In der Tat ist der Anfang ein geradezu naiv-realistisch-naturalistischer Einstieg in eine Alltagssituation: Das Lyri geht im Billigladen zu den Regalen, wo sich die chinesischen Pappe-Blöcke finden. Kunst für jedes Auge: Mandalas, die auch ohne Ausmalen fein ziselierte Linienblüten zeigen. Sie sind vollkommen regelmäßig, ohne Rest-Sprung im Kreisschluß, also wohl am Rechner gefertigt.
Das Lyri stellt sich eine Manufaktur vor, wo die Künstler serienproduktiv Rammschware für westliche Mandalaschwärmer und Seniorennachmittage herstellen. Vergleichbar den Massenproduktionen von Van Goghs Sonnenblumen auf Leinwandvordrucken (kaum unterscheidbar von den ursprünglichen Sonnenblumenstudien Van Goghs). Keiner signiert sein Werk, keiner meldet Urheberrechte an.
Inzwischen sind sie aus den Billigläden verschwunden, die liegengebliebenen Quadratblöcke bestimmt eingestampft. Die Fabrikarbeiterinnen, fern aller kapitalistischen Entfremdung ("Kunst" ist im Westen bekanntlich nur
Ware), sind zufolge der Befreiung der Arbeiterklasse absolut selbstbestimmte Inhaber ihrer Produktionsmittel. Künstler.
Oder nicht?
Aber was ist denn "Kunst"?
Sie ist spätestens seit den Sechziger Zahren des vorigen Jahrhunderts ("Phantasie an die Macht!") ins Extreme erweitert worden: "Alles ist Kunst" und "Jeder Mensch ist ein Künstler", so, wie schon in früheren Zeiten alles ins Auge des Betrachters gelegt worden ist.
Wenn der "Kunst"-Begriff dabei vor allem die "Schönheit" ins Auge des Betrachters legt, wird die ins Leere generalisierte Erklärung, daß jeder ein Künstler und alles Kunst sei, wieder verdichtet zur Suche nach dem ästhetischen Reiz.
Ich würde diesen ästhetischen Reiz insbesondere in dem programmatischen Titel sehen, den Miles Davis seinem Doppelalbum einst gegeben hat: Die Konzentration des Schönen, das der Künstler sucht und die Höreraufmerksamkeit in den heftig zwischen die Pianoglockenklänge gespuckten Symkopen des Trompetensginals
babäbb babäbb babäbb babäpp babäpp ... aufspürt, ist -
"Bitches Brew", "Hurengebräu".