zeit-stolpern

G

Gelöschtes Mitglied 21589

Gast
Hallo rogathe,

ein bedrückendes Gedicht, welches meiner Interpretation nach aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen kritisch thematisiert. Dabei hat das Gedicht zwei Teile: Einen ersten, in dem diagnostiziert wird, dass viele Menschen mit negativen Auswirkungen auf Ihr Seelenleben Hass in sich tragen und infolgedessen wird prognostiziert, dass sich dies auch zerstörerisch auf das gesamte politische System auswirkt. Dieses unterliegt hier aber keinem Druck von außen, sondern wird durch Prozesse im Innern nach und nach zerstört (zersetzt er staatsgefüge).

Wo der Hass allerdings herrührt, verschweigt das Gedicht, in meinen Augen ist das eine Schwäche des Textes, da er sich damit etwas beliebig macht - man könnte zeitdiagnostisch dieses Gedicht über so ziemlich jede Epoche legen, es würde fast immer passen.

Gleichwohl könnte man die Verse 5-9 natürlich auf die aktuelle Lage beziehen: Dabei gäbe es mehrere Interpretationsmöglichkeiten bezüglich der Ursache der Bedrohung. Hier könnte die Bedrohung durch das Coronavirus gemeint sein, andere wiederum könnten in den Zwangstests die Gefahr sehen. Darüber hinaus kann man die Bedrohung auch in der gespaltenen gesellschaftlichen Atmosphäre sehen, das Gedicht lässt es dem Interpreten denke ich offen, in welche Richtung er es deuten will.

Ich persönlich lese aber eine durchaus beißende Ironie heraus, vor allem wenn es heißt:

damit das land in freier vielfalt
prosperieren kann
Dies scheint mir eine Anspielung auf den Werbespruch der CDU "Für ein Land, in dem wir gut und gerne Leben" zu sein.

Der zweite Teil des Gedichtes stellt dann die Frage, was passieren wird, wenn das Land nicht mehr die Möglichkeit hat, zu prosperieren, weil ihm die Basis weggebrochen ist, das Proletariat, der Mittelstand.

Die Frage beantwortet das Gedicht mit einem dystopischen Ausblick auf eine Politik der neuen starken Männer, man fühlt sich unweigerlich an das Wort "Führer" erinnert - und an Politiker wie z.B. Markus Söder. Der (noch) positiv konnotierte Macher wird somit Im Text zum Wegbereiter eines neuen autoritären Systems, welches man doch eigentlich nie wieder wollte...

Meiner Meinung nach ist dir ein gutes gesellschaftskritisches Gedicht gelungen, welches jedoch am Anfang ein wenig vage bleibt. Bei genauem Hinsehen steckt dann aber doch eine Menge dahinter.

Liebe Grüße
Frodomir
 



 
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