Zum Schluss höre ich, wie die Grillen zirpen

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Mistralgitter

Mitglied
Du lässt dir Schweinsbraten mit Semmelknödeln in dein Luftschloss bringen. Ich speise mariniertes Hühnchen mit Kressesalat und Rosmarinkartoffeln in meinem Wolkenkuckucksheim. Jeder für sich. Während du von den Klippen in die Tiefe springst, zupfe ich meinem Wolkenschaf den wolligen Bauch. Du liebst das Abenteuer.

"Ich rufe dich an, wenn ich zurück bin", sagst du oft und hältst sieben Tage nach deiner Ankunft immer noch dein Wort zurück. Dein Schweigen umgibt mich wie ein zu groß geschnittener Mantel. Ohne Gürtel.

Eigentlich haben wir uns ja auch kaum etwas zu sagen, wenn wir uns treffen. Und das Wenige, das übrig bleibt, legt sich wie eine steif gefaltete Krause um unsere Hälse. Wir treffen uns selten.
Dann zerschneiden wir uns gegenseitig unsere Sätze, kürzen sie dem anderen ungehört und kämpfen darum, wer das Wort haben kann, das in der Luft liegt. Nebenbei buchst du auf deinem Handy einen Auslandsflug für dich alleine und schwärmst davon, wie günstig das Angebot sei. Und dann sagst du, der Mond sei aufgegangen und du müsstest gehen. Morgen hättest du viele Termine. Die wolltest du noch erledigen, bevor du die große Reise bis ans Ende der Erde antrittst.
Ich antworte nichts, lasse mich zum Abschied von dir flüchtig umarmen und denke, es ist ja nichts Böses geschehen. Dann hole ich mein Fahrrad aus dem Schuppen und radele um den Häuserblock. Jetzt höre ich, wie die Grillen zirpen. Wenigstens das.
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Mistralgitter, ich mag diesen Text :) Ich wüsste allerdings gerne, ist es ein Paar oder Freunde, und wer spricht, Weiblein/Männlein. Der Schluss ist noch nicht ausgereizt: es zirpen nur einsame (männliche) Grillen, damit lässt sich was machen. LG - herziblatti
 

Mistralgitter

Mitglied
Grillen zirpen

Hallo Herziblatti,
Danke für die Beschäftigung mit meinem Text.
Ich bleibe gerne in meinen Texten an bestimmten Stellen indifferent, weil mir z.B. die Zuordnung zu bestimmten Personen und ihre Beziehung zu einander für die Aussage des Textes unerheblich erscheint. So kann der Lesende die Leerstellen beliebig füllen. Das Ende will ich keinesfalls ausbauen - oder was meinst du mit ausreizen?
Viele Grüße
Mistralgitter
 

Mistralgitter

Mitglied
Meist lässt du dir Schweinsbraten mit Semmelknödeln in dein Luftschloss bringen. Ich speise mariniertes Hühnchen mit Kressesalat und Rosmarinkartoffeln in meinem Wolkenkuckucksheim. Jeder isst für sich.

Wir treffen uns selten.

Eigentlich haben wir uns dann kaum etwas zu sagen. Und das Wenige, das übrig bleibt, legt sich wie eine steif gefaltete Krause um unsere Hälse. Dann zerschneiden wir uns gegenseitig unsere Sätze, kürzen sie dem anderen ungehört und kämpfen darum, wer das Wort haben kann, das in der Luft liegt. Nebenbei buchst du auf deinem Handy einen Auslandsflug für dich alleine und schwärmst davon, wie günstig das Angebot sei. Und dann sagst du, der Mond sei aufgegangen und du müsstest gehen. Morgen hättest du viele Termine. Die wolltest du noch erledigen, bevor du die große Reise bis ans Ende der Erde antrittst.

Während du am nächsten Morgen von den Klippen in die Tiefe springst, zupfe ich meinem Wolkenschaf den wolligen Bauch. Du liebst das Abenteuer.

"Ich rufe dich an, wenn ich zurück bin", sagst du zum Abschied. Ich antworte nichts, lasse mich von dir flüchtig umarmen und denke, es ist ja nichts Böses geschehen. Sieben Tage nach deiner Ankunft hältst du immer noch dein Wort zurück. Dein Schweigen umgibt mich wie ein zu groß geschnittener Mantel. Ohne Gürtel.
Ich hole mein Fahrrad aus dem Schuppen und radele um den Häuserblock. Jetzt höre ich, wie die Grillen zirpen. Wenigstens das.
 



 
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