Zufrieden (Haiku)

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Patrick,

eigentlich gefällt mir das Gedicht. Nur "Predigt" scheint mir nicht so gut zu passen. Ich würde vielleicht sagen: Das sanfte Schlagen der Glockenblume. Aber ob das besser passt? Schwierig.

Wenn man es mit der Glocke vereint, passt es zur Metapher "Kirche". Es hat eher die Poetik des Khoans als des Haiku. Sehr sicher bin ich aber da nicht. Was meinen die anderen?

Und auch zum Zen-Khoan: Lausche dem Klatschen einer Hand
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
zumal "Predigt" ein schwer belastetes Wort ist, haikufremd, nicht die reine Anschauung und frische Überraschung, die für den Haiku substantiell sind.
Wobei es gewiß so verstanden werden kann, daß sich in der zarten Blüte und ihrer himmlischen Farbe eine Predigt ohne zu predigen formuliert. Wortlos, wie es im Zen hochgeschätzt wird.

Wer lauscht? Die Predigt selbst?
Wohl eher: das anonyme Haiku-Ich lauscht "der sanften Predigt" - oder?
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Am Hang, lauschend -
die sanfte Predigt
der Glockenblume.

Hallo Patrick,

für mich ist Predigt das Schlüsselwort in deinem Text. Ist das Haiku/Senryu (wird heute oft nicht mehr getrennt)? Ja, meine ich. Dieser Text und dieses Bild hat einen enormen Nachhall. Der Text entfaltet sich erst nach mehrmaligem Lesen. Er ist Zen pur.

Wer lauscht? Die Predigt selbst?
Wohl eher: das anonyme Haiku-Ich lauscht "der sanften Predigt" - oder?
Mondnein, ich verstehe deinen Einwand. Aber der Text ist in typischer Haiku-Form geschrieben: Jemand lauscht und dann wird das Ergebnis des Lauschens geschildert. Da gibt es nichts zu mäkeln. ;)

Übrigens ist mir hier auch das sanfte wichtig. Es ist keine normale Predigt, sondern die einer Glockenblume. ;)

Mir gefällts. Und was die Aussage angeht, die hier ja durchaus offen bleibt: Zen-mäßig.

LG
Cellist
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Cellist, danke für den Beitrag. Ich lerne immer gern dazu.

Viele Grüße von Bernd
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Hallo, Cellist!

Mondnein, ich verstehe deinen Einwand. Aber der Text ist in typischer Haiku-Form geschrieben: Jemand lauscht und dann wird das Ergebnis des Lauschens geschildert. Da gibt es nichts zu mäkeln
Ursprünglich wollte ich nichts mäkeln, wieso auch, aber nun regt sich doch ein Widerspruch:
"typische Haiku-Form" - naja. "Predigt", das ist eben nicht typisch "Haiku". Aber was solls.

Wesentlich ist, daß "Haiku-Form" offensichtlich ein Ersatzwort für "Japanisch" ist. Da der Dativ ein obliquer Kasus ist, Japanisch aber keine flektierende Sprache ist, und das heißt. keinen obliquen Kasus kennt, wird ein Gedicht haikuförmig, wenn seine Themata nur in Nominativen formuliert werden (es müßten eigentlich Vokative sein, denn nur Vokative sind so etwas wie eine ungebeugte Grundform, die Nominative sind es nicht), und die Rhemata werden entweder elliptisch auf Partizipien (als wären die eine ungebeugte Grundform des Verbs, was sie natürlich genau so wenig sind wie die nebensatzwertigen Infinitive) runtergestutzt oder die Verben bleiben gleich weg.
Das sieht dann wie eine japanische Wort-für-Wort-Übersetzung aus. Also "typisch Haiku-Form".

Mit Mäkeln hat das nichts zu tun. Sondern mit dem Dativ.

grusz, hansz
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wenn man eine Form aus einer Sprache in eine andere überträgt, insbesondere in eine sehr unähnliche Sprache, wird sich die Form ändern.
Was bleibt, ist eine gewisse Ähnlichkeit, auch eine gewisse "Verfremdung" (im Sinne Brechts) - es durchbricht gewohnte Formen.

Das hält solange an, bis die Form "eingebürgert" - normal geworden - ist.

Wir haben das beim Sonett gesehen, weniger beim Limerick, denn die Ursprungssprachen Englisch und Deutsch sind sehr ähnlich.
Haiku sind erst seit dem 29. Jahrhundert verstärkt in Deutsch geschrieben worden.
Es gab in Deutsch nur eine Form, die etwas Ähnlichkeit besitzt: das Ritornell.

Damit bestanden große Freiheiten.

Völlig anders ist das Schriftsystem. In Japan sieht man am Schriftbild bereits die Form, zumindest bei Verwendung der traditionellen Schriftzeichen. In Deutsch (lautweise Lautschrift) nicht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Hallo hansz,

das hat nichts mit Japanisch zu tun. Ich sehe den Text einfach als zwei Teile, üblich beim Haiku und Senryu.



Am Hang, lauschend -
betrifft den Prot, wenn man so will. Man könnte hier auch mit Doppelpunkt enden.

die sanfte Predigt
der Glockenblume.
das beschreibt den Eindruck, das Erlebnis (Ergebnis des Lauschens) als Bild.


Das ist ein Textaufbau, der für ein Haiku durchaus üblich ist, und nicht nur im Japanischen.

Würde ich hier den Dativ verwenden, hätte ich einen durchgängigen einzelnen Satz, aber kein Haiku.


So sehe und lese ich das zumindest.

LG
Cellist
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Cellist, danke für die Erklärung.

Nochmal zu "predigen". In meinem Ursprungsdialekt wurde es auch für "schwatzen" verwendet.
Meine Oma sagte manchmal: "Predig nicht so viel. " (Predich net so vil.)
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
das hat nichts mit Japanisch zu tun.
Ja, witzig. Klingt wie der Patient auf Freuds Couch, der betont "Aber das hat doch nichts mit meiner Mutter zu tun".

Wohlgemerkt: Den Japanismus der "nichtjapanischen" Haikus schätze ich hoch. Genauso wie die Beschränkung aufs Schwarzweiß der Tuschebilder und die Wortlosigkeit der Buddhapredigt an den weisen Schüler Kashyapa, die als Entstehungsmoment des Zenbuddhismus gilt: Der Aufgewachte zeigte dem Kashyapa eine Blüte, das wars. Warum nicht eine Glockenblume? Paßt doch.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallöle in die Runde

Zuerst stand da tatsächlich :

Am Hang, lauchend -
der sanften Predigt
der Glockenblume
Gefallen hat mir das nicht, daher habe ich den Text in zwei Bilder aufgelöst, die ja dennoch nahtlos Ineinandergreifen.
Ob das Zen ist? Ich weiß es nicht ...
Ob das Haiku ist? Auch das weiß ich nicht...

Aber ich bin sehr viel lockerer geworden, nachdem ich bemerken durfte wie locker moderne Haiku Dichter mit der Form inzwischen umgehen.

"Predigt" hmmm ja ... das ist tatsächlich ein vorbelastetes Wort, auch wenn es sehr unterschiedlich aufgefasst werden kann. Hier soll es eher für den dauernden Aufruf der Natur stehen, ihre Schönheit zu bemerken. Sie sagt das nicht wirklich und dennoch müsste man taub sein es zu überhören.

L.G euch
Patrick
 



 
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