flüssig, da der Stil sicher und hochwertig ist.
 



 
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