Zauberwasser

Klaus K.

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Zauberwasser

Ich hatte die Flasche ganz zufällig gefunden. Im Getränkemarkt hatte sie hinter der Auswahl von diversen Gin-Spezialitäten gelegen. Ganz allein, und total verstaubt. Auf dem aufgebrachten Etikettstreifen stand nur "Zauberwasser", sonst nichts. Ich nahm sie mit, der Mann an der Kasse wusste aber nichts damit anzufangen, konnte sie natürlich auch nicht einscannen. "Kann sein, dass wir die schon mal früher gehabt haben - nehmen Sie sie einfach mit, ich kenne den Preis auch nicht. Ist schon in Ordnung so!"

Nun denn, ein Schnäppchen! Mit Korken, ein paar Schwebeteilchen waren in der ansonsten klaren Flüssigkeit zu erkennen. Raus mit dem Stopfen, Nase dran, alles ok. Es roch irgendwie fruchtig. Das Fläschchen war recht klein, ich schätze da war maximal etwas mehr als ein viertel Liter drin, eher weniger. Probieren, nicht sinnieren!

Ein kleines Glas, damit war dann fast ein Drittel des Inhalts der Flasche bereits weg. Prost! Irgendein Obstbrand, vermutlich. Es dauerte nur ein paar Minuten, ich hatte es mir gerade in meinem Lieblingssessel bequem gemacht, "Saturday Afternoon" von Erskine Caldwell in der Hand, aufgeschlagen, lesebereit. Hoppla, was war das? Vor meinem geistigen Auge erschien eine Gestalt!
Eine Frau! Und die sprach mich jetzt an! Sie sah seltsam aus mit ihrem spitzen Hut, ihrem langen Gewand. Und sie hatte eine auffallend spitze Nase, sehr eigenartig.
"Na, du Pfeife! Frönst du wieder dem Nichtstun?" hörte ich.
"Hä?" rutschte es mir heraus.
"Wie bitte, so heißt das, du Flegel!"
"Was ist hier los? Wer bist du?"
"Die Wächterin der Unbelehrbaren! Denk an deine Frau, du sollst den Müll rausbringen! Mach hin, Bürschchen, hopp, hopp!"
Meine Frau? Sie war bei ihrer Schwester und würde erst morgen zurückkommen, da war noch genug Zeit.
"Plop", machte es plötzlich, und das eigenartige Wesen war weg.

Was war das denn? Hatte ich Halluzinationen?
Jetzt musste ich erst einmal einen Schluck trinken. Ein zweites Glas konnte nicht schaden, einen Zusammenhang zwischen dem Getränk und meinem soeben Erlebten konnte ich beim besten Willen nicht erkennen.
"Plop!"
Das gab es doch nicht! Ich hatte gerade die erste Seite gelesen, schon tauchte wieder ein Bild vor mir auf! Wieder eine Frau, diesmal blond, schlank, attraktiv.
"Na, du Held! Gefalle ich dir besser?"
"Wie bitte?" Sie war nicht mein Typ, aber wieder rutschte mir spontan eine Antwort heraus.
"Na Fredy, das hast du also schon gelernt, sehr schön!"
"Ich heiße nicht Fredy, was soll das?"
"Ich weiß, aber du bist eine dieser Nullen, die zu nichts zu gebrauchen sind! Kümmere dich mehr um deine Frau, du Nasenbär! Du hast sie überhaupt nicht verdient, Schnarchnase!"

Was war das denn? Was sollte das? Wir waren demnächst bald zwanzig Jahre miteinander verheiratet, führten eine absolut harmonische und stressfreie Ehe, und irgendwelche wildfremden weiblichen Wesen aus dem Nirgendwo packten auf einmal den Dampfhammer aus!
"Was soll das? Wer bist du? Was fällt dir ein?"
"Plop". Weg.

Bleib ruhig, Junge. Bleib ganz ruhig. Leg das Buch aus der Hand. Es ist Samstag heute. Nachmittag. Die Arztpraxen haben alle zu. Was war hier los? Hatte das etwas mit dem Fläschchen zu tun?
Der letzte Rest, das letzte Glas. Nun denn. Runter damit.
"Plop"! Aha, also doch!
Und dann, ich fasse es nicht, nein ich fasse es nicht!

Da gibt es diese Frau, ganz aktuell aus der Fernsehwerbung.
Die mit dem vermeintlichen Hörgerät. Brünett, würde ich sagen. Nicht mehr so jung, aber auch nicht alt. Ende vierzig vielleicht.
Jetzt sieht man sie sogar auf dem Plakat in den Filialen.
Diese Frau hat eine Ausstrahlung, es ist einfach unglaublich.
Sie ist nicht klassisch "schön", aber einfach sehr gutaussehend.
Sie hat irgendetwas an sich, was einen Fredy wahnsinnig macht, deshalb hat man sie offenbar auch für die Plakatwerbung engagiert. Und, weil auch ein Fredy mit seiner Einschätzung ganz klar nicht einsam daneben liegt. Diese Frau hat "es". Genau das, dieses "es".

Ich habe das meiner Frau berichtet. Sie war nicht so begeistert, ganz im Gegensatz zu mir. Wenn der Spot im Fernsehen kommt, stellt sie sich jetzt immer davor. Denn ich sitze dann da wie paralysiert.
"Na, gefalle ich dir?" höre ich sie jetzt fragen. Nicht meine Frau, die ist ja nicht da. Nein, die Werbedame. Ihre Aura wabert zu mir herüber, ihre Weiblichkeit, ihr Ausdruck, ihre Stimme .....
"Ho....ha...ich....." Mir fällt nichts ein, meine Sprache ist weg!
"Freundchen, damit ist jetzt Schluss! Vergiss es, du bist mit deiner bildhübschen Frau sensationell bedient! Vergiss mich, du Heini! "
"Plop". Das war's.
Ich musste mich erst einmal sammeln. Ich stand auf, wegen des Mülls. Dann beschloss ich, noch einmal in den Supermarkt zu gehen. Der Filialleiter, vielleicht gab es ja noch eine weitere Flasche oder er kannte den Lieferanten? Auf dem Weg dorthin kam ich an unserem Marktplatz vorbei, dort hatte man damit begonnen, die Stände für den morgen beginnenden Mittelaltermarkt aufzubauen. An der Ecke ganz vorne waren zwei junge Männer hinter einem Holzhaus mit einem blauen Plastikfass beschäftigt. Der eine tauchte dort kleine Flaschen hinein, die der andere dann abwischte und etikettierte. Ein Aufkleber trug die Aufschrift, die ich nur zu gut kannte. Der zweite Aufkleber darunter war mit weiterem Text versehen, ich konnte ihn gerade so noch entziffern. "Achtung! Der Inhalt ist nicht zum Verzehr geeignet! Nur für äußere Anwendung! Hilft bei Schwellungen, Rötungen der Haut, Insektenstichen und Juckreiz." Und dann schnappte ich den Rest einer Unterhaltung zwischen ihnen auf. "Und, was ist diesmal drin?" "Die Maische von dem Weinbauern, wie immer, wegen der Gärung. Und dann der Rest vom Boden seines Stalls, beides auf das Sieb, Wasser drüber, fertig. Mal wieder was anderes halt."
 
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