Zu heiß, um Wurzeln zu schlagen

Hera Klit

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Zu heiß, um Wurzeln zu schlagen

Ich fuhr damals diesen gebrauchten grünen Ford Mondeo. Ein Diesel. Er tuckerte, wenn ich an der Ampel stand, wie ein ausgeleierter Traktor. Daran konnte ich mich nie gewöhnen und ich litt die gesamten sieben Jahren, in denen ich ihn fuhr, unter diesem elendigen Dieselgerumpel. Aber ich besaß ihn nun mal und objektiv gesehen, war er das billigste Auto, das ich je mein Eigen nannte.

Ich hatte einen Job in einer Elektronikfirma im tiefsten Odenwald gefunden und wir waren auch gleich dorthin gezogen und kauften sogar ein Haus in diesem deutschen Mittelgebirge.
Mein Leben bestand praktisch nur aus meiner Arbeit, halbstündigen Fahrten dorthin und zurück und dem Übernachten in dem Haus, das der Bank gehörte. Mir lag schön ein Strick um den Hals und ich musste funktionieren, wie ein Esel, der im Kreis läuft, um eine dämliche Wasserpumpe am Laufen zu halten. Wie es eben den Durchschnittsmännern ohne besondere Talente auf der ganzen Welt so geht.

Jeden Tag fuhr ich an seiner freien Tankstelle vorbei. Sie lag in einem dieser, für die Gegend typischen ewig lang gezogene Straßendörfer. Jeweils eine Reihe Häuser, links und rechts von der Straße und dahinter dichte Wälder voll mit Wildsäuen, Rehen und Füchsen.

Alle paar Tage hielt ich an, um bei ihm zu tanken. Er arbeitet in der Autowerkstatt und sein gehbehinderter Vater machte die Tankstellenkasse. Seine Mutter war im Haus gegenüber
und schüttelte auch sein Bett auf und putzte auch bei ihm durch. Er war ein Sohn, der fest in seiner Familie verankert war. Familiär und beruflich, alles ein einiges Miteinander.

So gingen vier, fünf Jahre ins Land. Ich fuhr morgens und abends vorbei und tankte einmal die Woche bei ihnen. Man lernt mit der Zeit diese Menschen kennen und sie werden irgendwie zu festen Größen. Hin und wieder hatte ich Scherereien mit dem Mondeo und er reparierte den Wagen dann schnell, zuverlässig und günstig. Ich zahlte meine Rechnung sofort und bar und sein Vater lachte an der Kasse und seine Mutter winkte und lächelte mir zu, wenn ich vom Hof fuhr.

Doch irgendwann, ganz unvermittelt, saß sie an der Kasse, als ich zahlen wollte.
Mir blieb zunächst bei ihrem Anblick die Spucke weg. Feuerrotes wildes langes Lockenhaar,
einen Body mit gefährlichen Rundungen, wie ich sie bisher nur aus dem Fernseher kannte, eingezwängt in ein gelbes, wenig verhüllendes Minikleid. Sie hatte Starqualitäten, nicht nur der Körper auch ihr Gesicht. Was soll ich sagen? Sie war mit ihm zusammen, das fand ich bald heraus. Wie konnte das sein? Ich meine, er war nicht hässlich, eigentlich eher ganz hübsch, aber sie war doch bei Licht betrachtet einige Nummern zu groß für ihn. Nach ihrem Akzent zu urteilen stufte ich sie als Serbin oder Kroatin oder so, ein. Ich versuchte nicht neidisch zu sein und wünschte ihm innerlich Glück, denn eins schien mir klar: Die war zu heiß, um zu bleiben.
Bei welcher Gelegenheit er die aufgerissen hatte, konnte ich mir beim besten Willen nicht ausmalen. War es ein Volksfest mit viel Bier gewesen? Eventuell.

Als ich vom Hof fuhr, sah ich seine Eltern drüben vor dem Haus auf einer Bank sitzen.
Sie winkten nicht. War da schon irgendwas aus den Fugen?

Dann ging die Zeit ins Land und mein Mondeo fuhr vollkommen zuverlässig, ich musste nur
kurz tanken. Immer saß sie an der Kasse.

Nach einer kleinen Erbschaft verkaufte ich den Mondeo und kaufte einen neuen Citroën Picasso. Unsere Familie war gewachsen und wir brauchten einen geräumigeren Wagen. Natürlich musste ich mit dem Neuen zum Citroën Service und ich konnte nicht mehr zu der freien Werkstatt zu ihm fahren. Aus irgendeinem unerfindlichen dummen Grund war mir das so peinlich, dass ich auch nicht mehr zum Tanken dorthin fuhr. So trennten sich unsere Wege und ich beobachtete nur noch im Vorüberfahren und ich machte mir einige Gedanken, womöglich mehr als nötig, über diese Tankstellenfamilie.

Besonders wollte ich beobachten, ob die Rote bei ihm bliebe, denn das konnte doch wohl nicht sein.
Einmal fuhr ich mit meiner Frau an der Tankstelle vorbei und da ging sie gerade mit ihm über die Straße. Ich machte den Fehler, meine Frau zu fragen, ob sie glaube, diese scharfe Serbin passe zu diesem langweiligen Muttersohn und Tankstellenmitbesitzer. Meine Frau, dachte nicht daran, mir diese dämliche Frage zu beantworten, sondern sie fragte, was ich denn an der finden würde. Von nun an musste ich mir viele Eifersüchteleien bezüglich der rassigen, rothaarigen Serbin anhören. Es war so, als spiele diese Traumfrau auch in unserem Leben irgendeine Rolle, dabei hatte ich doch nur ein völlig neutrales Interesse an dieser Sache. Ich wollte doch wirklich nur wissen, ob so ein riskantes Unterfangen gutgehen kann, wenn sich einer ein solches Gerät heimholt. Ich war der Meinung, das kann niemals gutgehen, sie wird ihn fix und fertig machen, das konnte wirklich nicht mehr lange dauern, davon war ich überzeugt.

Zu meinem großen Erstaunen schob die Serbin irgendwann einen Kinderwagen, diese ewig lange Straße entlang. Das rote Haar war kurz geschnitten und sie trug eine labbrige Jeans und ein Shirt. Er musste als Mann Qualitäten haben, die ich in ihm niemals vermutet hätte.

Für meine Begriffe war die viel zu heiß, um Wurzeln zu schlagen, deswegen war ich geradezu beruhigt, als ich drei, vier Jahre später beim Vorüberfahren niemals mehr eine Spur von dieser rattenscharfen Serbin erblicken konnte.

Ich tankte sogar dann testweise noch einmal dort und was soll ich sagen, sein gehbehinderter Vater saß an der Kasse und als ich vom Hof fuhr, winkte mir seine Mutter drüben vom Haus her zu.
 
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