Zum Diktat, bitte!

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Im Büro ist sie unter den Schreibdamen die jüngste und nach allgemeiner Überzeugung auch die attraktivste. Sie ist Ende zwanzig, groß und kräftig, wohlgestaltet, hat ein frisches, Gesundheit anzeigendes Gesicht. Sie lacht nicht oft, nur aus besonderem Anlass. Übrigens ist sie verheiratet.

„Frau Kessler, zum Diktat zu Herrn Lehmann! Er hat gerade angerufen. Eilig!“ Frau Kessler ist eben aus der Mittagspause zurückgekommen. Teufel noch mal, sie würde sich lieber erst einen Kaffee kochen … Die anderen haben es auch schon bemerkt: Der Alte lässt meistens sie kommen. Warum? Nun, sie ist eben flink und tüchtig, sie weiß es selbst.

Sie betritt sein Zimmer eine Etage höher. Er ist mit einer Akte beschäftigt, blättert in ihr, liest sich hier und da fest. Wie es scheint, hat er die junge Frau kaum wahrgenommen, ihr nur zerstreut zugenickt. Also nimmt sie schon mal Platz auf dem Stuhl an der Wand, wie üblich, und wartet. Sie betrachtet ihn verstohlen. Ganz schön alt geworden, denkt sie, und dabei mehr als stattlich, tja ... und rotgeädert die herabhängenden Backen, kein schöner Anblick, nee, nee … und wie er leise schnauft … Sie löst ihren Blick von ihm, schlägt die Beine übereinander, macht ein diensteifriges Gesicht und richtet schon mal den Stenoblock über ihrem Schoß.

Endlich schaut er von der Akte hoch, Erstaunen im Blick - seltsam. Irritiert bemüht sie sich um noch mehr artige Haltung, strafft sich, fragend ihre Miene jetzt. Alles an ihr drückt aus: Ich stehe zur Verfügung. Da verwandelt sich bei ihm Verwunderung in Befremden, wird zum Ärger: „Was soll das? Warum sitzen Sie hier? Einfach so da bei mir? Ich habe Sie doch nicht gerufen!“

Sie springt sofort auf, begreift jetzt. Ihr Gesicht ist nun röter als seines. Diese miese Person - na, das wird sie ihr heimzahlen! Aber ihm sagt sie nichts und sie flieht, mit Trippelschritten um etwas Würde bemüht.
 
Hallo Arno,

das ist einerseits eine Geschichte aus der guten alten Zeit - Steno habe ich vor einer Ewigkeit mal gelernt, heutzutage braucht man wohl nur noch für bestimmte Berufe dieses Fach, z. B. im Gericht, im "normalen" Büro eher nicht. Aber andererseits - eine Kollegin oder einen Kollegen reinzulegen und vor dem Chef zu blamieren, das gibt es mit Sicherheit immer wieder. So gesehen eine zeitlose, immer aktuelle Geschichte.
Schön fließend erzählt!

LG SilberneDelfine
 
Danke, Delfine, für deine Reaktion und die Bewertung. Ja, ich kann mir vorstellen, dass so etwas damals öfter vorgekommen ist. Mir wurde der üble Schabernack kurz danach brühwarm berichtet. Da ich jeden Tag mit den Protagonisten Umgang hatte, konnte ich mir die peinliche Situation gut vorstellen.

Nach dem gleichen Muster verlaufen auch jene geschäftsschädigenden Anrufe mit Bestellungen zu Lasten Dritter. Ich war mal am Eröffnungstag in einer neuen Frankfurter Bar, da kamen kurz hintereinander seltsame telefonische Rückfragen. Ein Bestatter wollte wissen, ob tatsächlich eine Leiche abzuholen sei, ein Blumenhändler fragte sicherheitshalber noch mal nach, ob er wirklich 1000 Rosen liefern sollte, und ein oder zwei Rettungstransporte standen bald vor der Tür. Sehr lustig!

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
Frankfurter Bar, da kamen kurz hintereinander seltsame telefonische Rückfragen. Ein Bestatter wollte wissen, ob tatsächlich eine Leiche abzuholen sei, ein Blumenhändler fragte sicherheitshalber noch mal nach, ob er wirklich 1000 Rosen liefern sollte, und ein oder zwei Rettungstransporte standen bald vor der Tür. Sehr lustig!
Das ist wirklich ein starkes Stück. Ist mir zum Glück nie passiert. Auf der anderen Seite käme ich auch nicht auf die Idee, jemand Neues so reinzulegen. Aber gibt halt immer Leute, die das lustig finden.

LG SilberneDelfine
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno,

Deine Geschichte weist Mängel auf.

Im Büro ist sie unter den Schreibdamen die jüngste und nach allgemeiner Überzeugung auch die attraktivste.

Wer stellt denn die "allgemeine Überzeugung" dar? Die anderen Kollegen? Haben sie über sie gesprochen? Tratsch, Klatsch? Offen, versteckt?

Übrigens ist sie verheiratet.
Was bedeutet das? Sie ist offensichtlich attraktiv, aber Vorsicht - sie ist vergeben. Ein Grund, aber kein Hindernis, mit ihr zu flirten? Eine merkwürdige Einlassung.

„Frau Kessler, zum Diktat zu Herrn Lehmann! Er hat gerade angerufen. Eilig!“ Frau Kessler ist eben aus der Mittagspause zurückgekommen.
Leider sehr missverständlich formuliert. Offenbar ist die Protagonistin Frau Kessler. Mit dem Namen hätte sie eher eingeführt werden können. Und wer spricht jetzt? Eine intrigante Kollegin oder Kollege? Offenbar, aber der Leser muss es sich zusammenreimen.


Warum? Nun, sie ist eben flink und tüchtig, sie weiß es selbst.
Diese Erklärung ist einfach zu allgemein und lapidar.


Ganz schön alt geworden, denkt sie, und dabei mehr als stattlich, tja ... und rotgeädert die herabhängenden Backen, kein schöner Anblick, nee, nee … und wie er leise schnauft …
Das "nee, nee" ist zu umgangssprachlich und die vielen Auslassungen durch die Pünktchen wirken zu unruhig und hier fehlt einfach Text!


Diese miese Person - na, das wird sie ihr heimzahlen!
Welche Person ist gemeint? Weiß sie schon, wer sie hereingelegt hat?


mit Trippelschritten um etwas Würde bemüht.

Wieso sind Trippelschritte ein Zeichen von Würde? Für mich eher ein Zeichen von großer Unsicherheit.

Der Text ist keine echte Kurzgeschichte, einfach tatsächlich zu kurz. Zu unausgereift. Du könntest daraus eine gute Geschichte machen, wenn Du den Text ausbaust. Oder eine perfekte Kurzprosa mit entsprechenden Kürzungen auf das Wesentlichste. Noch härter und genauer auf den Punkt bringen.

Ich verschiebe den Text von daher in das Forum Kurzprosa.

Viele Grüße

DS
 
Werte Redakteurin,

die Verschiebung geht schon in Ordnung. Deine inhaltliche bzw. formale Kritik überzeugt mich dagegen überhaupt nicht. Im Detail:

Die "allgemeine Überzeugung" kann sich innerhalb einer Bürobesetzung nur auf diese beziehen. So viel minimales Leseverständnis sollte ein Leser hier schon aufbringen.

Dass Frau Kessler verheiratet ist, rundet ihr Signalement ab. Ihr Familienstand hat selbstverständlich in einem Büro auch Konsequenzen für den Umgang mit ihr. Bekanntlich werden sehr viele Ehen unter Kollegen geschlossen. Der Leser kann auch mal mitdenken, ihm muss nicht alles bis ins Kleinste vorgekaut werden.

Für den nächsten Einwand gilt dasselbe. Ich erwarte, dass der Leser sogleich begreift, dass Frau Kessler dieselbe Person ist, von der im ersten Absatz die Rede war. Anderenfalls hätte ich für ihn den Text nicht verfasst.

Was an "flink und tüchtig" und der Selbsteinschätzung der Protagonistin "allgemein und lapidar" sein soll, erschließt sich mir nicht. Eher trifft Letzteres auf diese Kritik zu.

"Zu umgangssprachlich", "zu unruhig" die innere Rede der Schreibdame? Sind wir hier in einem Mädchenpensionat anno 1920?!

Ja, offenbar weiß Frau Kessler, wer sie hereingelegt hat. Sie wurde ja von einer Kollegin losgeschickt, und da sie nicht mehr neu im Betrieb ist, kann sie außerdem die persönlichen Einstellungen inzwischen einschätzen.

Zu den "Trippelschritten" mit "Würde": Sie sind das Ergebnis zweier unterschiedlicher Regungen. Sie will einerseits der Situation entkommen, andererseits den Anschein panischer Flucht vermeiden. Sie hastet und verlangsamt zugleich das Hasten. Daher trippelt sie, und im Trippeln liegt vielleicht auch eine Spur Protest. Damit wahrt sie in der Tat ein wenig ihre Würde. So könnte die Interpretation dieser Stelle durch einen einfühlsamen Leser ausfallen.

Geschätzte Doc Schneider, ich glaube, wir haben stark voneinander abweichende Vorstellungen davon, wie gute und zeitgemäße Prosa aussehen kann. Das zeigt sich ja hier nicht zum ersten Mal. Meinem Text liegt eine kleine Anekdote aus weit zurückliegender Zeit zugrunde. Ich hielte es für völlig verfehlt, daraus eine deinen Empfehlungen entsprechende ausgewalzte Story zu machen.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 
Herzlichen Dank, Ji Rina, für deine Beurteilung und die Bewertung.

Nein, ich glaube nicht, dass es genau solche Abläufe heute noch in nennenswerter Zahl gibt. Die technische Ausstattung in den Büros ist eine ganz andere geworden. Insgesamt sollte auch das Auftreten von Beschäftigten inkl. Vorgesetzten heute selbstbewusster und souveräner geworden sein - falls ich mich nicht irre. Insofern dürften sie nicht mehr so leicht und tollpatschig in gestellte Fallen gehen. Andererseits wird es immer Methoden geben, andere in verfängliche Situationen zu bringen. Aber wie so etwas heutzutage ablaufen kann, darüber habe ich keine näheren Kenntnisse mehr. Mein konkreter Text hier ist also rein historisch.

Freundliche Grüße
Arno Abendschön
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Arno Abendschön,

Ich arbeite auch in einem Büro und da hat man nur noch einen Freund: Den Computer.
Wir sind 40 Leute, mit 40 Computern. Unsere ständigen Begleiter.
Mein konkreter Text hier ist also rein historisch.
Ja, das habe ich auch so verstanden und das ist ja auch das lustige am Text.
Mit freundlichen Grüssen,
Ji Rina
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
Bei mir hat diese Kurzprosa Erinnerungen geweckt - an einen Steno-Kurs, den ich nie abgeschlossen habe, an Schreibmaschinen-Kurse, an die Büro-Atmosphäre in einem Autohaus, in dem ich ein Jahr lang als Telefonistin gejobbt habe … und wenn "der Alte" unterwegs auf Geschäftsreise war, flogen bei uns oben in den Büros die Sektkorken.
Was Deine reingelegte Prota anbelangt, lieber @Arno Abendschön, sie sollte den uralten "Sekretärinnen-Trick" anwenden: Der Kollegin, die sie reingelegt hat, eine schöne Tasse Kaffee machen. Und reinspucken … umrühren, fertig.;)
 
Danke, Isbahan, für freundlichen Kommentar und Bewertung. Ach ja, waren das herrliche Zeiten, und sie kehren nie wieder ... Der von dir ausgeplauderte perfide Trick erinnert mich an die alte Redewendung "Gift und Galle spucken". Die Galle ist dann schon mal drin - und das Gift?

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 



 
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