Zu spät (KG)

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brehb

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Zu spät

„Wie heißt dieses Land bei Ihnen?“ General McProud wies mit seinem Pointer auf der Landkarte nach Europa. Zoom auf Paris. Seine Nebenleute schauten gebannt auf den Befragten im orangenen Overall.
„General McProud, meine Herren, ich meine, so kommen wir nicht weiter.“ Der drahtige Mann vor ihnen sprang von seinem Stuhl hoch, ohne erkennbare Sorge, dabei die Elektroden von seinem rasierten Schädel zu schütteln. Er ignorierte die Waffen, die in Anschlag gingen, breitete die Arme aus und hob die Schultern. „Das Meiste ist lexikales Wissen, das Sie abfragen, seit ich vor zwei Tagen in Ihrem Pentagon materialisiert wurde. Versehentlich. Ich verstehe ja, dass Sie deshalb nervös sind und von mir alles Mögliche in Erfahrung bringen wollen. Ich jedoch wüsste gerne von Ihnen, wie meine Zukunft aussieht. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Das ist Frankreich und die Stadt auf die Sie deuten nennen wir Paris. Und das dortige Wahrzeichen, um Ihnen zuvor zu kommen, heißt Trallkerturm, benannt nach seinem Konstrukteur Julie Trallk, erbaut zur Weltausstellung 1889.“

Er achtete nicht auf die irritierten Blicke der Anwesenden als er beschwörend fortfuhr: „Glauben Sie mir endlich.“ Dabei heftete er seine Blick auf den Polygraphisten ihm gegenüber. „Nochmals: Ich heiße Gebre Selais, Obersekundaner der Saudischen Luftwaffe, bin 34 Jahre alt und seit vier Jahren Zeitmechaniker bei der NASA.“ Dann machte er trotz Fußfessel eine Bewegungen auf eine der Kameras zu, die ihn filmte und wurde noch eindringlicher: „Ich bin aus keiner hiesigen Klapse entsprungen, sondern komme vom Planeten Erde, unserer Erde allerdings, Terra, nicht Ihrer. Auch das habe ich mehrfach versucht zu erklären.“ Er setzte sich wieder, verschränkte die vierfingrigen Hände hinter dem Kopf, blies die Backen auf und stieß mit einem lang anhaltenden „Pffft“ die Luft aus seinen Lungen. Es entstand eine Pause, die nur vom Schlagen einer Tür unterbrochen wurde.

General McProud überflog die Papiere aus der Aktenmappe, die ihm sein Adjutant hereingebracht hatte. „Meine Herren, wir haben eine Entscheidung zu treffen“, stoppte er das Gemurmel im Rund. „Herr Selais, in diesem medizinischen Bericht steht, dass Ihr Skelett lediglich 188 Knochen hat und dass der violette Ton Ihrer Haut durch Kristallisation der Permangansäure entsteht, die sie in geringen Mengen ausschwitzen. Darüber hinaus funktioniert Ihre körpereigene Dekontaminierung ohne ein unserer Milz entsprechendes Organ und ohne Lympfsystem.“
Der Militär unterbrach sich, hob seine Brille an und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Er wirkte müde und überfordert. „Damit muss ich Ihnen wohl glauben... nein, wir alle hier müssen Ihnen Ihre seltsame Herkunft abnehmen, denn nach diesen Erkenntnissen müssten Sie tot sein. Aber Sie leben.“ Er winkte nach einem Wachsoldaten. „Nehmen Sie Obersekundaner Selais die Fesseln ab.“ Den stummen Protest einiger Regierungsmitarbeiter im Raum wischte er mit einer Handbewegung beiseite. „Also alle Systeme auf Null und nochmals von vorne. Wenn Sie es nicht für zu beschwerlich halten, Obersekundaner, würde ich Sie jedoch bitten, sich weiterhin von Oberleutnant Namara am Lügendetektor beobachten zu lassen. Für meine Chefs geht Kontrolle über Vertrauen.“, und leise, an seinen Adjutanten gewandt: „Leutnant, lassen Sie den Präsidenten informieren. Das hier wird interessanter als alles, was wir bis dato in Area 51 durchgezogen haben.“

„Name und Dienstgrad?“
„Obersekundaner Gebre Selais.“
„Von woher kommen Sie, Obersekundaner Selais?“
„Vom Planeten Terra, dem dritten von zwölf Planeten des Sonnensystems Sol in der Milchstraße.“
„Zwölf, da sind Sie sich sicher?“
„Na klar doch, ich hatte schon auf jedem zu tun: Merkur, Darius, Terra, Mars, Keppler, Jupiter, Saturn, Uranus, Prometheus, Neptun, Pluto. Zuletzt war ich auf Salto. Zeitkorrekturen, Sie wissen schon, Kleinstjustagen. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in China... Dafür rutschen sie zuerst auf der vertikalen Zeitachse...“
„Danke, danke Obersekundaner. Darauf gehen wir später genauer ein. Erklären Sie uns vorher bitte nochmals, wie Sie hier hergekommen sind.“
„Gerne, das war ganz seltsam. Ich war zurück von Salto in unserem Verteidigungsministerium. Unseres nennt man Hexagon, Sie können sich schon denken, warum... also die Jungens dort haben die jährliche Wartung an meinem Zeitjogger durchgeführt. Danach habe ich die üblichen Tests gefahren und „Peng“, schon saß ich hier, ohne meinen Jogger. Da muss bei der Wartung jemand die Anschlüsse für horizontal mit vertikal vertauscht haben, aber normal ist das nicht, horizontale Zeitsprünge sind noch verboten. Jetzt weiß ich warum."
„Und wo, sagten Sie, liegt dieses Sonnensystem in der Milchstraße?“
„Das ist ja das Komplizierte. Unser Erde liegt exakt eine Sekunde vor Ihrer, wenn ich das einmal so ausdrücken darf.“
„Sie dürfen, Obersekundaner Selais, aber Sie wissen, das ist unmöglich. Bei nur einer Lichtsekunde Entfernung wäre uns Ihre Erde näher als unser Mond. Schauen Sie aus dem Fenster, was sehen Sie?“
„Nein, nein, ich sagte nicht Lichtsekunde. Ich meine die blanke Zeit, die unser Sonnensystem dem Ihren voraus ist, beträgt eine Sekunde. Auf der horizontalen Zeitachse. Das ist schon immer so, dass dort parallele Universen auftauchen.“ Er rechnete. „Schon seit 4,45682 Milliarden Jahren, 351 Tagen..., schaute auf die Uhr. „...acht Stunden, siebzehn Minuten und... genau 30 Sekunden. So lange schon kommen Sie jeweils eine Sekunde zu spät um am intergalaktischen Leben teilzuhaben. Das ist ziemlich viel, und auch von einem Super-Zeitmechaniker nicht nachzujustieren.“ Seine Augen sprühten. „Aber wir halten uns an einen unserer Reformer: 'Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.' Oder warum glauben Sie, haben wir uns noch nie nach Ihnen umgesehen?
Und jetzt würde ich gerne darüber nachdenken, wie Ihnen beim Bau eines Joggers zu helfen ist." Er lächelte und entblöste seine enzianblauen Zähne.
"Bei Zuspätkommern bleibe ich ungern länger als nötig.“
 

jon

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Hallo brehb, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von jon

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brehb

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Zu spät

„Wie heißt dieses Land bei Ihnen?“ General McProud wies mit seinem Laserpointer auf der Landkarte nach Europa. Zoom auf Paris. Seine Nebenleute schauten gebannt auf den Befragten im orangenen Overall.
„General McProud, meine Herren, ich meine, so kommen wir nicht weiter.“ Der drahtige Mann vor ihnen sprang von seinem Stuhl hoch, ohne erkennbare Sorge, dabei die Elektroden von seinem rasierten Schädel zu schütteln. Er ignorierte die Waffen, die in Anschlag gingen, breitete die Arme aus und hob die Schultern. „Das Meiste ist lexikalisches Wissen, das Sie abfragen, seit ich vor zwei Tagen in Ihrem Pentagon materialisiert wurde. Versehentlich. Ich verstehe ja, dass Sie deshalb nervös sind und von mir alles Mögliche in Erfahrung bringen wollen. Ich jedoch wüsste gerne von Ihnen, wie meine Zukunft aussieht. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Das ist Frankreich und die Stadt auf die Sie deuten nennen wir Paris. Und das dortige Wahrzeichen, um Ihnen zuvor zu kommen, heißt Trallkerturm, benannt nach seinem Konstrukteur Julie Trallk, erbaut zur Weltausstellung 1889.“ 

Er achtete nicht auf die irritierten Blicke der Anwesenden als er beschwörend fortfuhr: „Glauben Sie mir endlich.“ Dabei heftete er seine Blick auf den Polygraphisten ihm gegenüber. „Nochmals: Ich heiße Gebre Selais, Obersekundaner der Saudischen Luftwaffe, bin 34 Jahre alt und seit vier Jahren Zeitmechaniker bei der NASA.“ Dann machte er trotz Fußfessel eine Bewegungen auf eine der Kameras zu, die ihn filmte und wurde noch eindringlicher: „Ich bin aus keiner hiesigen Klapse entsprungen, sondern komme vom Planeten Erde, unserer Erde allerdings, Terra, nicht Ihrer. Auch das habe ich mehrfach versucht zu erklären.“ Er setzte sich wieder, verschränkte die vier-fingrigen Hände hinter dem Kopf, blies die Backen auf und stieß mit einem lang anhaltenden „Pffft“ die Luft aus seinen Lungen. Es entstand eine Pause, die nur vom Schlagen einer Tür unterbrochen wurde.

General McProud überflog die Papiere aus der Aktenmappe, die ihm sein Adjutant hereingebracht hatte. „Meine Herren, wir haben eine Entscheidung zu treffen“, stoppte er das Gemurmel im Rund. „Herr Selais, in diesem medizinischen Bericht steht, dass Ihr Skelett lediglich 188 Knochen hat und dass der violette Ton Ihrer Haut durch Kristallisation der Permangansäure entsteht, die sie in geringen Mengen ausschwitzen. Darüber hinaus funktioniert Ihre körpereigene Dekontaminierung ohne ein unserer Milz entsprechendes Organ und ohne Lymphsystem.“ 
Der Militär unterbrach sich, hob seine Brille an und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Er wirkte müde und überfordert. „Damit muss ich Ihnen wohl glauben... nein, wir alle hier müssen Ihnen Ihre seltsame Herkunft abnehmen, denn nach diesen Erkenntnissen müssten Sie tot sein. Aber Sie leben.“ Er winkte nach einem Wachsoldaten. „Nehmen Sie Obersekundaner Selais die Fesseln ab.“ Den stummen Protest einiger Regierungsmitarbeiter im Raum wischte er mit einer Handbewegung beiseite. „Also alle Systeme auf Null und nochmals von vorne. Wenn Sie es nicht für zu beschwerlich halten, Obersekundaner, würde ich Sie jedoch bitten, sich weiterhin von Oberleutnant Namara am Lügendetektor beobachten zu lassen. Für meine Chefs geht Kontrolle über Vertrauen.“, und leise, an seinen Adjutanten gewandt: „Leutnant, lassen Sie den Präsidenten informieren. Das hier wird interessanter als alles, was wir bis dato in Area 51 durchgezogen haben.“

„Name und Dienstgrad?“
„Obersekundaner Gebre Selais.“
„Von woher kommen Sie, Obersekundaner Selais?“
„Vom Planeten Terra, dem dritten von zwölf Planeten des Sonnensystems Sol in der Milchstraße.“
„Zwölf, da sind Sie sich sicher?“
„Na klar doch, ich hatte schon auf jedem zu tun: Merkur, Darius, Terra, Mars, Keppler, Jupiter, Saturn, Uranus, Prometheus, Neptun, Pluto. Zuletzt war ich auf Salto. Zeitkorrekturen, Sie wissen schon, Kleinstjustagen. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in China... Dafür rutschen sie zuerst auf der vertikalen Zeitachse...“
„Danke, danke Obersekundaner. Darauf gehen wir später genauer ein. Erklären Sie uns vorher bitte nochmals, wie Sie hier hergekommen sind.“
„Gerne, das war ganz seltsam. Ich war zurück von Salto in unserem Verteidigungsministerium. Unseres nennt man Hexagon, Sie können sich schon denken, warum... also die Jungens dort haben die jährliche Wartung an meinem Zeitjogger durchgeführt. Danach habe ich die üblichen Tests gefahren und „Peng“, schon saß ich hier, ohne meinen Jogger. Da muss bei der Wartung jemand die Anschlüsse für horizontal mit vertikal vertauscht haben, aber normal ist das nicht, horizontale Zeitsprünge sind noch verboten. Jetzt weiß ich warum."
„Und wo, sagten Sie, liegt dieses Sonnensystem in der Milchstraße?“
„Das ist ja das Komplizierte. Unser Erde liegt exakt eine Sekunde vor Ihrer, wenn ich das einmal so ausdrücken darf.“
„Sie dürfen, Obersekundaner Selais, aber Sie wissen, das ist unmöglich. Bei nur einer Lichtsekunde Entfernung wäre uns Ihre Erde näher als unser Mond. Schauen Sie aus dem Fenster, was sehen Sie?“
„Nein, nein, ich sagte nicht Lichtsekunde. Ich meine die blanke Zeit, die unser Sonnensystem dem Ihren voraus ist, beträgt eine Sekunde. Auf der horizontalen Zeitachse. Das ist schon immer so, dass dort parallele Universen auftauchen.“ Er rechnete. „Schon seit 4,45682 Milliarden Jahren, 351 Tagen..., schaute auf die Uhr. „...acht Stunden, siebzehn Minuten und... genau 30 Sekunden. So lange schon kommen Sie jeweils eine Sekunde zu spät um am intergalaktischen Leben teilzuhaben. Das ist ziemlich viel, und auch von einem Super-Zeitmechaniker nicht nachzujustieren.“ Seine Augen sprühten. „Aber wir halten uns an einen unserer Reformer: 'Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.' Oder warum glauben Sie, haben wir uns noch nie nach Ihnen umgesehen?
Und jetzt würde ich gerne darüber nachdenken, wie Ihnen beim Bau eines Joggers zu helfen ist." Er lächelte und entblößte seine enzianblauen Zähne.
"Bei Zuspätkommern bleibe ich ungern länger als nötig.“ 
 

Ed Bobov

Mitglied
Hallo brehb! Deine Story gefällt mir ganz gut. Es hat für mich etwas gedauert bis ich in der Geschichte war, aber dann hat sie gut funktioniert. Könnte also sein, dass der Anfang etwas zu fordernd und verwirrend ist, oder ich habe eine lange Leitung … Jedenfalls gute Story und gern gelesen!

Ein paar Details, die mir so aufgefallen sind:

… im [red]orangenen[/red] Overall.Hier reicht denke ich [red]orangen[/red] Overall …


Ich jedoch wüsste gerne von Ihnen, wie meine Zukunft aussiehtDieser Satz ist für mich im Kontext mit der horizontalen Zeitverschiebung verwirrend. Ich fragte mich später im Text "Warum will der Typ von den Militärs wissen wie seine Zukunft aussieht, wenn doch er eine Sekunde voraus ist?" Vermutlich meintest du mit diesem Satz aber: "Ich wüsste gerne, was Sie mit mir vorhaben."?

Dann machte er trotz Fußfessel eine [red]Bewegungen[/red] auf eine der Kameras zu ...:
Vermutlich soll es [red]Bewegung[/red] statt Bewegungen heißen?


Was ich mir nicht vorstellen kann ist, dass nach Feststellung der körperlichen Unterschiede und der Tatsache, dass der Typ tot sein müsste, die nächste logische Aktion ist, ihn von den Fesseln zu befreien und ihm zu glauben. Die Unlogik wird zwar durch den Widerspruch der Anderen angedeutet, aber was veranlasst den General, der für alles verantwortlich ist zu dieser unlogischen Handlungsweise? Weil der Typ lebt und anders ausschaut muss also seine Geschichte stimmen aus einem Paralleluniversum zu stammen?
Ich finde hier sollte es eine nachvollziehbarere Erklärung geben …


Für meine Chefs geht Kontrolle über Vertrauen.“, und leise, an seinen Adjutanten gewandt: „Leutnant, lassen Sie den Präsidenten informieren.Diese Konstruktion nach "Vertrauen" mit Punkt, Anführungszeichen und Beistrich war für mich irritierend. Könnte man leicht so oder ähnlich ändern: "Für meine Chefs geht Kontrolle über Vertrauen." An seinen Adjutanten gewandt fuhr er leise fort: …"


Generell ist es meiner Meinung nach üblich die drei Punkte bei offenen Sätzen durch ein Lehrzeichen abzusetzen: "Nur so zum Beispiel …" Versuch es einmal es bringt wirklich was …


So, dass war mein Senf dazu, hoffe dir ein bisschen behilflich gewesen zu sein!

Ed
 



 
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