Zauberberg

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hermannknehr

Mitglied
Der Flur liegt halbdunkel im düstren Grau,
die Gaslaternen werfen mattes Licht
auf weiße Stahlgestelle, ungenau
erkennbar, Apparate, die man nicht

benötigt. Türenschlagen und in Wellen
dringt durch die Gänge ein Carbolgeruch,
Emailgeschirr mit abgeschlagnen Stellen,
in zarter Hand ein rotes Taschentuch,

das krampfhaft fest gegen den Mund gepresst
den Hustenreiz zu unterdrücken sucht,
um die Musik von dem bizarren Fest

nur nicht zu stören; irgendjemand flucht,
ein andrer lacht hysterisch, ungehemmt,
wobei ihm Fieber auf den Wangen brennt.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wer Gedichte skandiert, wird hier Probleme haben. Wenn man es aber nicht skandiert, sondern mit natürlichem Rhythmus dem Inhalt gemäß liest, funktioniert es.
 
F

Fettauge

Gast
Hallo Hermann Knehr,

mich würde interessieren, ob du schon mal auf einer TB-Station warst, ansonsten muss ich annehmen, du beutest Thomas Mann aus. Die Szene ein Gang in der Klinik und fern das Fest der Halbtoten, die den Höhepunkt im "Zauberberg" darstellt.

Aber egal, ich sehe mir mal den Text genauer an. Zuerst, was mir gefällt:

Gut gesetzt die beiden Enjambements, wovon eines sogar ein Strophenenjambement ist. Gut auch die Beschreibung der Klinik des wohlhabenden Bürgertums um 1910 herum mit allen Schikanen, den Gaslaternen, den Stahlbettgestellen etc. Hier wäre es vielleicht angebracht gewesen, weniger die Äußerlichkeiten zu beschreiben als vielmehr den inneren Zustand der Patienten - nur mal zur Überlegung, dann hätte das Gedicht an Tiefe gewinnen können.

Was mir nicht so richtig gefällt:

Dass du dem Äußeren des Gedichts die Form des Sonetts gegeben hast, was nun aber nur ziemlich gewollt wirkt. Das Gedicht würde genausogut in durchgehenden STrophen im Kreuzreim funktionieren.

Woran der Text als Sonett krankt, ist der fehlende umarmende Reim in den Quartetten, die übrigens zwei Reime zuviel haben, und die unregelmäßigen Kadenzen.

Im zweiten Terzett haut der Reim ungehemmt - brennt nicht hin. Ich weiß nicht, ob du es darauf anlegst, ein Gedicht zu schreiben, das zwar äußerlich aussieht wie ein Sonett, aber keines ist, ob du hier eine gänzlich ungewohnte Form von Sonett geschöpft hast oder ob du dich mit dem Sonett erst mal beschäftigen müsstest.

Im ersten Terzett haut es metrisch nicht hin: "das krampfhaft fest gegen den Mund gepresst". Ansonsten ist es nämlich ein reines Jamben-Gedicht. Hier fällst du aus dem Jamben-Rhythmus raus, was für mich durch nichts erklärbar ist.

Trotz der kritischen Anmerkungen ein schon lesbares Gedicht, das aber, wie oben gesagt, genausogut als Strophengedicht funktioniert hätte.

Gruß, Fettauge
 
O

orlando

Gast
Hallo Hermann,
rein sprachlich finde ich das Sonett sehr gelungen.
Ein kleiner Tipp von mir: Da du dich ja offenkundig an die Expressionisten anlehnst, würde ich mir an deiner Stelle ein Gedicht aus dieser Zeit zum rhythmischen und metrischen Vorbild nehmen (Lichtenberg, Heym, Däubler etc).
Dann würdest du sofort merken, dass mit deinen Versen etwas nicht stimmt.
Das erste Quartett beispielsweise könnte lauten:
Der Flur liegt dunkel, tief im Düstergrauen,
nur Gaslaternen werfen mattes Licht.
Erkennbar, Apparate, die sich nicht
zu Stahlgestellen fügen. Ungenauen ...

....
Also: 11/10/10/11 und beachte bitte die Reime. -
Sonette sind nicht einfach anzufertigen.
Deshalb möchte ich dir empfehlen, dich zunächst ganz streng an eine deiner "Vorlagen" zuhalten; freiere Formen (Variationen) sind eher was für fortgeschrittene Sonettkünstler. ;)

Wegen Thomas Mann würde ich mir keine Gedanken machen. Der große deutsche Dichter hat sich zeitlebens gern bedient, bei Ägyptologen, bei Freud, bei Nietzsche und vor allem bei Wagner (Leitmotive).
Die meisten fühlten sich geschmeichelt.

Für mich ist dein Titel in anderer Hinsicht nicht ganz passend: Der "Zauberberg" war ein Sanatorium für Gutbetuchte, also Großbürger, Adlige und andere Oberschichtler.
Insofern kannst du davon ausgehen, dass es dort weder angeschlagenes Geschirr, noch Karboldüfte gegeben hat.
Zu deinem Text passte besser etwas Schlichteres (Im Sanatorium, In der Heilstätte, Endsstation, (mein Favorit)

Nun aber zu dem, was mir viel mehr als meine Kritik am Herzen liegt ...
Du bringst eine sehr schöne, starke Sprache mit, bist in der Lage, elegante Enjambements zu setzen und den Sinn eines Sonetts herauszuarbeiten.
Alle anderen Dinge lassen sich lernen.
Talent nicht!

Dir einen herzlichen Gruß
orlando
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Bernd
ja, ich weiß, meine "Wortbeugungen", aber ich kann nicht anders. Am besten, man skandiert meine Gedichte nicht.
Gruß
Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Fettauge,
schön auch von Dir einmal ein paar wohlmeinende Worte zu hören. Zunächst zu Deiner Beruhigung: Ich war des Öfteren auf einer Tb-Station und kenne mich auch mit den chirurgischen und hygienischen Verhältnissen um 1900 aus. Ich war auch in Davos im Waldhotel und auf der Schatzalb mit den Museumsstücken des ehemaligen Lungensanatoriums.
Aber jetzt zu dem Gedicht selbst. Ich gebe zu, ich gehe etwas leichtfertig mit der strengen Form des altehrwürdigen Sonettes um. Mein Vorschlag: Ich mache aus dem "Sonett" drei Vierzeiler mit einem Zweizeiler. Dann ist vielleicht auch der nicht ganz stimmige letzte Reim besser zu tolerieren.
Gruß Hermann
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Orlando,
vielen Dank für Deine wirklich netten und aufbauenden Worte.
Ich muss ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern. Ich bin Arzt und kenne mich mit der chirurgischen und konservativen Behandlung der Tbc relativ gut aus. Auch die Gegebenheiten um 1900 sind mir vertraut. Ich habe das Gedicht tatsächlich in Davos geschrieben, im alten Kurhotel und ehemaligem Lungensanatorium auf der Schatzalb, ganz unter dem Eindruck der bedrückend wirkenden, düsteren Flure mit ihren weiß lackierten Gerätschaften. Fliesenboden, Stuckdecken, Fenster, alles original, nur die Gaslaternen und den Geruch nach Karbolsäure habe ich mir dazu gedacht.

Über Deine stilistischen Vorschläge werde ich nachgrübeln.
Ich weiß, ich nehme es mit der Betonung einzelner Worte nicht so genau (Bernd nennt es Wortbeugungen), dadurch erscheinen meine Verse manchem unrhythmisch, was sie aber eigentlich nicht sind.
Liebe Grüße
Hermann
 
O

orlando

Gast
Hallo Hermann,
mir geht es vornehmlich um die Reimfolge in den Terzetten. Bei dir
a
b
a
b
Für Sonette gilt aber
a
b
b
a
insofern ist dein Gedicht eigentlich kein Sonett. ;)
Grüßle
orlando
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Allgemeingültig ist das aber keineswegs. Du würdest eine ganze Reihe der schönsten Sonette ausschließen.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
PS: http://www.deutsche-liebeslyrik.de/europaische_liebeslyrik/shakespeare/shakespeare_18.htm Der Link zeigt eine Reihe von Übersetzungen vom Sonett 18 von Shakespeare.

Aus Copyright-Gründen gebe ich meine eigene Übersetzung an, obwohl es sicher bessere gibt (mir ist der Status der Übersetzungen nicht klar, die ich gefunden habe):

Vergleiche ich dich einem Sommertag?
Du bist viel lieblicher und nicht so wild:
wenn Wind des Maien Knospen stürmen mag,
borgt dir der Sommer allzukurz sein Bild:
Das Himmelsauge scheint manchmal zu heiß,
und oft ist auch sein Goldgesicht versteckt,
was man auch sieht, es unterliegt Verschleiß –
durch Zufall, oder weil Natur sich reckt.
In dir soll nie die Sommerzeit vergehn,
soll nie die Schönheit enden, die du trägst,
soll nie der Tod nur prahlend Beute sehn,
wenn du dich endlos in die Zeit bewegst.
Solang man atmen oder sehen kann,
bleibt das bestehn und trägt dir Leben an.

Die ganze Gruppe der Shakspeare-Sonette wären ausgeschlossen, ebenso die ungereimten Sonette von Pablo Neruda und viele weitere.
 
O

orlando

Gast
Eine Übersetzung ist nicht das Original. Und selbstverständlich können Reimpaarungen nicht immer erhalten bleiben.
Gern räume ich jedoch ein, dass ich Shakespeares Sonette noch nicht im Original gelesen habe, werde mich aber kundig machen. -
Moderne Sonette sind freier gestaltet, bilden aber stets Variationen bekannter Formen. Sonst würden sie nicht als Sonette deklariert.
Für Hermann gilt dies besonders, weil der sich offensichtlich (!) an Expressionisten anlehnt. Und gerade die arbeiteten in dieser Hinsicht recht sorgfältig.

An deiner Argumentation, Bernd, stört mich (und nicht erst jetzt), dass du Tradiertes gar nicht in Gänze gelten lässt, bzw. eine Struktur in Gedichten für überflüssig hältst oder sie gar in Abrede stellst. Das trägt ungemein zur allgemeinen Sprachverwirrung bei.

Ich persönlich wäre von Herzen froh, mich mit mehr Leuten über lyrische Feinheiten unterhalten zu können!

Eine Frage noch: Wozu gibt es die Rubrik "Feste Formen" überhaupt?

orlando
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Orlando,
danke für die interessanten Argumente.
Ich halte allerdings Tradiertes nicht für überflüssig.
Und ich bin ebenfalls für klare Formen.

Im Tradierten gibt es viele Formen, wenn sich eine Form verfestigt hat, wird sie oft immer mehr verfestigt.

Sehr interessant ist das bei Übertragungen aus anderen Sprachen.

Eigentlich ist sie oft nicht 1:1 möglich. Deshalb entstehen verschiedene Formen.

Sonette wurden zunächst oft als Alexandriner übertragen, später als fünfhebige Verse, meist Jamben. Daraus schlossen einige, es müssten Jamben sein.

Die Reimschemata wurden verändert, bis hin zum Reimlosen.

Auf Grundlage von Übersetzungen entwickelten sich die Sonette in verschiedenen Sprachen weiter, zum Teil unterschiedlich.

Was meist erhalten blieb, sind die 14 Zeilen, Abweichungen wie Schweifsonette sind selten. Am Anfang, zu Petrakas Zeiten war das noch anders.

Das Sonett entwickelte sich in einer Zielsprache nun weiter, dabei wurden zum Teil die Übersetzungen, zum Teil die Formen der Originalsprache beachtet.

Der Inhalt änderte sich je nachdem, was wichtig war.

Ich habe gerade beim Sonett viele Foremen gefunden.

Als Kriterium sehe ich heute an, dass die Form in sich selbst schlüssig ist.

Shakespeare-Sonette haben das Grundschema abab cdcd efef gg

Dabei gibt es aber Varianten.
Geschrieben hat er es in einer Strophe, dabei sind in den meisten Ausgaben, die ich kenne, die beiden letzten Verse eingerückt.


Im Deutschen Bereich gibt es viel weniger Reime als im Italienischen, deshalb ist auch hier die Form mehrmals geändert worden. Bei Übersetzungen gab es sogar mal die Meinung, Reime dürfe man nicht übersetzen, sondern der Inhalt müsse erhalten bleiben.

Über die formale Gestalt habe ich ein Sonettkochbuc geschrieben. Es zeigt die Foremn, wie ich sie verstehe.

http://www.leselupe.de/lw/titel-Hutschis-Sonettkochbuch-107558.htm

Noch ein Wort zur Rhythmik: Entscheidend ist heute die übereinstimmung von Sinn und Rhythmik.
Abweichungen sind aber oft möglich, wenn sie dem Gedicht dienen und nicht "hearusfallen".

Deutsche Gedichte sind meist taktzählend, nicht silbenzählend.
Es kommt darauf an, dass es in die Taktung passt.
Ein Auftakt kann in den meisten deutschen Gedichtformen eine oder zwei unbetonte Silben enthalten.
Andere Stellen müssen streng stimmen, insbesondere Endreime, sofern gereimt wird.
Auch "freier" Rhythmus unterliegt Rhythmikgesetzen.
 
O

orlando

Gast
Ich stelle zum Vergleich ein Shakespeare-Sonett ein:
When forty winters shall beseige thy brow,
And dig deep trenches in thy beauty's field,
Thy youth's proud livery, so gazed on now,
Will be a tatter'd weed, of small worth held:

Then being ask'd where all thy beauty lies,
Where all the treasure of thy lusty days,
To say, within thine own deep-sunken eyes,
Were an all-eating shame and thriftless praise.

How much more praise deserved thy beauty's use,
If thou couldst answer 'This fair child of mine
Shall sum my count and make my old excuse,'

Proving his beauty by succession thine!
This were to be new made when thou art old,
And see thy blood warm when thou feel'st it cold.
Der Flur liegt halbdunkel im düstren Grau,
die Gaslaternen werfen mattes Licht
auf weiße Stahlgestelle, ungenau
erkennbar, Apparate, die man nicht

benötigt. Türenschlagen und in Wellen
dringt durch die Gänge ein Carbolgeruch,
Emailgeschirr mit abgeschlagnen Stellen,
in zarter Hand ein rotes Taschentuch,

das krampfhaft fest gegen den Mund gepresst
den Hustenreiz zu unterdrücken sucht,
um die Musik von dem bizarren Fest

nur nicht zu stören; irgendjemand flucht,
ein andrer lacht hysterisch, ungehemmt,
wobei ihm Fieber auf den Wangen brennt.
Und tatsächlich: Nix mit abba. :D;)
Mich überrascht das ziemlich, denn mir wurde mitgeteilt, dass Shakepeare sich auf Petrarca bezöge, der es nämlich so macht, wie von mir angegeben, jedenfalls bei den Sonetten, die ich von ihm kenne. Und mir glomm bei Hermanns klassischem Expressionistenthema überhaupt kein Zusammenhang zu Shakespeare.
Aber eigentlich hat das was schön Schräges ...

Dann bleiben eigentlich nur noch die eigenwilligen Betonungen (das Metrum) zur Kritik übrig und der Übergang von weiblichen zu männlichen Kadenzen im zweiten Quartett.
Da sehe ich noch Nachbesserungsbedarf, gearde weil die weiblichen Endungen so schön die "Wellen" spiegeln. Hier würde ich auf jeden Fall im erste Quartett eine Anpassung vornehmen, was nicht schwierig sein dürfte.
Im Grunde freue ich mich wie närrisch, weil nun all die schönen Enjambements erhalten bleiben können und nicht groß umgemodelt werden müssen.

Liebe Grüße
orlando
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Der Flur liegt halbdunkel im düstren Grau,
In diesem Vers hat der [blue]Übersetzer (gestrichen)[/blue] Verfasser durch Abweichen vom Skandieren Spannung augebaut.

"Halbdunkel" widerspricht dem (deutschen) Jambus. Aber gerade hierdurch erhält die Zeile Spannung und Melodie.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Du hast recht. Es war Unaufmerksamkeitsblindheit.

Ich könnte mich ja herausreden (der Übersetzer der Form).

Es war mein Fehler. Inhaltlich stimmt es aber, dass Spannung aufgebaut wird.

Mein Kurzzeitgedächtnis lässt nach. Mal sehen, wie lange es noch zu kompensieren ist.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Orlando, hallo Bernd,
Mit Interesse und einer gehörigen Portion Hochachtung habe ich Euren Disput verfolgt. Ich fürchte, ich habe mir beim Schreiben des Gedichtes nicht annähernd so viele Gedanken gemacht.
Ich habe jedenfalls viel gelernt. Vielen Dank Euch beiden!
Liebe Grüße
Hermann
 

James Blond

Mitglied
Nachdem die Form recht erschöpfend anhand von Sonettvarianten besprochen wurde, vermisse ich (wie so oft) eine eingehendere inhaltliche Besprechung.

Eingangs wurde bereits ein Vorwurf laut, der Autor mache Anleihen bei Thomas Mann oder beute gar dessen Ideen aus.

So unsinnig wie der Vorwurf ist (, denn niemand besitzt ein copyright oder Patentrecht auf Ideen), allein der Hinweis des Autors auf die Authentizität seiner persönlichen Erfahrungen entkräftet ihn nicht. Der 'Zauberberg' bleibt zweifellos eines der genialen Werke eines anderen Autors.

Wozu nun dieses Gedicht?
Versucht es, die Stimmung jenes Ortes in 14 Zeilen zu pressen? Oder spielt es auf seine Patienten an, die sich hier ein morbides Finale feierten? Enthält es gar soziale Aspekte einer dekanten Schicht oder übt es gar Kritik an dem bescheidenen medizinischen Können?

Mein Eindruck lautet: Von jedem etwas und von allem nichts! :) Zu sehr verwischt und vermengt wird hier, was bei Mann zu einer Allegorie des ausgehenden 19. Jh gerät. Hier jedoch gerät das Bild eines antiquierten Sanatoriums zu einem dezenten Horrorkabinett ohne tiefere Bezüge. (Oder sehe ich sie nur nicht? Mich erinnert der Text viel eher an "Shining".)

Wenn es heißt, die vom Jambus abweichende Betonung in Z1 erhöhe die Spannung, dann bezweifle ich das, denn eine Abweichung wird erst wahrgenommen, nachdem die Regel erfasst worden ist, was in der 1. Zeile schlecht gelingen wird. Für mich wird hier eher Prosa getextet: "Der Flur liegt halbdunkel im düsteren Grau", ebenso in Z2.

Wozu soll hier in Q1 überhaupt Spannung aufgebaut werden? Etwa für die Röntgenröhre? ;) Was mir gar nicht gefällt, ist die Mixtur von Metaphern und, weil man ihner Wirkung anscheinend nicht genügend vertraut, erklärenden Adjektiven: "krampfhaft", "bizarr","hysterisch","ungehemmt", sowie ein entsprechender Sprung von der äußeren Beobachtung zur inneren Wahrnehmung, als ein Hustenreiz unterdrückt wird.

Die Mischung aus Carbolgeruch und Festivität als Charakteristikum einer Morbidität kommt bei Mann besser zur Geltung. Hier wird für meinen Geschmack zu dick und zu vordergründig aufgetragen - und dafür weniger Wirkung erzielt.

Gern kommentiert.

LG JB
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo JB,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Wieder werde ich mit einem Dichter verglichen. Meine "Parodie einer Parodie" hat nicht an Robert Gernhardt herangereicht und jetzt kommt die Morbidität bei Mann auch noch besser heraus als bei mir. Donnerwetter, das hätte ich eigentlich nicht erwartet.

Was meinst Du mit "von jedem etwas und von allem nichts"? Hier wird doch nur eine Situation geschildert: Der Betrachter steht in dem, auf ihn bedrückend wirkenden, Flur der Anstalt.
Eine Tür öffnet sich, eine Emailschüssel wird herausgetragen
(wohl nach einem Blutsturz), die Patientin dahinter, ausgezehrt, die ihren Hustenreiz zu beherrschen sucht. Ein Schwall von Desinfektionsmitteln dringt aus dem Zimmer. Musik und Geräusche von dem Fest der Patienten im Erdgeschoß geben dem Ganzen eine bizarre Note. Die Szene ist natürlich aus dem Zauberberg entliehen und ich habe deshalb das Gedicht auch so benannt.
Eigentlich doch ganz leicht zu verstehen, oder? Aber wie es Orlando einmal treffend formuliert hat: Man muss auch die Fähigkeit besitzen, sich in die Gedanken eines Autors einzufühlen.
Gruß
Hermann
 



 
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