Zimmer Nummer 12

tstauder

Mitglied
Zimmer Nummer 12

Mit Löchern in der Hose stehe ich vor der Tür. Irgendwo ein ungutes Gefühl. Ich blicke den Gang hinunter. Möchte nicht beobachtet werden. Öffne sachte. Eintritt in einen düsteren Raum. Der Vorhang ist zugezogen. Ausgeschlossen ist der Tag. Einige Strahlen schaffen es sich einzuschleichen. Soll ich Licht anmachen? Sehe eine verloschene Kerze auf dem Nachtkästchen. Lieber nicht! Er liegt im Bett, halbzugedeckt. Um den Kopf eine schwarze Binde. Trotzdem ist der Mund leicht geöffnet. Lächelt er? Geschlossene Augen. Die knochigen Hände sind gefaltet, umschließen einen Rosenkranz. Ich sehe einen Toten. Jetzt wo ich hier als Zivildiener arbeite, darf ich das auch. Glaube ich. Macht er einen friedlichen Eindruck oder wünsche ich mir das nur? Um 4 Uhr nachts ist er entschlafen. So ungefähr. Haben sie gesagt. Jetzt ist es halb 10. Bin ich respektlos wenn ich wissen möchte wie er sich anfühlt, der Tote? Meine Finger fahren die hautüberspannten Knochen der Hand entlang. Springen auf die Stirn, verweilen dort einen Moment. Meine Augen starren auf den Mund. Weiß nicht. Ein blauer Mund. Kalte Haut. Bartstoppeln. Habe gehört sie wachsen auch nachdem man gestorben ist. Sterben ist etwas seltsames. Der Fernseher hat es mir tausend mal gezeigt. Filme, ich weiß. Aber trotzdem. In den Nachrichten habe ich gesehen, wie Menschen gestorben sind. Kriege auf fremden Sternen. Einmal habe ich gesehen, wie sie einen Mann, nackt, noch zappelnd von einer Brücke geschmissen haben. Mit Maschinenpistolen haben sie hinterhergeschossen. Wo hat der Fluß seinen Körper hingetragen? Bilder aus Afrika. Zaire. Auf welchem Stern liegt das? Der Fluß wird in seinem Plätschern das Leiden des jungen Mannes beweinen. Immer. Wer beweint dich? Seit einer Woche bin ich hier im Haus. Kenne nur Name und Zimmernummer von Dir. Was soll’s. Eine Streichholzschachtel liegt neben der Kerze. Irgendwie verabschieden. Verwandte hast Du keine. Einsam bist Du gestorben. Ich falte meine Hände. Hoffentlich kommt niemand. Meine Jeans haben Löcher. Ein schlechtes Gefühl habe ich auch. Weiß gar nicht weshalb.
Gedenkender Augenblick.
bartstoppeln auf
erstarrten kiefern
knochen drücken aus gesicht,
brust
sie liegt bewegungslos
geschlossene Augen
sehen den Mann auf nr. 12
wie hast Du die einsamkeit ertragen?
ist Dir erlösung geschenkt?
ich wünsche es
und wenn ich eine hose mit löchern sehe
so denke ich an Dich.
„Auf wiedersehen“ flüstre ich. Hauche die Kerze aus. Ganz vorsichtig schließe ich die Tür.
 
Z

zauberei

Gast
gut nachzuempfinden....

Deine Geschichte.
Selbst erlebt?

Gruß,
zauberei
 

tstauder

Mitglied
Hallo zauberei

Ja (ich habe in einem Altenheim meinen Zivildienst abgeleistet. Der Tod ist mir dort immer wieder begegnet.)

und Nein (ich habe auch meiner Phantasie Raum gelassen. Ganz so war es nicht. Hätte vielleicht so sein können.)

Grüße
Thomas
 



 
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