Zum Greifen nah

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ENachtigall

Mitglied
Zum Greifen nah



Sie sah so
lange im Rückspiegel der Zukunft
ihren Alb träumen, dass sie vergaß

Das milchige Licht des Gestirns
Die entzündeten Ränder der Bäume
Das Dunkle, das die Nacht besprang

Die Hand sogar
des Pferdes, das schlafen lag
Als sei sie nie gewesen




© 2015 Elke Nachtigall
 
E

Einsprengsel

Gast
Hi Elke Nachtigall

das gefällt mir sprachlich mit Einschränkung sehr gut, wenn es auch etwas dunkel daherkommt. Die Zusammenhänge lassen sich mir nur sehr schwer erschließen. Wenn man mit so vielen Metaphern arbeitet, kann ein Gedicht schnell unverständlich werden, gib dem Leser Gelegenheit, das durch die Metaphern vermittelte bewusst Neblige zu klären, sonst rauscht das Gedicht an ihm vorbei. Die Dosis macht es.

Einsprengsel
 

Label

Mitglied
Liebe Nachtigall

die schöne Wortwahl, geheimnisvoll klingend, machte mich neugierig.
Ich habe versucht zu verstehen, aber mir ergeht es wie der Titel sagt - zum greifen nah - doch außer Reichweite

lieber Gruß
Label
 
O

orlando

Gast
Hallo Elke,
ich mag es ja gern ein wenig geheimnisvoll. Noch dazu, wenn sich die Dichterin auf einen Mythos bezieht, was ich gleich einmal frech vermute.

Sie sah so
lange im Rückspiegel der Zukunft
ihren Alb träumen, dass sie vergaß
Deine Verse beziehen sich m. E. auf nächtliches Himmelsgeschehen. - In der o.g. Versgruppe ist es zudem interessant, dass eine Vorausschau (Ahnung) als Rückblick auf die Zukunft verstanden wird; wer jemals von Vorahnungen heimgesucht worden ist, weiß, dass es sich genauso abspielt: ein Kopffilm zeigt das Künftige an, als sei es schon geschehen. Handelt es sich dabei um einen Alb, ist das natürlich schrecklich, besonders in der Wiederholung.

Das milchige Licht des Gestirns
Die entzündeten Ränder der Bäume
Das Dunkle, das die Nacht besprang
Spätestens hier wird klar, dass es sich um den Sternenhimmel drehen muss. Wunderbar die "entzündeten Ränder der Bäume" *schmelz)

Die Hand sogar
des Pferdes, das schlafen lag
Als sei sie nie gewesen
Die dritte Versgruppe hebt auf das Sternbild Pegasos ab, das auf dem Kopf stehende Pferd, welches - dem Mythos nach - einst der todbringenden Medusa entsprungen ist (Hinweispfeil zum Alb).
Pegasos hat noch einen Zweit- und Drittjob: Er trägt die Blitze des Gottvaters Zeus und ... na, ihr Dichter, dämmert`s endlich?

Aus der zuletzt genannten Bedeutungsebene (der Hauptebene) lässt sich natürlich der komplette Text wiederum wunderbar (neu) interpretieren. Vor allem in Hinblick auf den Titel "Zum Greifen nahe." ;)

Liebe Grüße
orlando
 
O

orlando

Gast
Hübsch auch in diesem Zusammenhang:

Wenn das Pferd gegen den Zügel oder die Hand geht

Wir haben hier ein Pferd, dass den Kampf noch nicht ganz aufgegeben hat. Es wehrt sich noch gegen die Einwirkung. Diese Pferde sind dadurch für mich einfacher zu korrigieren. Sie sind immerhin noch bereit zur Kommunikation.
Aus einem Reiterlink
 

Label

Mitglied
Spätestens hier wird klar, dass es sich um den Sternenhimmel drehen muss.
ja, ja, so weit war ich auch, aber , mag sein dass die Metaphern auf einer von mir selten benutzten Wegstrecke meiner Hirnwindungen liegen, so dass ich bei den vielen Abbiegungen die Orientierung verloren habe.
Als sei sie nie gewesen, sehe ich Einzelteile, aber kein Gesamtbild.
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zunächst sah ich eine Sterbende. Ein Autounfall, die Frau liegt in der Nacht und blickt zu den Sternen, sieht ihr Leben schwinden, zieht ein Fazit.

Daraus entwickelte sich das Bild weiter. Eine Frau, die ihr Leben nach Horoskopen ausrichtete und nun erkennt, dass sowohl ihre Albträume als auch ihre Sehnsüchte fremde Geschöpfe sind.

Vielleicht geht sie nun weiter. Vielleicht erhebt sich das Pferd, wird ihrer gewahr und reicht ihr ein Leben.

Traurig und wunderschön.
 

molly

Mitglied
Hallo Elke,

ich lese Dein Gedicht so:

Es ist Nacht.
Sie kann nicht schlafen, fürchtet sich vor der Zukunft.
Sie übersieht sogar die Hand des Mannes, die zum Greifen nah ist, aber er schläft, teilnahmslos, als ginge ihn ihre Angst nichts an.
Die entzündenden Ränder der Bäume könnten von den Straßenlaternen sein, die in manchen Orten die ganze Nacht leuchten.

Gruß molly
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Einsprengsel,

bitte entschuldige meine späte Reaktion.

Mich freut Deine freundliche Rückmeldung auf diese Zeilen, die so dunkel daherkommen, weil ich die Thematik nicht anders - besser verständlich - darzustellen vermochte. Dennoch wollte ich dieses Schriftbild setzen; und sei es auch nur als als "persönliche Wegmarke".
Die Zusammenhänge lassen sich mir nur sehr schwer erschließen.
Dir einen guten Sonntag wünscht

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
die schöne Wortwahl, geheimnisvoll klingend, machte mich neugierig.
Ich habe versucht zu verstehen, aber mir ergeht es wie der Titel sagt - zum greifen nah - doch außer Reichweite
Liebe Label,

verzeih auch Du mir bitte die späte Reaktion auf Deinen Kommentar, der mir wichtig ist.

Immerhin hast Du genau dieses Gefühl nachempfinden können! Indem Du versucht hast, zu verstehen, hast Du genau das getan, was "sie" im Gedicht auch tat. Das finde ich spannend.

Vielleicht kann ich im nächsten Kommentar Konkreteres vermitteln.


Einen schönen Frühlingssonntagabend wünscht

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Und täglich grüßt das Albtraumtier

interessant, dass eine Vorausschau (Ahnung) als Rückblick auf die Zukunft verstanden wird
Hallo orlando,

auch Dich bitte ich zunächst, zu entschuldigen, dass ich Bedenkzeit brauchte, das Gedicht erst selbst zu verdauen.
Herrlich, wie enthusiastisch Du die Interpretation angehst!

Für mich ist es in erster Linie ein Erlebnisbericht in Versform. Beim Rückblick auf das Albträumen ließ sich allerdings eine gewisse Metapherndichte nicht vermeiden.

Wesentlich: das Erkennen der Spuren des Albs auf dem Lebensgehweg. Er lässt einfach nicht locker. Überholt dich nachts und ist schon da, wenn du im Traum ankommst. Die Angst ist Wut und Wehren geworden. Du kommst einfach nicht zur Ruhe.

So schaust du, Mensch, erschöpft zu den Sternen (GeStern/gestern), weil du weißt, wenn du einfach wieder einschläfst, ist der Alb noch da. Die "entzündeten Ränder der Bäume" sind positive Nachbilder des konzentrierten Starrens ins Licht. Und der Blick findet dahin zurück, wo es begann, als Jetzt noch Zukunft war.

Du schließt Frieden mit deinem Alb, denn du erkennst sein wachsames Wesen. Der Rest ist (eine andere) Geschichte und gehört hier nicht hin.

"Das Pferd, das schlafen lag" war ein besänftigender Nachtraum. Die Hand - anstelle eines Hufes - zum Greifen nah.

"Begreifen" erschien mir zu verkopft. Es war ja im Traum quasi real.

Dein Verweis auf den Mythos des Pegasus, orlando, kam mir selbst noch nicht in den Sinn, fügt sich aber gut ins Bild.

Ich danke Dir ganz herzlich für die intensive Einlassung auf den Text.

Liebe Grüße,

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo lap,

die Entwicklung Deiner Sichtweisen auf die geschilderten Bilder fand ich sehr hilfreich, meinen eigenen Weg durchs Gedicht zu finden. Vielen Dank und

liebe Grüße,

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo molly,

es freut mich, dass mein Gedicht Dir eine eigene Sicht und Deutung ermöglicht hat. Und doch sind da eine Reihe von Schnittpunkten zu finden, zu dem, was ich im Antwortkommentar an orlando geschrieben habe. Danke, dass Du mir deine Eindrücke mitgeteilt hast.

Liebe Grüße,

Elke
 



 
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