zuinnerst gelöst und frei schwebend

4,90 Stern(e) 8 Bewertungen

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
indem wir erlöst sind
eine kurze, schmerzlose lösung
des kummers
zuinnerst gelöst und frei schwebend
ein gewebe aus luft
ein mandala
ein entwurf aus wenigen strichen
wie die bewegten und noch grünen flanken der hügel -
als wir – zornige kinder – dem leben anhafteten
u. wie die narziss haus-schnecke „sich“ in sich selber antrifft.
--------------------------------------------------------------------------------
ein phonisches zittern hhhhhh feiner, feinster fasern
leis erzitternder blumen hhhhhbegleitet
und läutet hhhhhhhhhhjjjjjghh jetzt unsere schritte.
--------------------------------------------------------------------------------
zuinnerst sind wir uns in uns erschienen u. verstreut
sind wir auch in euch erschienen
die ihr wie missklänge seid und enttäuscht
ein ohr aus frost, aus blauem kalt
an der glut des pulses, geschmolzen
verflüchtigt wie die morgen-röte an einem morgen, wie wasser
schreiben wir unsere flüchtigen namen ins dunkelnde herz.
 

fee_reloaded

Mitglied
Servus, Patrick!

Ein Hammer-Text, den ich aber wegen des Titels beinahe nicht gelesen hätte. Auch hat mich der irgendwie falsch "programmiert" in den Text einsteigen lassen, weswegen dieser seine Zartheit und Tiefe erst beim zweiten - nein , dritten - Lesedurchgang entfalten konnte.

Der Titel macht einen Krawall, der dem Text viel nimmt. So zumindest mein bescheidener Eindruck.

Auf jeden Fall aber wieder ein ganz wunderbarer Text von dir, den ich sehr gerne gelesen habe.

LG,
Claudia
 

Scal

Mitglied
Ein subtiles, "seherisches" Gewebe.
narziss-haus-schnecke

Schade, dass Du den Titel geändert hast, das wäre meiner Meinung nach nicht nötig gewesen.

LG
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
ihr habt mich überzeugt, ich habe den Titel nochmal abgeändert :)

vielen Dank für die Rückmeldungen, zu diesem mir äußerst wichtigen Text.

LG
Patricj
 

surrusus

Mitglied
zu diesem mir äußerst wichtigen Text.
Lieber @Patrick Schuler

Ich glaube, ich kenne keine andere Lyrik, die das "wir" derart intensiv transportiert wie dein Werk es macht.
Für mich kämpft das lyrische Ich mit Begriffen der Realität und hinterfragt die Wahrnehmungstiefe des Umfeldes, in dem es sich befindet.

die ihr wie missklänge seid und enttäuscht
ein ohr aus frost
Für mich stellt diese Passage den intensivsten Abschnitt dar, da sie für mich Ohnmacht, Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein widerspiegelt, jedoch zugleich den Versuch unternimmt, mit dieser Handlungsunfähigkeit in einen Dialog zu treten. Eine Bitte nach Ordnung, fast ein Schrei nach Normalität.

schreiben wir unsere flüchtigen namen ins dunkelnde herz.
Mit gefällt das Herz! Auch wenn es dunkelt, so wird es danach benannt, was es ist. Und es ist noch vorhanden.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich glaube, ich kenne keine andere Lyrik, die das "wir" derart intensiv transportiert wie dein Werk es macht.
beziehst du das auf mein gesammtwerk, oder nur auf dieses? weil wir uns ja mal über das "ich" in der literatur unterhalten haben.

Für mich kämpft das lyrische Ich mit Begriffen der Realität und hinterfragt die Wahrnehmungstiefe des Umfeldes, in dem es sich befindet.
das spielt eine große rolle, ja. es gibt immer nur die möglichkeit eines enttäuschenden umfeldes oder die einsamkeit für meine lyr-iche.

Für mich stellt diese Passage den intensivsten Abschnitt dar, da sie für mich Ohnmacht, Schutzlosigkeit und Ausgeliefertsein widerspiegelt, jedoch zugleich den Versuch unternimmt, mit dieser Handlungsunfähigkeit in einen Dialog zu treten. Eine Bitte nach Ordnung, fast ein Schrei nach Normalität.
das hast du genau treffen analysiert. wobei eben die enttäuschung damit vorprogrammiert ist, aber das glück hat ja, nicht nur nach camus, immer etwas damit zu tun, dass man nicht aufgibt den schweren stein zu wälzen. ist nach freud übrigens auch die definition von wahnsinn :D

ich danke dir sehr :)

lg
patrick
 

surrusus

Mitglied
beziehst du das auf mein gesammtwerk, oder nur auf dieses?
Dein Gesamtwerk kenne ich ja nicht, vieles ist ja auch "verbüchert", schätze ich. Bei dem Werk aber, besonders, da das "Wir" sehr verbrüdert mit den Elementen daherkommt und es auch deutlich wird, dass es sich nicht um andere Menschen handelt.
Warum aber beispielsweise andere Gedichte der zeitgenössischen Lyrik das "Wir" sehr häufig aufgreifen, erschleicht sich mir manchmal nicht.
Ich schätze aber, dass damit oft Erinnerungen unterstrichen werden.
 

sufnus

Mitglied
Hey Patrick!
Ich hab nicht mitbekommen, wie der zwischenzeitliche Titel war, aber mir persönlich ist der aktuelle zwar eingängig aber für meinen Geschmack vielleicht einen Hauch esoterisch tönend, ich hab beim Titel diesen leisen Hauch von billigem fake-fernöstlichem Räucherwerk in der Nase, wie man das manchmal in Buchhandlungen in der entsprechenden Achtsamkeitsecke für Erbauungsbücher riechen kann. Oje... das klang jetzt polemisch.... und wird vor allem Deinem richtig geilen Gedicht nicht gerecht... also schnell den Hebel auf Begeisterung umgelegt, denn die stellt sich bereits beim Betrachten des Textes ein, bevor das Leseerlebnis überhaupt losgegangen ist. Und die Sprache löst dann die freudige Erwartung einer Horizonterweiterung vollends ein.
Um aber doch bei der ins Auge springenden optischen Gestaltung zu verharren: So eine verfremdungseffektvolle Layoutisierung halte ich für ein äußerst probates Mittel, um bei Lyrik, die nahe am Ich gebaut ist, von vorneherein einen nabelschau(der)haften Pathoseindruck zu vermeiden. [wobei Du das aufgrund der eindringlichen Sprachbildgestaltung natürlich nicht nötig hast - da ist es einfach ein richtig schöner Bonuseffekt]
LG!
S.
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich hab nicht mitbekommen, wie der zwischenzeitliche Titel war, aber mir persönlich ist der aktuelle zwar eingängig aber für meinen Geschmack vielleicht einen Hauch esoterisch tönend, ich hab beim Titel diesen leisen Hauch von billigem fake-fernöstlichem Räucherwerk in der Nase, wie man das manchmal in Buchhandlungen in der entsprechenden Achtsamkeitsecke für Erbauungsbücher riechen kann.
der ursprüngliche titel war "selbstmord".

und ich verstehe, warum er kritisiert wurde. gut - der jetzige ist auch nicht ganz glücklich, das stimmt. das gedicht ist meine interpretation eines rilke verses "leicht und gesichtlos lehnt sich von unten tiefe dir an"

das wollte ich aber nicht als titel haben, da ich zu häufig in der vergangenheit zitate als titel genutzt habe.

Um aber doch bei der ins Auge springenden optischen Gestaltung zu verharren: So eine verfremdungseffektvolle Layoutisierung halte ich für ein äußerst probates Mittel, um bei Lyrik, die nahe am Ich gebaut ist, von vorneherein einen nabelschau(der)haften Pathoseindruck zu vermeiden.
ja, es schenkt dem text eine leichtigkeit, die er eigentlich gar nicht hat und der er nicht gerecht wird. es ist, als würde man das harte erdreich der worte pflügen um genießbares zu pflanzen. ich halte das auch für sehr wichtig. und ich denke, es lädt auch einfach zum lesen ein

vielen, vielen dank und
lg
patrick
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hattest du die Befürchtung hier einen Trigger für Leser auszulösen? Denn ich finde, dass der ursprüngliche Titel wirklich gut/besser war.
es ist die befürchtung der titel wirke wie clickbait, diese üblichen klick-mich-fick-dich titel, deswegen habe ich ihn abgeändert. aber zufrieden bin ich damit auch nicht.
 

sufnus

Mitglied
Also der ursprüngliche Titel würde für mich tatsächlich funktionieren, wenn des Gedicht mitten in einem gedruckten Lyrikband steht. Aber so .... quasi als "Internetlyrik" - Patricks Stichwort "clickbait" - fänd ich's tatsächlich auch ein wenig abgeschmackt.
Ich hätte vielleicht sowas wie "Mandalakalkül" oder "Mandalafunktion" oder so probiert. Also schon mit Mandala operieren, warum nicht, und das dann wieder ein bisschen brechen (Gedanken ins Unreine).
LG!
S.
 

fee_reloaded

Mitglied
Im Zweifelsfall die erste Zeile als Titel?

"indem wir erlöst sind" klingt doch gar nicht so übel.
Oder "erlöst - ich". Nur so als spontaner Denkanstoß.
Titel können's schon in sich haben manchmal.... :cool:
 

Max Neumann

Mitglied
"ein ohr aus frost, aus blauem kalt
an der glut des pulses, geschmolzen"

— eine Reise durch dein Land der starken, schweren, reichen Bilder.
Wegen der Komplexität lässt sich immer wieder etwas in deinen Texten finden, auch bei vielfachem Lesen.

Das ist für mich, woraus tiefe Dichtkunst besteht: in deinen Texten ist sie zuhause.
 



 
Oben Unten